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Brasiliens Chemieindustrie in der Krise

Chemieimporte überschwemmen den Markt und gefährden die lokale Produktion. Brasilien hat klare Vorteile bei der Dekarbonisierung der Industrie, braucht aber Investitionsanreize.

Von Gloria Rose | São Paulo

Der Branchenverband Abiquim sieht die brasilianische Chemieindustrie in der Krise. Im 1. Halbjahr 2023 ging die Inlandsnachfrage nach Industriechemikalien um 4,6 Prozent zurück. Der Einbruch sei auf die schwache Konjunktur sowie die verschärfte Konkurrenz durch Importprodukte zurückzuführen. Während die inländische Produktion um 9,7 Prozent sank, legten die Einfuhren um 0,6 Prozent zu. Auch die Wirtschaftskrise im Nachbarland Argentinien führte zu Einbußen der brasilianischen Hersteller von Industriechemikalien. Die weltweiten Exporte der Branche gingen in den ersten sechs Monaten 2023 um 3,9 Prozent zurück. 

Einen so drastischen Produktionsrückgang wie im 1. Halbjahr 2023 hat die brasilianische Chemieindustrie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Im genannten Zeitraum lastete die Branche ihre Produktionskapazitäten im Durchschnitt nur noch zu 67 Prozent aus. Das sind 5 Prozentpunkte weniger als im 1. Halbjahr 2022. Besonders niedrig war die Auslastung bei Halbzeug für Kunstfasern sowie bei thermoplastischen Kunststoffen und industriellen Lösungsmitteln. Damit sich die Herstellung rentiert, ist in der Regel eine deutlich höhere Auslastung von mindestens 80 Prozent erforderlich. 

Heimische Industrie fordert Schutz und Investitionsanreize

Nach der Coronakrise bringt nun der Ukrainekrieg die globalen Lieferketten durcheinander und sorgt für rasche Veränderungen in der Preisstruktur. Die brasilianische Industrie hat stark an Boden verloren, auch weil zwei übliche Schutzmaßnahmen vorübergehend aufgehoben wurden. Zum einen vergünstigte seit August 2022 eine Verordnung den Import von thermoplastischen Kunststoffen. Zum anderen lief das Steuerregime REIQ aus, das landesweit rund 25 Petrochemiekonzernen Steuererleichterungen gewährte.

Beide Änderungen machte die seit Anfang 2023 amtierende Regierung Lula mittlerweile wieder rückgängig. Doch um die lokale Produktion zu schützen, fordert Abiquim weitere Maßnahmen. In einer Arbeitsgruppe mit dem halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras erarbeitet der Verband konkrete Vorschläge für die Regierung. 

Brasilien gehört zu den zehn größten Chemienationen der Welt. Doch seit fast einem Jahrzehnt investieren die Konzerne vor Ort fast ausschließlich in Wartung und Modernisierung. Neue Kapazitäten entstehen nur in einigen Nischen. Dabei steigt insbesondere die Nachfrage nach Agrarchemikalien in Brasilien von Jahr zu Jahr stark an und treibt das Außenhandelsdefizit des Landes bei Chemieprodukten auf immer neue Rekordhöhen.

Vorteile bei der Dekarbonisierung der Industrie

Mit der Energiewende erfolgt zurzeit eine weltweite Umstrukturierung energieintensiver Industriebranchen. Davon könnte Brasilien profitieren. Laut einer aktuellen Studie von Abiquim sind die Emissionen bei der Produktion von Chemikalien in dem Land heute rund 5 bis 35 Prozent niedriger als in Europa. Im Vergleich zu US-amerikanischen oder chinesischen Produkten sind die Emissionen teilweise nur halb so hoch.

Schließlich bietet das Land hervorragende natürliche Bedingungen für die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Industrie: Einen äußerst kostengünstigen Zugang zu erneuerbaren Energien und ein immenses Potenzial für Bioenergie. Damit Brasilien diesen Wettbewerbsvorteil für mehr Industriewertschöpfung nutzen kann, muss die Regierung zusätzliche Anreize schaffen. Denn sowohl die USA als auch die EU umwerben Investoren mit den gewichtigen Förderinstrumenten des Inflation Reduction Act (IRA) beziehungsweise Green Deal. 

Förderung animiert Düngemittelhersteller

Um die hohe Abhängigkeit von Düngemittelimporten zu verringern, wird die nationale Produktion durch den Plano Nacional de Fertilizantes 2022-2050 (PNF) gefördert. Derzeit entscheidet der Bundessenat über Steuerbegünstigungen im Rahmen der neuen Sonderregelung "Profert".

Zudem debattiert der Rat für Energiepolitik CNPE über das Förderprogramm Gás para Empregar. Dank des Programms könnten in den kommenden Jahren rund 19 Milliarden US-Dollar (US$) an privaten Investitionen in die Verarbeitung und den Transport von Erdgas und Biomethan sowie in die Düngemittelproduktion fließen. Laut Sinprifert, dem Branchenverband der Düngemittelindustrie, planen die Hersteller derzeit Investitionen von über 4 Milliarden US$ bis 2026.

Petrobras interessiert sich wieder für Dünger

Der brasilianische Ölkonzern erwägt, die Produktion von Stickstoffdünger in Araucaria im Bundesstaat Paraná wieder aufzunehmen. Die Anlage ANSA könnte im 1. Halbjahr 2024 wieder in Betrieb gehen. Auch eine Kooperation mit Unigel wird erörtert. Unigel pachtete die beiden Petrobras-Stickstoffdüngerfabriken in den nordöstlichen Bundesstaaten Bahia und Sergipe im Jahr 2021, steckt aber derzeit in finanziellen Schwierigkeiten.

São Paulo wirbt um Investoren 

Die deutsche Unternehmensberatung Roland Berger beziffert das mögliche Potenzial Brasiliens zur Produktion von Biomethan für das Jahr 2050 auf 59 Milliarden Kubikmeter. Davon entfallen etwa 30 Prozent auf den Bundesstaat São Paulo. Denn das Wirtschaftszentrum des Landes ist auch der bedeutendste Produzent von Zuckerrohr und Bioethanol. 

Die Region will ihr immenses Potenzial unter anderem nutzen, um den Petrochemiestandort Cubatão zu dekarbonisieren und wiederzubeleben. Das kündete Gouverneur Tarcísio de Freitas Mitte September 2023 bei einem Empfang deutscher Unternehmen an. Die Regierung des Bundesstaates will deutschen Unternehmen entgegenkommen und die Beziehungen zu Deutschland intensivieren - unter anderem über das Münchner Büro der Investitionsfördergesellschaft InvestSP.

Chlor-Alkali-Branche veröffentlicht Roadmap

Die Dekarbonisierung und der steigende Bedarf der brasilianischen Wasserwirtschaft treiben die Chlor-Alkali-Hersteller zu Investitionen. Der Branchenverband Abiclor veröffentlichte im August 2023 eine Roadmap bis 2035 mit konkreten Maßnahmen. Zwischen 2022 und 2025 wird die Branche voraussichtlich 1 Milliarde US$ investieren. Rund 15 Prozent der Produktion werden in dem Zeitraum auf saubere Technologien umgestellt. 

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