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Trend zur textilen Nachhaltigkeit hilft deutschen Maschinenbauern

Die Textilindustrie will die Ressourcen besser schonen. Die Technik dafür kommt meist aus Europa. Recycling von Kleidung müsste jedoch die Politik besser unterstützen.

Von Ulrich Binkert | Bonn

"Von dieser Maschine hier könnten wir eigentlich viel mehr Exemplare verkaufen", ruft Pia Terasa gegen den Lärm an. Die Marketingleiterin des Schweizer Spinnereitechnikherstellers Saurer deutet im Trubel der Branchenleitmesse ITMA im Juni 2023 in Mailand auf eine große Anlage. Ihre Besonderheit: Sie kann auch sehr kurze Fasern zu Garn verspinnen. Je kürzer eine Faser, desto schwerer ist sie zu verarbeiten. Immer kürzer werden Fasern zum Beispiel bei alter Kleidung, wenn diese von Recyclingbetrieben geschreddert werden. "Von diesem Material gibt es inzwischen mehr im Markt", sagt Terasa.

"Bei Hightech verlässt man sich auf europäische Maschinen"

Kein Zufall ist, dass die recycelten Fasern die Maschine eines europäischen Herstellers durchlaufen. Dabei ist Saurer mittlerweile in chinesischer Hand und in der Schweiz arbeitet nur noch ein Bruchteil der Beschäftigten. "Bei Anlagen mit viel Hightech verlässt man sich in der Textilindustrie immer auf europäische Maschinen", sagt René Bethmann, Entwicklungsingenieur des Outdoor-Ausrüsters Vaude aus Tettnang am Bodensee. Das gelte auch mit Blick auf nachhaltige Produktion. Im asiatischen Maschinenbau sei dieses Konzept noch kaum angekommen und in den USA gebe es dabei viel Greenwashing.

Vaude tüftelt intensiv daran, den ökologischen Fußabdruck seiner Produkte zu minimieren. "Um den zu ermitteln, brauchen wir letztlich eine einzige Zahl und dazu noch den Rechenweg", sagt Bethmann. Bei der ITMA sah der Ingenieur nun etliche Anlagen, die genau solche Werte erfassen und darstellen können. "Das waren lauter deutsche and andere europäische Maschinenbauer."

Nutzer investieren dank Vorschriften und PR in Nachhaltigkeit

Die Maschinen, die den ökologischen Fußabdruck ausweisen, zeigen beispielsweise, wieviel CO₂ für die Herstellung von einem Kilogramm verarbeitetem Textil entstanden ist oder welche Chemikalien zum Einsatz kamen. Stoffverarbeiter wie Vaude können dann nicht nur im Markt glaubwürdiger mit Nachhaltigkeit werben. Sie erfüllen damit auch besser die Vorschriften in Europa, die laut Bethmann absehbar immer schärfer werden.

Bekleidungskonzerne fördern Recycling mit Wagniskapital

Schwedische und finnische Unternehmen sind laut Vaude-Entwicklungsingenieur René Bethmann weit vorne bei der Wiederverwendung pflanzlicher Textilfasern auf chemischem Wege, einem Thema, das sich sehr dynamisch entwickelt. Geld für die Entwicklung solcher Verfahren kommt demnach unter anderem von großen Bekleidungsfirmen wie Inditex und H&M. Diese Händler investieren Wagniskapital in Firmen der Branche.


Der chemische Prozess wandelt zunächst gebrauchte und geschredderte Textilien aus Baumwolle oder auch Jute und Viskose in einen Brei um. Er trennt dann Farben und andere Verunreinigungen ab, um aus der so gereinigten Masse neue Fasern für die Textilproduktion zu produzieren. Es ist ein ähnliches Prinzip wie bei der Gewinnung von Viskose aus Holz, das die Textilindustrie schon lange betreibt. Die Herausforderung beim Recycling liegt in den Verunreinigungen des Ausgangsmaterials.

Neue Textilmaschinen – besonders von europäischen Herstellern – sind in den letzten Jahren leiser geworden und verbrauchen weniger Energie, hat Andreas Engelhardt vom Branchendienst The Fiber Year beobachtet. Die Maschinenbauer hätten auch die Ersatzteilversorgung und andere Prozesse optimiert. Die Textilindustrie vermindere damit den Ressourcenverbrauch und laufe effizienter. Auch der VDMA und seine Mitglieder unterstützen den Wandel zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft, wie es auf der Website des deutschen Maschinenbauverbands heißt. Die Seite listet Mitgliedsfirmen und deren Angebot zu dem Thema.

