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Branchen | Polen | Kernkraft

Verspätungen sind nicht das einzige Problem bei Polens Atomplänen

Der Standort für Polens erstes Atomkraftwerk steht fest. Wichtige Verträge sind unterschrieben. Der Termin für die Inbetriebnahme des Kraftwerks gerät indes ins Wanken.

Von Christopher Fuß | Warschau

Polens erstes Kernraftwerk wird voraussichtlich später ans Netz gehen als geplant. Das berichtet die Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna unter Berufung auf Arbeitsgespräche zwischen der staatlichen Projektgesellschaft PEJ (Polskie Elektrownie Jądrowe) und der polnischen Regierung. Demzufolge werden die ersten Reaktoren wohl nicht im Jahr 2033 ihren Betrieb aufnehmen, sondern erst ab 2035. Bislang will die polnische Regierung nicht bestätigen, dass der Termin 2033 nicht zu halten ist. Das Klimaministerium kündigte nur an, den Zeitplan zu aktualisieren.

Keine Änderung gibt es hingegen beim geplanten Standort für das erste Kraftwerk aus Polens staatlichem Atomprogramm (Program polskiej energetyki jądrowej). Es bleibt bei der Gemeinde Choczewo, die rund 80 Kilometer westlich der Hafenstadt Gdańsk liegt. Hochrangige Lokalpolitiker hatten zwar einige Bedenken geäußert, ruderten aber zurück, nachdem es einen medialen Aufschrei gab. Das Klimaministerium stellt außerdem in einem Schreiben klar: "Die Standortentscheidung in der Gemeinde Choczewo ist endgültig."

Damit sind nicht alle Hürden aus dem Weg geräumt. Naturschutzverbände und Privatpersonen haben Widerspruch gegen die Umweltgenehmigung des Kraftwerks eingereicht. Polens Umweltamt GDOŚ (Generalny Dyrektor Ochrony Środowiska) hatte das Dokument bereits 2023 ausgestellt. Das nun laufende Verfahren stoppe aber "in keiner Weise die vorbereitenden Arbeiten am Standort", versichert PEJ.

Vor allem die Baubranche ist gespannt

Ein Konsortium der US-amerikanischen Firmen Westinghouse und Bechtel liefert die nötige Kraftwerkstechnik. Die Haupttechnologiepartner haben bis Anfang 2025 Zeit, um technische Planungsunterlagen im Rahmen eines Ingenieurvertrags zu erarbeiten (ESC - Engineering Service Contract). Die Kosten für den Entwurf liegen bei geschätzten 340 Millionen Euro. Bechtel führt bereits Gespräche mit potenziellen Subunternehmen.

Die Baubranche verspricht sich neue Absatzchancen. Das bestätigt Piotr Kledzik, Vorstandsvorsitzender bei der polnischen Tochter der PORR-Gruppe gegenüber der Tageszeitung Rzeczpospolita: "Bauunternehmen rechnen mit Aufträgen für den Bau des Kraftwerks, aber auch für den Bau von Straßen, Tunneln, Pipelines, Abwasserkanälen und Übertragungsnetzen. Es wird reichlich Arbeit geben", sagt Kledzik. Warta, ein polnischer Versicherer, der mehrheitlich zur deutschen Talanx AG gehört, will sich als Versicherer für Polens noch junge Atomwirtschaft ins Spiel bringen.

Doch das staatliche Atomprogramm hat einen Haken. Keiner weiß, woher die über 23 Milliarden Euro kommen werden, die das Kraftwerk in Choczewo kosten soll. Bechtel und Westinghouse schließen eine finanzielle Beteiligung aus. In der Diskussion stehen sogenannte Differenzverträge. Die polnische Staatskasse würde dem Kraftwerk einen langfristigen Abnahmepreis für den erzeugten Strom garantieren. Weil es sich hierbei um staatliche Beihilfen handelt, braucht Polen eine Genehmigung der Europäischen Kommission. Im Laufe des Jahres 2024 wollen Regierung und PEJ einen entsprechenden Antrag stellen.

Internationales Interesse ist groß

Ob es im gleichen Zeitraum auch Neuigkeiten rund um das zweite geplante Kraftwerk aus dem staatlichem Atomprogramm gibt, bleibt offen. Eigentlich wollte die mittlerweile abgewählte PiS-Regierung schon im Herbst 2023 mögliche Standorte in Zentralpolen vorstellen. Das ist nicht passiert. Stattdessen gab es im Februar 2024 einen intensiven diplomatischen Austausch zwischen Polen und Frankreich. Der französische Staatskonzern EDF will Technologiepartner für das zweite Kraftwerk werden, nachdem das Unternehmen in Choczewo leer ausging.

Auch der koreanische KHNP-Konzern konnte sich beim ersten Atomkraftwerk nicht durchsetzen. Dafür arbeitet das Unternehmen nun mit den beiden polnischen Energieriesen PGE und ZE PAK an einem privaten Atomkraftwerk, außerhalb des staatlichen Atomprogramms. 

Das Projekt steht noch ganz am Anfang. Wie KHNP mitteilt wollen PGE und ZE PAK bis Ende März 2024 eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben, die wiederum bis Herbst 2025 fertig sein soll. Man wolle den späteren Bau des Kraftwerks über Anleihen und Kredite finanzieren. Südkoreanische Banken hätten Interesse gezeigt, sagt KHNP.  Die Kosten des Kraftwerks, das 2,8 Gigawatt Leistung bringen soll, schätzt der KHNP Vorsitzende Jooho Whang auf rund 11 Milliarden Euro.

Kleine Kraftwerke vor dem Aus

Eine weitere Initiative zum Ausbau der Atomkraft steckt hingegen in einer tiefen Krise. Die Rede ist vom SMR-Programm des teil-staatlichen Mineralölkonzerns Orlen und des Chemieunternehmens Synthos. Das Joint Venture will an unterschiedlichen Standorten mit einer Reihe von Partnern kleine Atomreaktoren des Typs SMR (Small Modular Reactor) installieren. Lieferant wäre GE-Hitachi. Das Klimaministerium unter der PiS-Regierung hatte für sechs Standorte eine positive Grundsatzentscheidung gefällt - und damit den Weg für weitere Schritte freigemacht. 

Allerdings fiel diese Entscheidung gegen den Willen des polnischen Inlandsgeheimdienstes ABW (Agencja Bezpieczeństwa Wewnętrznego). Eine öffentlich einsehbare Begründung gibt es nicht. Polens neuer Premierminister Donald Tusk erklärte nur, laut ABW sei das Joint Venture von Orlen und Synthos "zum Nachteil der Interessen des polnischen Staates gegründet worden." 

Unter neuer Leitung prüft das Umweltministerium nun Möglichkeiten, um die verfahrene Situation zu lösen. Orlen tauscht in der Zwischenzeit die Vorstandsposten aus. Sobald dieser Prozess abgeschlossen ist, will das Unternehmen eine weitere Beteiligung an dem SMR-Projekt überprüfen. 

Laut der Joint-Venture-Zweckgesellschaft OSGE (Orlen Synthos Green Energy) könne das Vorhaben auch ohne Orlen weitergehen. Allerdings scheinen einige Partner das Interesse zu verlieren. Stahlhersteller ArcelorMittal wollte eigentlich in seiner Stahlhütte in Krakau einen SMR mit OSGE installieren. Doch im Januar 2024 verkündete ArcelorMittal, den Bau nicht weiter zu verfolgen.

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