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Lateinamerikas Rohstoffreichtum wartet nicht auf Europa

Die Hoffnungen in Deutschland und Europa auf die Bodenschätze des Subkontinents sind groß. Doch im Gegensatz zum Engagement anderer Staaten fehlt es an konkreten Projekten.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Lateinamerika zählt zu den wichtigsten Bergbauregionen der Welt. Bei vielen Vorkommen liegt der Subkontinent global auf einem der vorderen Ränge. Das gilt besonders für Kupfer, Silber und Lithium. Interessant sind aber auch die bedeutenden Vorkommen an weiteren Erzen und Mineralien wie Blei, Eisen, Gold, Graphit, Zink und Zinn.

Neben diesen klassischen Rohstoffen spielt die Region auch eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Weltwirtschaft mit Molybdän, Selen und Kobalt. Steigen könnte die Bedeutung Lateinamerikas künftig bei der Förderung weiterer "kritischer" (Halb-)Metalle wie Indium, Germanium oder Tellur sowie Seltener Erden. Deren Vorkommen sind vielfach noch nicht ausreichend erforscht - ein Thema, mit dem sich unter anderem die Asociación de Servicios de Geología y Minería Ibanoamericanos (ASGMI) befasst.

Auch sonst sind viele Lagerstätten vermutlich noch unbekannt. Doch von der Erkundung zur Erschließung und kommerziellen Nutzung ist es ein weiter und teurer Weg. "Aus 300 bis 500 Explorationsprozessen wird eine Mine", sagt Achim Constantin von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Dessen ungeachtet befinden sich derzeit in der Region überall große Projekte in der Pipeline.

"Friendshoring" - die neue Ausrichtung gegenüber Lateinamerika

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schwärmt vor diesem Hintergrund von einer Region, die nicht nur über große Rohstoffvorkommen verfüge, sondern außerdem eine hohe "Demokratiedichte" aufweise, vergleichsweise "friedlich und konfliktfrei" sei und sich deshalb als "verlässlicherer Partner für Deutschland und Europa" anbiete.

Zwar ist Lateinamerika keine Insel der Seligen; nicht wenige Länder leiden unter Korruption, schwachen staatlichen Institutionen oder organisiertem Verbrechen. Trotzdem schaffen viele immer wieder demokratisch legitimierte Machtübergänge. Tatsache ist auch, dass Europa neue Rohstofflieferanten finden muss, wenn es seine wirtschaftlichen Abhängigkeiten zu anderen Weltregionen - speziell zu China oder Russland - verringern will.

Europa im Wettbewerb mit anderen rohstoffhungrigen Nationen

Doch Europa ist nicht der einzige Interessent vor Ort. Gerade China ist schon seit über einer Dekade dabei, sich über Direktinvestitionen gezielt Zugang zu Rohstoffen zu sichern - ohne sich in Fragen zu sozialen oder ökologischen Standards zu verlieren. Dass Lateinamerika für Auslandsinvestoren etwa mit Blick auf Korruption oder mangelhafte Rechtssicherheit eine problematische Region ist, preisen die chinesischen Firmen ein. Angesichts der bisherigen Zögerlichkeit des Westens sehen viele lateinamerikanische Politiker aus allen Lagern China daher als pragmatischen Partner, der auch einmal Geld in die Hand nimmt.

Oder, wie es Jorge Heine, ehemaliger chilenischer Minister der linksliberalen Partei PPD, beim IX. Amerika-Gipfel in Los Angeles im Juni 2022 formulierte: "Wenn amerikanische Vertreter lateinamerikanische Länder besuchen, sprechen sie oft über China und warum wir nicht mit China Geschäfte machen sollten. Wenn uns chinesische Offizielle besuchen, sprechen sie über Brücken, Tunnel, Autobahnen, Eisenbahnen und Handel. Das ist viel attraktiver."

Vor diesem Hintergrund passt ins Bild, dass es bei der jüngsten EU-Latin America Convention on Raw Materials Anfang November 2022 in Santiago de Chile lediglich um eine Vertiefung des Dialogs ging, nicht aber um konkrete Vorhaben.

Bergbau ist nicht gleich Bergbau

Generell handelt es sich beim Bergbau in Lateinamerika um einen sehr heterogenen Sektor. Beispielsweise

  • stehen auf der einen Seite Länder mit langer Bergbautradition, großen Minen und erfahrenen Fachleuten in den Behörden wie Chile, Brasilien oder Mexiko - und auf der anderen Seite solche wie Ecuador oder Panama, die gerade erst mit dem Bergbau beginnen und in denen dieses Know-how noch aufgebaut werden muss;
  • existieren häufig internationale Konzerne, die oft nach ihren eigenen Standards arbeiten, parallel zu mittelgroßen, meist nationalen Unternehmen und einem großen informellen/illegalen und damit völlig unkontrollierten Bergbau, wie etwa in Peru oder Ecuador.

Für letztere Länder stellt der Umgang mit dem Sektor aus sozialen und Umweltgesichtspunkten eine enorme Herausforderung dar.

Sorgfaltspflichten nehmen zu

Doch nicht nur für diese. Überall gewinnt die soziale und ökologische Verträglichkeit von Großprojekten an Gewicht - von Seiten der Öffentlichkeit, des Staates und der Unternehmen selbst. In Chile beispielsweise denken viele Firmen über Kohlendioxideinsparungen nach. Wasser ist ein weiteres brennendes Thema, denn oft stehen die Minen bei ihrem Wasserbedarf in direkter Konkurrenz zur Bevölkerung.

Darüber hinaus wächst die Erwartungshaltung der Bevölkerung gegenüber den Betreibern, etwa zum Aufbau der lokalen Infrastruktur beizutragen. Das gilt besonders für große Konzerne, nicht nur mit Blick auf stärker auf Compliance achtende Shareholder, sondern auch um den sozialen Frieden vor Ort zu wahren.

Trend zu Automatisierung und Digitalisierung

Eine wichtige Rolle spielt deshalb die Schaffung von Arbeitsplätzen für die lokale Bevölkerung. Eng damit verknüpft ist das Thema Ausbildung. Denn zumindest bei den großen Minen besteht ein Trend zu Automatisierung und Digitalisierung, zuletzt verstärkt durch die Pandemie, als sich möglichst wenige Menschen treffen sollten.

In diesem Sinn werden beispielsweise an der Kupfermine El Teniente in Chile, dem Bergwerk mit den weltweit größten bekannten Reserven, in einer neu angelegten, hochautomatisierten Grube die Fahrzeuge für Abbau und Transport des Erzes aus einem externen Kontrollzentrum ferngesteuert. Nur selten finden sich die erforderlichen Fachkräfte vor Ort - viele Betreiber fahren daher entsprechende Ausbildungsprogramme.

Dieser Beitrag gehört zu:

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