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Israel: Mangelnde Strategie gefährdet den KI-Standort
Israel gilt als führend bei Forschung und unternehmerischer Initiative zur Künstlichen Intelligenz. Die Regierung tut sich mit der Förderung der nötigen Infrastruktur aber schwer.
03.11.2025
Von Wladimir Struminski | Israel
Im weltweiten Ranking der Fähigkeiten zur künstlichen Intelligenz (KI) liegt Israel laut dem Tortoise Global AI Index 2024 auf Rang 9 Zu den herausragenden Stärken des israelischen KI-Ökosystems gehören laut diesem Ranking die wirtschaftliche Nutzung der KI, die Entwicklungstätigkeit, das Qualifikationsniveau der Fachkräfte und die wissenschaftliche Forschung.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Besonders die große Anzahl an aktiven Unternehmen trägt zum Erfolg der KI-Branche bei. Nach Angaben der gemeinnützigen israelischen Organisation Start-up Nation Central waren 2023 in Israel 2.170 KI-Firmen tätig. Das entsprach knapp einem Drittel der Hochtechnologieunternehmen des Landes.
Diese Stärken nutzen die israelischen KI-Unternehmen auf dem Weltmarkt. Lösungen in Bereichen wie Cybersicherheit, Landwirtschaft, Fintech und Gesundheitswesen werden in hohem Maß exportiert. Aber auch die Präsenz ausländischer Unternehmen unterstreicht die internationale Bedeutung der Branche. Nach Angaben der israelischen Innovationsbehörde sind neben einheimischen Unternehmen rund 100 Forschungs- und Entwicklungs(FuE)-Zentren multinationaler Konzerne auf dem Gebiet der KI-Technologie tätig. Zu den ausländischen Unternehmen, deren FuE-Zentren KI-Technologien entwickeln, gehören nach Angaben der Innovationsbehörde unter anderem Intel, IBM, Nvidia, Google und Microsoft.
Der Staat hinkt hinterher
Laut der 2024 veröffentlichten Analyse des RISE-Instituts "Israeli AI Landscape" sieht sich die israelische Branche drei zentralen Herausforderungen gegenüber: Es mangelt an Forschern und Experten, die Recheninfrastruktur ist ungenügend und es fehlen innovationsfreundliche gesetzliche Rahmenbedingungen.
Die ersten Konsequenzen sind bereits zu beobachten. Trotz des guten Rankings im Tortoise-Index für 2024 zeigt der Trend nach unten: 2019 belegte Israel noch Rang 5. Im Februar 2025 warnte Uri Gabai, Generaldirektor des auf Hightech spezialisierten Forschungsinstituts RISE, in einem Beitrag für die Wirtschaftszeitung Calcalist: "Israel schafft es nicht, seine internationale Führungsposition auf dem Gebiet der KI zu behaupten."
Alle drei Punkte hängen mit der Regierungspolitik zusammen. Trotz ihres hohen Fachniveaus sind nicht genügend KI-Fachkräfte verfügbar. Insbesondere bildet das Hochschulwesen in KI-relevanten Fächern nicht genügend Experten mit Master oder postgradualem Abschluss aus.
Den Aufbau der nötigen Recheninfrastruktur für Forschung, Entwicklung und Umsetzung von KI kann die Privatwirtschaft nicht alleine stemmen, sodass auch hier stärkeres Regierungsengagement erforderlich ist. Hinzu kommt, dass es weder eine zentrale staatliche Stelle, die die KI-Politik verbindlich steuert gibt, noch eine klare gesetzliche Regelung zur künstlichen Intelligenz.
Unterfinanzierung verlangsamt Entwicklung
Im November 2024 bemängelte ein Bericht des Amts des Staatskontrolleurs (in etwa mit dem Bundesrechnungshof vergleichbar) die unzureichende Finanzierung für KI. So habe das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Technologie 2022 zwar ein "Nationales Programm für Künstliche Intelligenz" gestartet. Das Programm, das bis 2027 laufe, habe rund 300 Millionen US$ für die Entwicklung des Sektors vorgesehen.
Dieser Betrag sei indessen viel niedriger als von zwei Expertenkommissionen angeregt. Bis 2024 seien zudem lediglich 40 Prozent der für die erste Phase bestimmten Mittel abgeflossen oder haushaltspolitisch zweckbestimmt worden. Die mangelnde Finanzierung habe sowohl die Entwicklung der Infrastruktur als auch den Aufbau des Humankapitals behindert.
In einem im Juni 2025 veröffentlichten Bericht stellten die Experten vom RISE-Institut fest, dass vor allem Eliteeinheiten des Militärs als Kaderschmieden für IT-Fachkräfte gedient hätten, wovon die privatwirtschaftliche IT-Branche stark profitiert hätte. Bei KI liege die Innovationsspitze aber bei großen Technologiekonzernen, nicht beim Militär. Eine stärkere staatliche Förderung der Ausbildung sei daher wichtig, um den Wettbewerbsvorteil des Know-hows zu erhalten.
Ansätze einer Strategie sind erkennbar
Zumindest hat der Staat die Defizite offenbar erkannt. Im April 2025 veröffentlichte die Innovationsbehörde im Einklang mit den Vorgaben des Nationalen Infrastrukturforums für Forschung und Entwicklung ein KI-Programm. Das KI-Programm zielt auf den Ausbau der Infrastruktur und Forschung, auf stärkere Nutzung von KI im Bereich Hightech und auf breite Anwendung künstlicher Intelligenz im öffentlichen Sektor.
Für die Nutzung im Hightechsektor befürwortet die Innovationsbehörde verstärkte Förderung bahnbrechender KI-Technologien. Sie setzt sich ein für die Einrichtung regulatorischer Reallabore in Branchen mit hohem wirtschaftlichem Potenzial, für die Unterstützung von Pilotprojekten und für die Nutzung einzigartiger israelischen Datenressourcen ein. Zu letzteren zählen digitalisierte, flächendeckende medizinische Langzeitdaten, Daten in den Bereichen Cyber-Security und innere Sicherheit sowie Daten zur Wasserwirtschaft und Präzisionslandwirtschaft.
Es gibt auch bereits konkrete Umsetzungen des KI-Programms: Ein Leuchtturmprojekt der Regierung ist der Aufbau eines nationalen KI-Forschungsinstituts. Zudem beauftragte die Innovationsbehörde im Mai 2025 die niederländische Nebius Group mit dem Bau eines nationalen Supercomputers. Dieser soll israelischen Unternehmen und Forschern wirtschaftlich tragbares Trainieren von KI-Modellen ermöglichen und damit grundlegende Infrastruktur schaffen.
Ein KI-Gesetz wurde in Israel bisher nicht verabschiedet. Immerhin veröffentliche das Innovationsministerium im Dezember 2023 Grundsätze für eine gemeinsam mit dem Justizministerium erarbeitete KI-Politik. Die Prinzipien der vorgeschlagenen Politik orientieren sich an den Empfehlungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die "verantwortungsvolle Innovation" in den Mittelpunkt stellen. Die OECD empfiehlt, ethische Prinzipien mit Schwerpunktlegung auf Gleichberechtigung, Transparenz, Verlässlichkeit, Rechenschaftspflicht und Nachhaltigkeit einzuführen.
Im richtigen Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft hat KI großes Wachstumspotenzial in Israel. Das israelische Ökosystem verfügt über fundiertes Fachwissen und ein grundlegendes Verständnis für die Bedürfnisse der KI-Branche.