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Medizintechnik: Deutsche Firmen machen in Lateinamerika Geschäft
Mit rund 670 Millionen Einwohnern ist Lateinamerika ein wichtiger, aber komplexer Markt für Medizintechnik. Deutschland ist nach den USA und China der drittwichtigste Lieferant.
Von Edwin Schuh | Mexiko-Stadt
"Unser Geschäft in Lateinamerika entwickelt sich stark und wir erzielen in der Region einen jährlichen Umsatz von über 500 Millionen US-Dollar", berichtete Jens Papperitz, Vertriebsleiter beim Medizintechnikunternehmen B. Braun auf einer Konferenz des Lateinamerika-Vereins im Oktober 2025 in Köln. Papperitz ist von Johannesburg aus für den Vertrieb in Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten zuständig. Auch wenn das Bevölkerungswachstum in Lateinamerika nicht so dynamisch ist, wie etwa in Afrika, sieht er einen hohen Bedarf an Investitionen im Gesundheitssektor.
USA könnten bald Zölle auf Medizintechnik verhängen
Laut Papperitz ist Lateinamerika nicht nur ein guter Absatzmarkt, sondern eignet sich auch als Produktionsstandort. "Bei B. Braun haben wir sechs Fertigungszentren in der Region, unter anderem in Brasilien, Kolumbien, Argentinien und in der Dominikanischen Republik", so der Manager.
Allerdings hat das US-Handelsministerium im September 2025 unter Berufung auf Sektion 232 des Trade Expansion Act angekündigt, die Einfuhren von Medizintechnik zu untersuchen. Branchenexperten zufolge könnten ab Frühjahr 2026 Zusatzzölle auf Medizintechnik gelten. Sie würden dann Unternehmen wie B. Braun treffen, die in Lateinamerika auch für den US-Markt produzieren. Aktuelle Hinweise zu den Zöllen finden Sie auf der GTAI-Sonderseite Handelspolitik unter Trump.
Politische Instabilität belastet das Geschäftsumfeld
Eine alternde Bevölkerung, die Zunahme chronischer Krankheiten und der Ausbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung kurbeln die Nachfrage nach Medizintechnik in Lateinamerika mittelfristig an. Vor allem Zahnmedizin, plastische Chirurgie und E-Health werden nach Einschätzung von Experten weiter an Bedeutung gewinnen. Ein fortschrittlicher privater Gesundheitssektor bietet gute Absatzmöglichkeiten für hochwertige Spezialprodukte. Für Kunden im öffentlichen Sektor wiederum sind der Preis und eine einfache Wartung häufig ausschlaggebend.
Der wichtigste Absatzmarkt ist Mexiko, gefolgt von Brasilien, Kolumbien und Chile. In Ländern wie Argentinien, Venezuela oder Peru belasten unbeständige Währungen und instabile politische Verhältnisse das Geschäftsumfeld. Zugleich sorgen der Modernisierungsbedarf und Nachhaltigkeitstrends für Impulse, sodass künftig mehr Kunden in der Region für neue Technologien wie chirurgische Robotik zu finden sein könnten.
US-Firmen mit starker Marktstellung in Mexiko
Dem Marktforschungsinstitut BMI zufolge hat Mexiko das größte Absatzvolumen für Medizintechnik in Lateinamerika. Es rechnet mit einem dynamisch wachsenden Absatz von durchschnittlich 5,5 Prozent pro Jahr bis 2029. Die Veränderungsrate wird auf der Basis von US-Dollar (US$) kalkuliert.
Das Programm Plan México der Regierung Sheinbaum hat den Gesundheitssektor zu einem von insgesamt neun strategischen Sektoren erklärt, die bis 2030 besonders gefördert werden sollen. So soll die lokale Produktion bestimmter Produktgruppen um 15 Prozent expandieren, unter anderem von medizinischen Verbrauchsmaterialien, chirurgischen Instrumenten, Krankenhausmöbeln und Dialysemitteln. Konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels stehen noch aus.
Gleichzeitig sieht der Plan México vor, die Prozesse für die Zulassung und den Import von Medizinprodukten bei der Behörde Cofepris (Comisión Federal para la Protección contra Riesgos Sanitarios) zu verschlanken. Hierzu erließ das mexikanische Gesundheitsministerium entsprechende Bestimmungen (siehe Zulassungen, Import).
Mexikos umfangreiche Einfuhren von Medizintechnik deckten 2024 rund 81,5 Prozent des nationalen Bedarfs. Rund zwei Drittel des Importwerts entfallen auf US-amerikanische Anbieter aufgrund des Handelsabkommens USMCA und der geografischen Nähe. Deutschland steht mit einem Lieferanteil von rund 5 Prozent auf Rang drei.
