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Low angle view of manual workers discussing while using laptop. They are standing amidst machinery. Professionals are in protective workwear. Manual workers discussing while using laptop at factory | © Portra -gettyimages.com

Branchen | EU | Dekarbonisierung

Wie Europas Industrie klimafreundlich werden will

Im Kampf gegen Treibhausgase setzt die Industrie auf eine Reihe von Technologien. Deutsche Unternehmen sind an vielen Lösungen beteiligt. Doch es gibt einige Herausforderungen.

Von Niklas Becker, Christopher Fuß, Judith Illerhaus, Torsten Pauly, Frauke Schmitz-Bauerdick, Gerit Schulze | Helsinki, Warschau, Stockholm, Mailand, Paris, Prag

Die Industrie gehört in der EU zu den größten Verursachern von Treibhausgasen. Laut Europäischer Umweltagentur (EEA) entfällt rund ein Fünftel aller Emissionen auf das produzierende Gewerbe. Energieintensive Branchen wie die Stahl-, Baustoff- und Chemieindustrie tragen maßgeblich zum Ausstoß bei.

Im Rahmen des europäischen Emissionshandels (ETS) müssen Unternehmen aus diesen Industriezweigen für jede ausgestoßene Tonne CO₂ ein Zertifikat erwerben. Steigende Preise für diese Verschmutzungsrechte setzen finanzielle Anreize zur Emissionsminderung. Seit 1990 konnten die Emissionen bereits um 41,2 Prozent gesenkt werden. Doch die EU-Kommission fordert mehr: Bis 2030 sollen die Emissionen im ETS-System um 62 Prozent gegenüber 2005 sinken.

Für die EU-Staaten ist das eine Herausforderung, denn ihr Wohlstand beruht auf der Industrie. In Ländern wie Frankreich, Italien, Tschechien, Polen, Finnland und Schweden tragen produzierende Unternehmen bis zu 20 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei. Sie suchen daher Wege, ihre Emissionen zu senken und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben. Welche Technologie zum Einsatz kommt, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Für deutsche Lösungsanbieter ergeben sich unterschiedliche Chancen, je nach Land und Zielbranche.

Große Nachfrage nach Wasserstoff

Ein Beispiel ist die Stahlindustrie: Sie interessiert sich für emissionsfreien Wasserstoff. Im schwedischen Ort Boden investiert der Metallriese Stegra in ein neues Stahlwerk mit dem größten Wasserstoffelektrolyseur Europas. Deutsche Unternehmen sind mit von der Partie. Thyssenkrupp nucera und der Maschinenbauer SMS liefern Komponenten. Im südfinnischen Inkoo sind ähnliche Projekte in Planung. Der Stahlkonzern Blastr Green Steel will ein emissionsfreies Stahlwerk mit angeschlossener Wasserstoffproduktion bauen.

Auch Italien setzt auf klimafreundlichen Wasserstoff. Das Metallunternehmen Tenaris-Dalmine prüft zusammen mit den Firmen Snam und Tenova, wie sich das chemische Element als Brennmaterial bewährt. Sollte sich Wasserstoff durchsetzen, braucht Italien Importe. Laut der Wasserstoffstrategie des Landes werden Einfuhren bis zu 30 Prozent des Bedarfs decken.

Eine ähnliche Situation zeichnet sich in Polen ab. Laut Netzbetreiber Gaz System wird der Wasserstoffverbrauch im Jahr 2040 mehr als doppelt so groß sein wie die eigene Produktion. Die örtlichen Energiekonzerne investieren wegen hoher Kosten nur zögerlich in emissionsfrei arbeitende Elektrolyseure.

Hohe Kosten sind auch der Grund, warum die anfängliche Wasserstoffeuphorie in Frankreich abgeklungen ist. Der Stahlkonzern ArcelorMittal vertagte Ende 2024 die Investitionsentscheidung zur Dekarbonisierung der Stahlproduktion in Dunkerque mittels Wasserstoff.

Tschechien wiederum behandelt Wasserstoff als alternativen Kraftstoff für den Straßenverkehr. Bei der Dekarbonisierung der Industrie spielt der Energieträger dort kaum eine Rolle.

Weichenstellung für CO2-Speicherung

Eine besondere Herausforderung sind die schwer vermeidbaren Prozessemissionen, wie in der Zementproduktion. Eine mögliche Lösung ist, das Treibhausgas aufzufangen, der englische Fachbegriff lautet Carbon capture and storage, kurz CCS.

Pilotanlagen befinden sich im Bau. In Polen investiert der deutsche Zementhersteller Heidelberg Materials in Anlagen. Auch in Tschechien will das Unternehmen seine Emissionen dank CCS senken. In Schweden beteiligt sich der Konzern am Projekt Slice CCS auf der Insel Gotland. Hier soll ab 2030 eine emissionsneutrale Zementproduktion ihren Betrieb aufnehmen. Heidelberg Materials greift auf Erfahrungen aus dem Projekt Longship in Norwegen zurück.

