Branchen | Polen | Kernkraft
Polen ringt um Finanzierung für das geplante Atomkraftwerk
Polen verstößt beim Bau eines Kernkraftwerks möglicherweise gegen EU-Beihilferecht, sagt die Europäische Kommission. Gleichzeitig werden Pläne für ein zweites Kraftwerk konkreter.
25.06.2025
Von Christopher Fuß | Warschau
Der gesellschaftliche Zuspruch für die Atomenergie ist in Polen ungebrochen. Laut einer Umfrage des Industrieministeriums befürworten über 90 Prozent der Bürger den Bau des ersten Kernkraftwerks des Landes. Drei Reaktoren mit einer Leistung von jeweils 1.250 Megawatt sollen in der Gemeinde Choczewo, westlich der Hafenstadt Gdańsk entstehen. Den Plänen zufolge gehen die Stromgeneratoren zwischen 2036 und 2038 Schritt für Schritt ans Netz.
Deutlich schwieriger gestaltet sich jedoch die Finanzierung des Projekts. Die polnische Regierung plant, das Vorhaben mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen, benötigt dafür aber grünes Licht aus Brüssel. Die Europäische Kommission hat die staatlichen Beihilfen bislang nicht genehmigt. Stattdessen kritisiert sie das geplante Fördermodell.
Preisgarantie hebelt den Markt aus
beträgt der geplante Anteil der Kernenergie an Polens Strommix im Jahr 2040.
Die Finanzierung des Atomkraftwerkes steht auf zwei Säulen. Zum einen soll der staatliche Betreiber PEJ umgerechnet 14 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt erhalten. Das wären etwa 30 Prozent der geschätzten Gesamtkosten des Atomkraftwerks. Zum anderen sollen die restlichen 70 Prozent, rund 33 Milliarden Euro, durch Kredite gedeckt werden. Geldgeber aus den USA, Kanada und Frankreich hätten bereits Interesse signalisiert, sagt Polens Regierung. Zur Erinnerung: Im Jahr 2022 hatte der damalige Premierminister Mateusz Morawiecki die Kosten des Atomkraftwerkes noch auf rund 23 Milliarden Euro beziffert.
Ein Differenzvertrag (Contract for Difference) soll PEJ einen festen Abnahmepreis für den erzeugten Strom sichern und so die Rückzahlung der Kredite ermöglichen. Das Industrieministerium nennt einen Preisrahmen von 112 Euro bis 131 Euro je Megawattstunde.
Die Europäische Kommission kritisiert insbesondere die geplante Laufzeit des Vertrags: 60 Jahre – also die gesamte Lebensdauer des Kraftwerks. Zudem biete das Modell kaum Anreize, die Stromproduktion in Zeiten niedriger Marktpreise zu drosseln. In fast allen Szenarien würde der Vertrag mit seinem festen Abnahmepreis hohe Einnahmen garantieren. Sollte zu viel Strom durch das Netz fließen, wäre der Netzbetreiber sogar gezwungen, den Betrieb von Kraftwerken für erneuerbare Energiequellen zu drosseln, während das Kernkraftwerk weiterarbeiten könnte.
Ohne die Zustimmung aus Brüssel kann Polen keinen Bauvertrag mit dem Technologiepartner, dem US-amerikanischen Konsortium Westinghouse-Bechtel, unterzeichnen. Das Industrieministerium hofft auf eine Einigung bis Ende 2025.
Trotz Hürden geht die Planung weiter
Ungeachtet der offenen Finanzierung unterzeichnete PEJ einen weiteren Planungsvertrag (Engineering Development Agreement) mit Westinghouse-Bechtel. Die US-amerikanischen Partner verpflichten sich darin, verschiedene Genehmigungen einzuholen und geologische Untersuchungen auf dem Baugelände fortzusetzen. Zuvor war ein Planungsvertrag (Engineering Services Contract) aus dem Jahr 2023 ausgelaufen.
