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Wirtschaftsumfeld | China | Privatwirtschaft

Auch chinesische Unternehmen betreiben Risikominimierung

Um die Konjunktur anzukurbeln, braucht China die Privatwirtschaft. Doch viele Firmen sind angeschlagen. Sie expandieren lieber im Ausland - eine Chance für deutsche Zulieferer?

Von Corinne Abele | Shanghai

Der für China typische Konjunkturoptimismus ist angeschlagen - und das auch bei chinesischen nicht-staatlichen Unternehmern, Start-up-Gründern und Tech-Giganten. Einerseits hören sie die Worte der Unterstützung hochrangiger Regierungsmitglieder. Andererseits bereitet das staatliche Vorgehen gegen den Finanz- und Tech-Sektor zunehmend Sorgen. So haben einige Datenanbieter wie Wind aus Shanghai aufgrund von Datensicherheitsregularien den Zugang für Kunden aus dem Ausland eingeschränkt oder ganz gesperrt.

Unternehmen investieren außerhalb Chinas

Auch chinesische Unternehmen mit globalen Ambitionen bemühen sich, ihren Fußabdruck außerhalb Chinas zu vergrößern. So haben im 1. Quartal 2023 einige Top-Firmen große Projekte im Ausland angekündigt. Chinas Direktinvestitionen im Ausland (FDI) stiegen im selben Zeitraum auf US-Dollar-Basis um 18 Prozent. Vor allem Länder in Asien stehen hoch im Kurs. In Europa bilden Investitionen in die Batterieproduktion den Fokus, so eine Analyse zu chinesischen FDI in Europa des Mercator Institute for China Studies (MERICS) und der Rhodium Group vom Mai 2023.

Sich ein zusätzliches Standbein außerhalb Chinas zu verschaffen, nennen Unternehmensvertreter "China+1". Vor Überlegungen möglicher „China+1“-Strategien beobachten deutsche Firmen die Auslandsaktivitäten der chinesischen Branchenführer aufmerksam. Zum einen bringt deren Präsenz in Drittmärkten mehr Wettbewerb, zum anderen möglicherweise aber auch mehr Absatzmöglichkeiten.

„China+“-Strategie: für wen, mit wem?

Chinesische Elektroautobauer werden für deutsche Tier 1-Automobilzulieferer als Entwicklungspartner und Kunden wichtiger. Ihre erhöhte Präsenz unter anderem in südostasiatischen Märkten könnte auch für deutsche Kfz-Zulieferer - als fester Bestandteil der Automobilwertschöpfungskette in China - neue Absatzchancen bedeuten. So hat beispielsweise der chinesische Autohersteller SAIC Anfang Mai 2023 den ersten Spatenstich für einen Elektroauto-Industriepark in Chon Buri in Thailand getätigt. Im Park sollen künftig unter anderem Batterien sowie Komponenten für Elektroautos hergestellt werden.

Risikominimierung und dennoch präsent

Doch wie weit dürfen und können „China+“-Strategien überhaupt zulasten des Standorts Chinas gehen? Denn die Unternehmen müssen mit kurzen Lieferzeiten und neuen Produkten am Start sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben – das heißt weiter investieren und entwickeln bei schwieriger werdenden Geschäftserwartungen. Der Einkaufsmanager-Index für das verarbeitende Gewerbe sank im April 2023 unter die Wachstumsschwelle und ging im Mai nochmals weiter nach unten. 

Vor dem Hintergrund war der Kfz-Sektor im 1. Quartal 2023 mit einem Zuwachs der Investitionen in Anlagevermögen um 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eher die Ausnahme. Kfz-Firmen müssen angesichts der Doppeltransformation hin zu Elektromobilität und autonomem Fahren investieren. Es geht um nicht weniger als das langfristige Überleben. Auch sind Investitionen chinesischer Staatsfirmen in den letzten drei Jahren immer stärker gewachsen, so das chinesische Statistikamt. Sowohl chinesische nicht-staatliche Unternehmen als auch ausländische Tochterfirmen halten sich hingegen eher zurück. Als Daumenregel gilt: Je kleiner die Firma, desto größer die Skepsis.

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Zwischen Dringlichkeit und Unsicherheit

Ein Rückzug aus dem chinesischen Markt ist jedoch für die wenigsten deutschen Unternehmen tatsächlich eine Alternative. In der Geschäftsklimaumfrage der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in China 2022/23 gab knapp über die Hälfte der befragten 574 Unternehmen an, weiter in China zu investieren. Doch das Vertrauen in künftig realisierbare Marktchancen schwindet.

Bereits seit 2020 übertreffen die in den jeweiligen Branchen von den befragten AHK-Mitgliedern erwarteten neuen Geschäftsimpulse regelmäßig die anschließend eintretende Realität. Das geht aus dem Bericht "The New China Story" von Roland Berger und der AHK vom Februar 2023 hervor. Mit 38 Prozent der Antwortenden sprachen sich in der AHK-Geschäftsklimaumfrage 2022/23 daher so viele wie nie zuvor gegen weitere Investitionen in China aus. Ein Jahr zuvor hatte der Anteil etwa 24 Prozent betragen. 

 "Gefangen zwischen Dringlichkeit und Unsicherheit" beschreibt "The New China Story" die schwierige Situation. Denn wenn Kapazitätserweiterungen in China nicht mehr mit Kundenbedarf und/oder Konkurrenz mithalten, könnte dies der (unfreiwillige) Beginn eines schleichenden Rückzugs aus dem chinesischen Markt sein. Viele der derzeitigen Diskussionen zwischen China-Topmanagement und Firmenzentrale in Deutschland oder Europa drehen sich im Kern um diese Herausforderung. Dies gilt für die Automobilbranche und ihre Zulieferer genauso wie für den Maschinenbau oder die Chemiebranche.

Kein "Weiter so"

Es geht nicht um ein "Weiter so". Trotz der wortreichen Charmeoffensive der chinesischen Regierung gegenüber Privatwirtschaft und ausländischen Investoren scheint dies allen klar. Dabei kann die Regierung, gerade wenn es um Arbeitsplatzschaffung geht, nicht auf mittelständische, in der Regel nicht-staatliche Firmen verzichten. Ende 2021 gab es rund 45 Millionen Privatunternehmen in China. Sie sind laut Regierungsangaben für über 80 Prozent der städtischen Arbeitsplätze und mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich. Dies bestätigt das "Little Giant"-Programm. Bis 2025 möchte China 10.000 innovative, kleine und mittlere Unternehmen entwickeln, sogenannte "kleine Riesen". Sie sind ein bislang unersetzbarer Bestandteil des Wirtschaftssystems in China.

Steigende geopolitische Unsicherheiten und das immer stärkere Primat der Ideologie über die Wirtschaft in China sorgen aber dafür, dass chinesische Unternehmen mit globalen Ambitionen, deutsche Weltmarktführer sowie multinationale Konzerne gleichermaßen bestrebt sind, ihr China-Risiko zu verringern. In gewisser Weise sitzen sie alle im gleichen Boot. Der Kampf um die besten Plätze an Bord wird dann in Drittmärkten ausgefochten werden.

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