Die Technologie könnte weiteren Branchen helfen. Tschechiens Umweltministerium will den Einsatz von CCS in der Chemie- und Stahlindustrie prüfen.

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Die Dekarbonisierung der Industrie ist technologisch möglich, sagen Fachleute. Hohe Investitionskosten und internationaler Wettbewerbsdruck bleiben die größten Hürden.

Die große Frage lautet, was mit den abgefangenen Treibhausgasen passiert. Denkbar ist, diese in unterirdischen Kammern einzulagern. Dafür fehlen vielerorts aber die rechtlichen Voraussetzungen. Das soll sich ändern. So arbeitet zum Beispiel Polens Klimaministerium an einer Reform. Außerdem soll es Förderprogramme für CCS-Anlagen geben.

Italien ist bereits einen Schritt weiter. Seit 2024 pressen die Energiekonzerne Eni und Snam CO2 in leere Gasfelder unter der Adria. Das wäre nicht überall möglich. Finnland hat nach eigenen Angaben keine geeigneten Lagerstätten.

Eigene Kraftwerke decken Strombedarf

CCS verbraucht viel Strom. Gleichzeitig elektrifiziert die Industrie weitere Prozesse, um den Einsatz fossiler Brennstoffe zu minimieren. Der Strombedarf der Industrie wird folglich weiter steigen.

Das tschechische Stahlunternehmen Třinecké železárny will Metallschrott in einem Elektroofen statt in einem Kohleofen einschmelzen. Der deutsche Kfz-Zulieferer ZF hat seinen Standort in Tschechien vollständig auf klimaneutrale Energie umgestellt und setzt unter anderem auf Solaranlagen.

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Der Technologiekonzern ZF betreibt in Tschechien seine erste Fabrik nur mit klimaneutraler Energie. Standortleiter Tomáš Michal berichtet von den Erfahrungen mit dem Projekt.

Ähnlich wie ZF bauen auch andere Unternehmen vermehrt Fotovoltaikparks, um Stromkosten zu senken. Allerdings bringen sie für viele Prozesse nicht genug Leistung. Einige EU-Länder liebäugeln daher mit kleinen modularen Atomreaktoren (SMR). Das schwedische Unternehmen Blykalla forscht mit dem Technologiekonzern ABB an einer Pilotanlage. In Italien entwickelt der Anlagenbauer Maire Tecnimont mit dem Start-up Newcleo einen neuen Reaktor.

Deutsche Firmen engagieren sich ebenfalls. Siemens plant, Turbinen für die SMR-Tochterfirma von Rolls-Royce zu liefern. Diese Anlagen könnten in Tschechien zum Einsatz kommen, da das tschechische Unternehmen ČEZ als Minderheitsaktionär bei Rolls-Royce SMR eingestiegen ist.

Wichtig für Zulieferer: Die Rahmenbedingungen können sich schnell ändern, wie ein Blick nach Polen zeigt. Der Staatskonzern Orlen und der Chemieriese Synthos wollten gemeinsam SMR-Reaktoren bauen. Dann kam der Regierungswechsel Ende 2023. Polens aktuelle Regierung scheint unzufrieden mit dem Kooperationsvertrag der Firmen. Die Nachverhandlungen laufen.

Emissionsabbau kostet – doch staatliche Förderungen sollen helfen

Frankreich unterstützt die 50 größten Industrieemittenten mit 5 Milliarden Euro. Italien stellt 2 Milliarden Euro aus der europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität für schwer dekarbonisierbare Branchen bereit, etwa für Investitionen in Wasserstofftechnologien. In Schweden übernimmt die staatliche Energieagentur Energimyndigheten die Finanzierung entsprechender Projekte. Tschechien und Polen setzen vor allem auf EU-Mittel. Zusätzlich gibt es freiwillige Vereinbarungen: In Finnland definieren Industrie und Wirtschaftsministerium gemeinsam Energieeffizienzziele.

Markt und Politik entscheiden

Ob sich eine emissionsneutrale Produktionstechnologie durchsetzt, hängt auch davon ab, ob Endkunden bereit sind, anfangs Mehrkosten zu tragen. Baukonzerne in Polen klagen darüber, dass bei öffentlichen Ausschreibungen nur der Preis entscheide. Aufpreise für klimaneutrale Materialen würden nicht berücksichtigt.

Auch der politische Wille entscheidet über Erfolg und Misserfolg. In Frankreich gehörte Dekarbonisierung bis zum Sommer 2024 zu den Prioritäten von Staatspräsident Emmanuel Macron. Doch seit der Parlamentswahl verliert das Thema an Bedeutung.

Tschechien und Polen interpretieren Dekarbonisierung zunehmend als Gefahr für die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Auch in der finnischen Regierung gibt es Stimmen, die das Ziel des Landes in Frage stellen, bis 2035 klimaneutral zu werden.

Im Kontrast dazu hält Schweden weiter daran fest, Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Das liegt auch am Rückhalt in der Bevölkerung.

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