Lokal hergestellte Produkte haben in Brasilien Vorrang
Auch wenn die Gesundheitsversorgung in Brasilien unter Präsident Lula da Silva wieder eine höhere Priorität genießt, rechnet BMI wegen der schwächeren Wirtschaftslage mittelfristig mit weniger Dynamik bei Medizintechnik. So soll der Absatz zwischen 2024 und 2029 im Schnitt nur um 3 Prozent jährlich expandieren.
Rund 60 Prozent des Medizintechnikbedarfs entfallen in Brasilien auf private Krankenhäuser und Kliniken. Aktuell erweitert die Krankenhauskette Rede D'Or für rund 1,4 Milliarden US$ ihr Angebot um 5.400 neue Betten. Konkurrent Grupo Hapvida errichtet für 370 Millionen US$ landesweit zehn neue Kliniken mit 1.800 Betten.
Die öffentliche Versorgung läuft über das staatliche Gesundheitssystem SUS (Sistema Único de Saúde). Bei Ausschreibungen des SUS erhalten lokale Hersteller neuerdings Zuschläge, selbst wenn ihre Preise 10 bis 20 Prozent höher sind als die Preise ausländischer Anbieter. Ziel der Industriepolitik Nova Indústria Brasil (NIB) ist es, den Anteil lokal hergestellter Gesundheitsprodukte von aktuell rund 45 Prozent auf 70 Prozent im Jahr 2033 zu erhöhen.
Über das Programm Novo PAC investiert die Zentralregierung zwischen 2023 und 2026 rund 5,7 Milliarden US$ in den öffentlichen Gesundheitssektor. Ziel ist die Modernisierung der Infrastruktur des SUS und eine bessere Versorgung im gesamten Land, unter anderem durch den Bau von 3.000 neuen Basisgesundheitszentren.
Brasilien ist Vorreiter bei Digital Health
Beim Thema Digital Health gehört Brasilien zu den fortschrittlichsten Ländern Lateinamerikas. Durch ein Gesetz aus dem Jahr 2022 ist Telehealth landesweit erlaubt und wird in unterversorgten Regionen wie dem Amazonasgebiet als praktikable Lösung angesehen. Auch die elektronische Patientenakte ist fest etabliert. Ein deutsches Unternehmen ist bereits involviert: Siemens Healthineers schuf in São Paulo die digitale Plattform Galileu Health. Über 30 ambulante Einrichtungen sind darüber vernetzt, mit spürbaren Effekten: 570.000 registrierte Patientinnen und Patienten, 600.000 Telekonsultationen, 41 Prozent weniger Notaufnahmen und 35 Prozent weniger stationäre Einweisungen bereits im ersten Jahr.
In Chile, Peru und Kolumbien stehen Regierungswechsel an
Aufgrund der Präsidentschaftswahlen in Chile im Dezember 2025 sowie in Peru und Kolumbien Mitte 2026 sind Prognosen für diese Länder gewagt. In allen drei Ländern gelten Politiker des rechtskonservativen Lagers als Favoriten.
Sollten diese Kandidaten das Rennen machen, dürften die Gesundheitsausgaben des öffentlichen Sektors in den jeweiligen Ländern eher gedämpft bleiben. So kündigte Präsidentschaftskandidat José Antonio Kast in Chile an, er werde die öffentlichen Ausgaben innerhalb von 18 Monaten um 6 Milliarden US$ kürzen. Dennoch erwartet BMI in Chile zwischen 2024 und 2029 ein Umsatzwachstum bei Medizintechnik von durchschnittlich 8,3 Prozent im Jahr, angetrieben von starken Kupferexporten, die auch das Regierungsbudget stärken.
Etwas schwächer sollen laut BMI in diesem Zeitraum die jährlichen Wachstumsraten in Kolumbien (+6,3 Prozent) und Peru (+3,2 Prozent) ausfallen. Kolumbien könnte bei Medizintechnik 2027 ein Marktvolumen von fast 2 Milliarden US$ erreichen. Das Land ist laut BMI der drittgrößte Markt in Lateinamerika.
In Argentinien sieht BMI mit 1,3 Prozent das schwächste Wachstum der Verkäufe von Medizintechnik im untersuchten Zeitraum, wobei sich die Marktlage ab 2026 aufhellen soll. Nach drastischen Sparmaßnahmen auch im öffentlichen Gesundheitssektor will Präsident Javier Milei die Ausgaben dann wieder erhöhen.