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Hochbau: Marktchancen für deutsche Produkte und Dienstleistungen

Energieeffizienz, Bauindustrialisierung und Digitalisierung bieten gute Perspektiven. Ausdauer ist gefragt, insbesondere wenn kulturelle Hürden zu nehmen sind.

Von Gloria Rose | São Paulo

Anders als bei vielen Konsumgütern sind die Brasilianer im Wohnungsbau sehr konservativ. Ein Beispiel dafür ist der anhaltende Erfolg der großen Baukonzerne, die seit Jahrzehnten architektonisch kaum variieren und sehr kostenorientiert bauen. Trends zu neuen Baustoffen oder sogar Bauweisen entwickeln sich nur sehr langsam – selbst wenn sie Kostenvorteile eröffnen.

Dies erklärt unter anderem die sehr langsame Marktdurchdringung von Kunststoffrahmen bei Fenstern, die deutsche Hersteller seit Jahren sukzessive vorantreiben. In Bezug auf qualitativ hochwertige Baustoffe und -techniken weist Brasilien somit einen großen Nachholbedarf auf, insbesondere bei der Mechanisierung und Automatisierung der Bauausführung.

Argumente für industrielles Bauen häufen sich

Trotz immenser Kostenvorteile hat das industrielle Bauen in Brasilien bislang nur einen Marktanteil von maximal 10 Prozent. Architekten und Ingenieure, aber auch die Behörden halten an sehr arbeitsintensiven Verfahren fest. Schließlich wünschen sich die Kunden nach wie vor individuelle Ausführungen.

Doch immer mehr Unternehmen leisten Überzeugungsarbeit, darunter auch die landesweit 264 ConstruTechs. Die Anzahl der Start-ups im Bau und Immobiliensektor wächst zweistellig. Neben den ConstruTechs verzeichnete Brasilien 2024 knapp 950 PropTechs, die die digitale Transformation in der Immobilienbranche vorantreiben. Impulse für das industrielle Bauen kommen auch von dem Programm ConstruaBrasil. Auch mittels Bürokratieabbau und Digitalisierung will die Regierung die Effizienz des Bausektors stärken.

Eine Hürde für den Fertigbau ist das Steuersystem. Mit der aktuellen Reform werden neue Weichen gestellt. Im aktuellen System unterliegt industrielles Bauen dem drei- bis vierfachen Steuersatz. Für handwerkliches Bauen dagegen gilt bislang ein niedrigerer Satz. Nach der Reform wird dieser aber auf das allgemeine Niveau angehoben. Dadurch wird handwerkliches Bauen künftig unwirtschaftlicher, erwartet Brasiliens Verband für Stahlskelettbau Abcem. Insgesamt dürften die Baukosten im Verlauf der Reform bis 2033 aber deutlich steigen.

Für mehr industrielles Bauen spricht auch, dass qualifizierte Fachkräfte immer knapper werden. Es fehlen unter anderem Maurer, Elektriker, Vorarbeiter und Schreiner. Vor dem Hintergrund des angespannten Arbeitsmarktes hatten 2024 rund 82,4 Prozent der Bauunternehmen Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Das ist mehr als in jeder anderen Branche, wie eine Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts FGV Ibre zeigt. Der Fachkräftemangel trug 2024 maßgeblich zur Steigerung der Baukosten um 6,5 Prozent bei. Während die Lohnkosten um 8,6 Prozent zulegten, stiegen die Kosten für Materialien und Ausrüstung um 5,3 Prozent und für Dienstleistungen nur um 3,7 Prozent. 

Es ist davon auszugehen, dass sich der Modulbau mit seinen Skalenvorteilen künftig mehr und mehr durchsetzen wird. Bislang zeichnet sich aber noch kein eindeutiger Trend ab. Nach einem Einbruch im Jahr 2023 geht der Verband für industrielles Bauen mit Betonfertigteilen (Abcic) davon aus, dass sich die Erholung der Nachfrage 2025 fortsetzen wird.

Digitalisierung kommt nur langsam in Gang

Die brasilianische Bevölkerung ist sehr digitalaffin. Doch im Bausektor schreitet die Entwicklung langsamer voran als in anderen Wirtschaftssektoren. Ein Grund hierfür ist die hohe Informalität des Sektors. Die Regierung verabschiedete 2018 eine Strategie zur Digitalisierung der Bauwirtschaft. Anfang 2024 passte sie die Vorgaben für die Gebäudedatenmodellierung (Building Information Modeling, BIM) aber an, da die Fristen nicht einzuhalten waren. 

Ursprünglich sollten ab 2024 alle Bauprojekte BIM einsetzen und ab 2028 alle Bauleistungen über BIM abgebildet werden. Die neuen Regierungsziele sind sehr locker. Zurzeit nutzen 33,8 Prozent der Bauunternehmen BIM routinemäßig. Das ergab eine aktuelle Umfrage des Verbands für Industrieentwicklung ABDI. Brasilien fördert den Einsatz von virtuellen Bauwerksmodellen durch Arbeitsgruppen und das BIM Fórum. Das internationale Netzwerk buildingSmart kann ausländischen Unternehmen den Aufbau lokaler Kontakte erleichtern.

Auch im Immobiliensektor ist noch viel Luft nach oben. Ein Immobilienverkauf dauert im Durchschnitt 16 Monate. Die Digitalisierung kann den Prozess beschleunigen. Bisher werden weniger als 10 Prozent der Verträge digital abgeschlossen. Die rechtlichen Grundlagen sind vorhanden. Von der Grundrissbetrachtung bis zur Vertragsunterzeichnung geht alles online. Auch virtuelle Besichtigungen sind möglich.

Neuer Rechtsrahmen bietet Chancen für den Holzrahmenbau 

Trotz einer hochproduktiven Forstwirtschaft wird Holz in der Bauwirtschaft in Brasilien nur wenig eingesetzt. Dies könnte sich mit einem verstärkten Trend zum industriellen und modularen Bauen schnell ändern. Im Juni 2023 trat die Norm für den Holzrahmenbau NBR 16.936 in Kraft, die laut der Normungsbehörde ABNT internationale Standards umsetzt.

Für eine Marktdurchdringung der Wood-Frame-Bauweise fehlte bisher ein staatlich anerkannter Standard. Doch damit sich diese Bauweise durchsetzt, müssen auch kulturelle Hürden überwunden werden, darunter Vorbehalte bezüglich der Widerstandsfähigkeit des Materials gegenüber holzzerstörenden Insekten.

 

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