Nachhaltigkeit versus Greenwashing

Dass die Textilindustrie tatsächlich viel nachhaltiger geworden ist, bezweifeln in der Branche jedoch auch viele Experten. Mode ist schnelllebig und Nachhaltigkeit kann teuer sein. "Man muss bedenken, dass nur wenige Industriezweige so preisempfindlich sind wie die Bekleidungsbranche", sagt dazu Andreas Engelhardt von The Fiber Year.

"Da gibt es viel Greenwashing", sagt ein Branchenvertreter, der nicht genannt werden will, stellvertretend für viele andere. So liefere der ganze Weltmarkt weniger Öko-Baumwolle als ein einziger, bestimmter Modehändler seiner Etikettierung zufolge verarbeitet. Andere Beobachter verweisen auf den Boom der chinesischen Billig-Online-Marke Shein. Vermutungen zufolge landen hier die vielen Rücksendungen sehr oft im Schredder. "Unter meinen Freundinnen bestellt die Hälfte bei denen", berichtet ein Mittzwanziger auf der ITMA-Messe. "Nachhaltigkeit" sei da definitiv kein Thema. In den USA hält Shein Schätzungen zufolge fast 40 Prozent des Fast-Fashion-Marktes.

Investitionen in Recycling benötigen politische Flankierung

Für Vaude-Entwicklungsmanager Bethmann bedeutet Nachhaltigkeit vor allem Vermeidung, Langlebigkeit, Recycling – und zwar exakt in dieser Reihenfolge, mit der Wiederverwertung als letzter Option. Die Datenlage beim textilen Recycling ist nicht ganz klar. Die Website Textile Exchange beziffert den Anteil der textilen Fasern, die wiederverwendet werden, immerhin auf 12 Prozent. Andererseits würden zwar 8,5 Prozent aller neuen Textilfasern aus recyceltem Material hergestellt, bei leicht wachsendem Trend. Knapp 8 Prozentpunkte davon bestünden aber aus wiederverwerteten PET-Flaschen. Recycelte Fasern, darunter auch die gesamte wiederverwendete Bekleidung, stellen demnach nur die kümmerlichen restlichen 0,6 Prozentpunkte.

Um das Recycling von gebrauchter Bekleidung auszuweiten, fehlt es nach Ansicht von André Wissenberg vom Schweizer Spinnereitechnikhersteller Oerlikon an der politischen Flankierung. Gefragt sei ein "Grüner Deal", wie ihn die EU-Kommission für andere Branchen initiiert habe. Textiles Recycling, also geschreddertes Mischgewebe chemisch zu zerlegen und daraus wieder brauchbare Fasern zu gewinnen, sei schwierig. Dagegen sei neues Material bislang einfach zu günstig.

Textilmaschinenmesse ITMA

Die International Textile Machinery Exhibition (ITMA) gilt als Leitmesse für Textilmaschinen. Sie findet alle vier Jahre in wechselnden europäischen Städten statt, zuletzt im Juni 2023 in Mailand. Nächster Termin der Messe ist vom 16. bis 22. September 2027 in Hannover. Mit gut 1.700 Unternehmen kamen ähnlich viele Aussteller nach Mailand wie 2019 nach Barcelona. Die Besucherzahl war mit 111.000 um 5 Prozent höher, und dies bei einem Eintrittspreis von über 100 Euro für ein Tagesticket. Die größte Besuchergruppe in Mailand kam aus Italien (29 Prozent Anteil), gefolgt von der Türkei, Indien und Deutschland (je 6 Prozent) sowie Frankreich (4 Prozent) und Brasilien (3 Prozent). Besucher aus dem Welttextilzentrum China gehen bevorzugt zur Schwestermesse ITMA Shanghai (19. bis 23. November 2023). Im Jahr 2025 soll zudem erstmals die ITMA Asia Singapore stattfinden. Der europäische Textilmaschinen-Dachverband Cematex erwartet dort als Messeveranstalter vor allem Besucher aus den muslimischen Ländern Asiens. Sie erhalten für Singapur leichter Visa als für China oder Europa.

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