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Lateinamerikas Agribusiness vor wichtigen Zukunftsfragen

Klimawandel, technologische Umbrüche und Nachfrageänderungen prägen die Zukunft der Landwirtschaft in Lateinamerika. Aktuell muss der Sektor die Folgen des Ukrainekriegs abfedern.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Die Risiken im Agrar- und Lebensmittelsektor sind seit dem Krieg in der Ukraine weltweit gestiegen. Ausbleibende Getreidelieferungen und die rückläufige Verfügbarkeit von Düngemitteln treiben die Preise nach oben - mit Folgen auch für Lateinamerika. Jedoch ist die Situation dort wegen der eigenen großen Agrarproduktion entspannter als etwa in Afrika oder Europa.

Globaler Klimawandel fordert Anpassungen in der Landwirtschaft

Dennoch stuft der Kreditversicherer Coface die Lage der Landwirtschaft auf dem Subkontinent mit hohem Risiko ein. Grund ist der weltweite Klimawandel. Ähnlich sieht es die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL): Die Folgen des Klimawandels senken die Produktivität. Besonders gefährdet sind die tropischen und subtropischen Anbaugebiete, aber nicht nur diese - und nicht erst in Zukunft.

Chile beispielweise leidet bereits seit 2006 unter einer ausgeprägten Dürre, die von manchen Experten angesichts des Klimawandels schon als Dauerzustand interpretiert wird. In Brasilien, Argentinien und Paraguay beeinträchtigt seit 2019 das Wetterphänomen La Niña die Ernte. Grundsätzlich ist künftig mit extremeren Wetterlagen zu rechnen.

Landwirtschaftliche Betriebe müssen den Umgang mit Wasser stärker in den Fokus rücken - entweder, weil es an Wasser mangelt, oder weil die Gefahr von Überflutungen steigt. Eng damit verknüpft ist die Notwendigkeit des Bodenschutzes und der Erhalt der Biodiversität.

Vor diesem Hintergrund müssen den neuen Bedingungen angepasste Pflanzensorten und Technologien gefunden werden. Konkret könnte dies zum Beispiel für Chile heißen: mehr Mandeln statt Avocados.

Technologische Lösungen zum effizienteren Ressourceneinsatz

Gebraucht werden künftig verstärkt Technologien, Maschinen und Geräte zum effizienteren Einsatz der vorhandenen Ressourcen - seien es Wasser, Düngemittel oder Herbizide und nicht zuletzt menschliche Arbeitskraft. Nach Aussagen von Branchenfirmen lassen sich schon mit einfachen Mitteln in der Bewässerung große Effizienzsteigerungen erzielen. Eher für größere Agrarbetriebe eignen sich Hightech-Systeme wie digitales Monitoring oder der Einsatz von Luft- und Satellitenbildern.

Groß sind die Hoffnungen, die auf einer stärkeren Digitalisierung ruhen. So zitiert die CEPAL Smart-Farming-Projekte, in denen die Produktion um 50 bis 80 Prozent gesteigert wurde - bei um 20 bis 40 Prozent niedrigeren Kosten. Ein Vorreiter bei der Satellitennutzung sowie der digitalen Steuerung und Überwachung von Ernte- und Sämaschinen ist Argentinien.

Allerdings scheitert Digitalisierung - abgesehen von der Finanzierung - nicht selten am Internetzugang. Laut dem Substantial Rural Connectivity Index hatten in Lateinamerika 2020 in ländlichen Räumen 63 Prozent der Menschen keinen ausreichenden Internetzugang.

Der Druck zu stärkerer Mechanisierung und Automatisierung kommt auch von anderer Seite: Aufgrund der niedrigeren Bevölkerungszuwächse und weil viele junge Menschen in die Städte ziehen, muss das verfügbare Land von weniger Händen bestellt werden als zuvor. In Chile etwa berichten die Medien wiederholt von personellen Engpässen bei der Obst- und Weinernte.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, wenn Firmenvertreter sagen: "Gefragt sind Lösungen, die sich rasch rechnen, wenig Energie verbrauchen und sich vor Ort gut reparieren lassen."

Nachfrage nach Agrargütern wächst und fächert sich auf

Nach wie vor wächst die Nachfrage nach Agrarprodukten weltweit, weil die Weltbevölkerung, wenn auch gebremst, weiter zunimmt. Darüber hinaus steigt mit den Einkommen die Nachfrage nach Obst sowie Fleisch und Milchprodukten - und damit auch nach Futtermitteln wie Soja.

Hinzu kommt das steigende Interesse an der Nutzung von Biomasse, zum Beispiel als Rohstoff für Biokraft- oder Biokunststoffe sowie als Düngemittel. Allerdings steht gerade die oft damit verbundene Flächenausweitung - etwa zu Lasten des Amazonaswaldes - in scharfer Konkurrenz zur Notwendigkeit seines Erhalts zum Klima- und Biodiversitätsschutz.

Lateinamerikas Bedeutung für die Welternährung

Bei der Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung spielt der Subkontinent eine Schlüsselrolle. Die größten Länder der Region zählen zu den global führenden Agrarexporteuren. Im Ranking der Welternährungsorganisation FAO stand Brasilien 2020 auf Rang 3, gefolgt von Mexiko und Argentinien auf den Plätzen 13 und 14. Weitere wichtige Nettoexporteure sind Chile, Costa Rica, Ecuador, Paraguay und Uruguay.

Laut CEPAL erzeugen die 660 Millionen Einwohner Lateinamerikas und der Karibik Nahrungsmittel für 800 Millionen Menschen. Doch scheint diese Zahl sehr konservativ berechnet zu sein: So kann allein das kleine Uruguay nach Informationen des dortigen Landwirtschaftsministeriums mit seinen 3,4 Millionen Einwohnern rund 30 Millionen Menschen versorgen - ganz zu schweigen vom Agrarriesen Brasilien, der in der Lage ist, 800 Millionen Menschen zu ernähren, heißt es beim nationalen Agrarforschungsinstitut Embrapa.

Zugleich baut die Region ihre Position als Agrarexporteurin weiter aus, wenn auch mit unterschiedlicher Zielrichtung. Während sich zum Beispiel Mexikos Export überwiegend auf die USA konzentriert, gehen Sojabohnen aus Brasilien und Argentinien vorrangig nach China. Für Kaffee sind die USA und Europa die Hauptdestinationen. Trotz ihrer Abhängigkeit von Düngemitteln aus Russland profitieren die Länder von den nach wie vor hohen Verkaufspreisen für ihre Agrargüter.

Doch nicht in allen Ländern der Region ist der Agrarsektor gleichermaßen stark. So können Venezuela und einige kleinere Karibikstaaten ihre Bevölkerung nicht aus eigener Kraft ernähren - und leiden folglich unter höheren Importausgaben für Nahrungsmittel.

Anders sieht es bei den großen Exporteuren wie Brasilien und Argentinien aus. Sie profitierten trotz ihrer Abhängigkeit von Düngemitteln aus Russland kurzfristig von höheren Verkaufspreisen für ihre Agrarprodukte. Obwohl die Preise in einzelnen Segmenten wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der dem russischen Angriffskrieg liegen, sind sie immer noch relativ hoch.  

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