Dank des neuen Vertrages will PEJ im Zeitplan bleiben. Die Projektgesellschaft hat den Beginn der Bauarbeiten für Polens erstes Atomkraftwerk bereits auf das Jahr 2028 terminiert. Bis dahin muss die Planung abgeschlossen sein.
Polnische Unternehmen kämpfen um Aufträge
Die heimische Wirtschaft soll von der Großinvestition profitieren. Laut Premierminister Donald Tusk werden mindestens 40 Prozent der Bauaufträge an polnische Unternehmen gehen. Allerdings fehlt es vielen Firmen an Erfahrung mit Atomprojekten. Die Betriebe müssen sich zunächst qualifizieren.
PEJ hat daher mehrere polnische Bauunternehmen ausgewählt, die nun einen Zertifizierungsprozess bei Westinghouse-Bechtel durchlaufen. Dazu zählen:
- Polimex Mostostal Siedlce
- Mostostal Kielce
- Mostostal Kraków
- ZKS Ferrum
- Famak
- Energomontaż-Północ Gdynia.
Energomontaż-Północ Gdynia war bereits am Bau des finnischen Kraftwerks Olkiluoto 3 beteiligt.
Westinghouse betont, man habe bis Mai 2025 über 30 Absichtserklärungen mit polnischen Auftragnehmern unterzeichnet. Zudem unterstütze man Zulieferer aus Polen bei der Erfüllung technischer Anforderungen. Hierzu gehört der Industriestandard NQA-1. Erste Ausschreibungen wurden bereits veröffentlicht. In der Tageszeitung Rzeczpospolita verspricht der Geschäftsführer des Geschäftsbereiches Energy Systems bei Westinghouse, Dan Lipman, sogar eine "Lawine von Aufträgen". Sie beginnt nach der Unterzeichnung des Bauvertrags mit PEJ.
Auch deutsche Unternehmen könnten von den Bestellungen profitieren. Firmen wie Bilfinger oder Siemens Energy signalisierten bereits Interesse an dem Projekt. Zulieferer wie der Pumpenhersteller KSB haben weltweit Projekte im Nuklearsektor umgesetzt.
Informationen zum Fortgang des Projektes
Das staatliche Unternehmen PEJ veröffentlicht die Ausschreibungen von Westinghouse-Bechtel auf einer einschlägigen Internetseite.
Zweites Atomkraftwerk in Planung
Polen will sich nicht auf ein einziges Atomkraftwerk beschränken. Die nationale Nuklearstrategie sieht den Bau weiterer Reaktoren vor. In der engeren Auswahl für den Standort eines zweiten Kernkraftwerks befinden sich die zentralpolnischen Ortschaften Konin und Bełchatów – beides bisher Hochburgen der Braunkohleförderung.
Laut dem Regierungsbeauftragten für strategische Energieinfrastruktur, Wojciech Wrochna, entscheidet eine Ausschreibung über die Wahl des Technologiepartners für das zweite Kraftwerk. Westinghouse hatte den Zuschlag von der mittlerweile abgewählten PiS-Regierung für das erste Projekt noch ohne Wettbewerb erhalten.
Der Betreiber des zweiten Kraftwerks steht noch nicht fest. Als Favorit gilt nicht PEJ, sondern Polens größter Stromversorger PGE. Dieser plant gemeinsam mit dem Braunkohleförderer ZE PAK und dem südkoreanischen Technologiepartner KHNP ein privates Atomkraftwerk in Konin. Das Projekt kommt jedoch seit Monaten kaum voran. Ob das Vorhaben in die staatliche Strategie integriert wird, ist offen.
Neben Südkorea sind auch Hersteller aus den USA, Frankreich und Kanada im Rennen um den zweiten Reaktor. Bis Ende 2026 will Polen den Technologiepartner festlegen. Der Standort soll bis 2028 bestimmt sein. Der Baustart ist für 2032 geplant. Eine zentrale Bedingung: Der Technologiepartner muss sich auch finanziell am Projekt beteiligen.