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Wirtschaftsumfeld | China | Coronavirus

Chinas Corona-Strategie erweist sich als Sackgasse

Die chinesische Regierung steckt mit ihrer bisherigen Covid-19-Strategie fest. Zivile Proteste erreichen eine neue Stufe. Wie reagiert die Wirtschaft?

Von Corinne Abele | Shanghai

Seit die strikten Covid-19-Maßnahmen bestehen, leisten Menschen in China im Einzelfall Widerstand. Doch erstmals geht es bei den jüngsten Protesten in großen Städten wie Beijing, Shanghai, Nanjing oder Wuhan nicht allein um die eigene Betroffenheit oder um Widerstand gegen konkrete, teilweise lebensgefährdende Lockdown-Beschränkungen. Vielmehr stehen Frustration und enttäuschte Hoffnungen auf eine schnelle Lockerung nach dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei im Oktober 2022 im Vordergrund. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass es aus der verfahrenen Situation wohl nur noch schmerzhafte Auswege gibt. Unterdessen steigen die Infektionsfälle rasant an. Allein 37.612 neue Coronafälle wurden am 29. November 2022 im Land registriert, fast 89 Prozent zeigten keine oder nur milde Krankheitssymptome.

Lockerungen scheitern an lokaler Umsetzung

Insgesamt 20 Lockerungen hat die Regierung am 11. November 2022 verkündet, unter anderem verkürzte Quarantänezeiten für Einreisende sowie keine Nachverfolgung und keine Konsequenzen für Zweitkontakte. Doch im realen Alltag ist aufgrund der steigenden Fallzahlen nichts davon zu spüren. "Das stößt in Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend auf Unmut, der sich nun entlädt", sagt Jens Hildebrandt, Delegierter der deutschen Wirtschaft in Beijing.

Geschäftsreisen sind längst nur noch etwas für Abenteurer.

Selbst der Besuch im Buchladen oder in der Shoppingmall in der eigenen Stadt wird vermieden, um nicht Tage später aufgrund eines digital nachverfolgten Kontakts mit einem Coronainfizierten im Quarantänelager oder -hotel zu landen. Mittlerweile hat fast jeder eine Freundin oder einen Verwandten im Lockdown. Am 30. November 2022 gab es landesweit 38.399 Hochrisikogebiete – Spitzenreiter mit 4.954 Hochrisikogebieten ist die Hauptstadt Beijing.

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Noch läuft die Wirtschaft, allerdings keineswegs rund. Zwar dürfte Chinas Bruttoinlandsprodukt 2022 laut Nomura noch um rund 2,8 Prozent wachsen, doch die Anzeichen für einen Abschwung häufen sich. Bereits seit Juli 2022 schrumpfen die akkumulierten Gewinne. Auf ausländisch investierte Unternehmen trifft dies bereits seit Anfang 2022 zu. Teils sind die Rückgänge zweistellig.

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Auch deutsche Unternehmen leiden unter den Coronamaßnahmen und der schwachen Wirtschaftsdynamik. Dies verdeutlicht etwa die Herbstumfrage 2022 des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) unter 311 Mitgliedsfirmen in China. Mehr als die Hälfte der Unternehmen gab Covid-19-Maßnahmen als Herausforderung für ihr China-Geschäft an, mit deutlichem Abstand vor Rohstoff- und Vorproduktemangel. Rund 30 Prozent rechneten in der zweiten Oktoberhälfte mit sinkenden Aufträgen in den nächsten drei Monaten, während gut die Hälfte von Stagnation ausging.

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Dennoch bleiben deutsche Unternehmen auch gelassen. "Wir haben gelernt, mit temporären Lockdowns umzugehen und sind vorbereitet", erklärt Reiner Haberstock, General Manager beim Automobilzulieferer Arnold Fasteners in Shenyang, der zur Würth-Gruppe gehört. "Das ist inzwischen unsere Normalität". Bislang sind in den sozialen Medien keine Berichte von Protesten in den nördlicheren Provinzen wie Liaoning aufgetaucht, wo die Firma ihren Sitz hat.

Anders sieht es in Guangzhou aus, der Hauptstadt der wirtschafts- und exportstarken Südostprovinz Guangdong, wo aufgebrachte Bürger noch Tage zuvor Teststationen demolierten. Ende November 2022 sind weite Teile der Stadt als Risikogebiet eingestuft und im Lockdown. Dort arbeiten deutsche Firmen mit ihren Mitarbeitern im "Closed Loop". Das heißt sie leben und arbeiten temporär auf dem Fabrikgelände, um die Produktion am Laufen zu halten.

Deutsche Firmen sind krisenerprobt

"Das größte Problem für die Unternehmen ist die kurzfristige Ankündigung epidemischer Maßnahmen. Sie benötigen mehr Vorlaufzeit", betont Martin Klose, Delegierter der deutschen Wirtschaft in Guangzhou. Dennoch seien die Firmen inzwischen krisenerprobt, hätten ihre Lieferketten diverser aufgestellt und könnten Unterbrechungen leichter vermeiden. Mit der wachsenden Unsicherheit und Unplanbarkeit scheinen sie bislang relativ gut umgehen zu können. Auch die im Oktober 2022 im Rahmen der VDMA-Geschäftsumfrage befragten deutschen Maschinenbauer und VDMA-Mitglieder in China erwarten für 2023 eine durchschnittliche Umsatzsteigerung von 6 Prozent. Etwa zwei Drittel prognostizieren steigende Umsatzzuwächse.

China steht ein harter Winter bevor

Ob die Erwartungen erfüllt werden, dürfte sich in den nächsten Monaten entscheiden. Mit seiner "flexiblen" Null-Covid-Strategie steckt China in der Sackgasse. Selbst kleine Lockerungsschritte sind nicht einfach umzusetzen, denn die Regierung wird die im Kampf gegen Corona gerufenen Geister nicht mehr los. So muss zum einen die in der Bevölkerung entfachte Angst, sich mit einem hochgefährlichen und tödlichen Virus anzustecken, eingedämmt werden. Covid-19-Infizierte werden auch deshalb ins Quarantänelager gebracht, weil sich verängstigte Nachbarn weigern, mit ihnen Tür an Tür zu leben. Zum anderen zögern Verantwortliche vor Ort, Lockerungen umzusetzen, eventuell Fehler zu begehen und damit einen lokalen Ausbruch, das eigene Karriereende und sogar Strafverfolgung zu riskieren.

Von koordinierter Lockerung kann keine Rede sein.

Nichtsdestotrotz sind am 30. November 2022 in verschiedenen Städten wie Beijing vereinzelt kleinere Lockerungsschritte zu beobachten. Guangzhou könnte sich sogar zum Testlabor für einen neuen Umgang mit Covid-19 entwickeln. Während landesweit wohl weiter Quarantänelager, etwa in Xi'an, aufgebaut werden, wächst die Furcht vor einem temporär unkontrollierten Pandemieverlauf wie zuvor in Hongkong. Epidemiologen sind vielfach verständnis- und ratlos, warum China das Jahr 2021 nicht für große Impfkampagnen gerade für am meisten gefährdete Personengruppen zumindest mit den eigenen Impfstoffen genutzt hat, wenn es schon ausländische Impfstoffe ablehnt. Denn einen Immunschutz aufzubauen, dauert Monate. Inzwischen scheint die Chance vertan. China steht ein harter Winter bevor.

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