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Unternehmen setzen verstärkt auf lokale Produktionszentren. Von dieser Entwicklung profitiert auch Polen - trotz steigender Lohnkosten und dem Krieg im Nachbarland Ukraine.
26.04.2022
Von Christopher Fuß | Warschau
Ein gutes Autobahnnetz, eine große Baufläche und ein Seehafen in der Nachbarschaft - das sind drei Gründe, warum sich der deutsche Fördertechnikkonzern KION Group entschieden hat, eine Produktionsniederlassung im polnischen Kołbaskowo, nahe der Hafenstadt Szczecin aufzubauen. Bis Ende 2023 sollen 400 Arbeitsplätze entstehen. Bereits 2021 liefen die ersten Gabelstapler vom Band.
Jürgen von Derschau, Vice President Engineering & Operational Excellence bei KION Group, verweist auf weitere Standortvorteile: "Wir betreiben in Kołbaskowo auch Forschung und Entwicklung. Darum war uns die Nähe zu einer Großstadt wie Szczecin mit Universitäten und naturwissenschaftlichen Studiengängen wichtig. Außerdem können wir in der Region auf ein breites Lieferantennetzwerk zugreifen."
Polen ist seit Jahren ein beliebtes Ziel für ausländische Direktinvestitionen. Einige der größten Projekte werden von deutschen Unternehmen vorangetrieben. Laut der polnischen Nationalbank (Narodowy Bank Polski; NBP) liegt die Summe aller Investitionsbestände aus Deutschland in Polen bei über 35,2 Milliarden Euro.
Gegenüber anderen Standorten, beispielsweise in Asien, profitiere Polen von der geografischen Nähe zu Deutschland, sagt Ella Grünefeld. Sie unterstützt als Interimsmanagerin Unternehmen beim Aufbau von Niederlassungen in Polen. Die neuen Fabriken ausländischer Investoren werden in der Regel mit hochmoderner Technik ausgestattet oder nachgerüstet. Ein Grund: "Die Lohnkosten steigen auch in Polen. Viele Investoren setzen daher schon bei der Gründung auf Automatisierung", erklärt Ella Grünefeld.
Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Umfragen des polnischen Statistikamtes (Główny Urząd Statystyczny; GUS) belegen, dass Unternehmen Schwierigkeiten haben, Personal zu finden.
Auch KION Group in Kołbaskowo setzt auf Hightech. Jürgen von Derschau erläutert: "Wir haben eine hohe Fertigungstiefe. Das bedeutet, dass wir viele Arbeitsschritte selber umsetzen. Automatisierung ist daher, gerade mit Blick auf die steigenden Lohnkosten, sinnvoll. Wir haben viele Schritte automatisiert. Unsere Produktion ist so aufgestellt, dass bei Bedarf weitere Upgrades möglich sind."
Unternehmen, die ihre Fertigungsprozesse automatisieren, können in Polen Steuererleichterungen beantragen. Die staatlichen Wirtschaftsfördergesellschaften unterstützen Investoren außerdem finanziell und administrativ bei der Gründung einer Produktionsniederlassung. Auch KION Group nutzte lokale Angebote.
Russlands Angriff auf Polens Nachbarland Ukraine scheint das lokale Investitionsgeschehen vorerst nicht zu bremsen. So sieht es zumindest Artur Kuśnierek, Business Development Manager des deutschen Intralogistik-Unternehmens Jungheinrich in Polen: "In der Intralogistik können wir keinen Rückgang bei den Investitionsprojekten beobachten. Firmen halten an ihren Vorhaben fest, trotz steigender Energie- und Materialpreise", sagt Kuśnierek.
Ella Grünefeld sieht es ähnlich. Sie leitet aktuell ein Investitionsprojekt in Polen. Das Vorhaben mache gute Fortschritte. Eine Herausforderung seien aber die schon vor Kriegsbeginn deutlich gestiegenen Preise: "Neben Stahl ist vor allem Energie teurer geworden. Seit dem vergangenen Monat wuchs unsere Stromrechnung um 270 Prozent. Zum Glück werden wir die Energiekosten zumindest in Teilen auffangen können, da wir in Fotovoltaik investieren. So decken wir rund ein Drittel unseres Strombedarfes selbst", sagt Grünefeld.
Durch den Krieg in der Ukraine sind die Lieferketten vieler Betriebe unterbrochen. Bereits während der Coronapandemie fehlten wichtige Bauteile aus Asien. Firmen wollen solche Ausfälle vermeiden. Einige Unternehmen produzieren daher verstärkt in Kundennähe und arbeiten mit örtlichen Lieferanten zusammen. Auch der neue Standort der KION Group in Kołbaskowo ist Teil einer Regionalisierungsstrategie. Die Weichen hierfür stellte das Unternehmen bereits vor Ausbruch der Pandemie.
"Generell ist meiner Meinung nach eine lokale Produktion, falls wirtschaftlich möglich, die bessere Option. Daher versuchen wir schon seit einigen Jahren, das auch konsequent so umzusetzen", fügt Jürgen von Derschau hinzu. Einige Modelle, die in Kołbaskowo vom Band laufen, wurden bislang in China produziert. Der polnische Standort soll die bisherigen Kapazitäten erweitern und lange Lieferzeiten vermeiden.
Gute Verkehrsanbindungen werden voraussichtlich auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Standortwahl spielen. Die Länge des polnischen Autobahnnetzes hat sich seit dem EU-Beitritt 2004 versechsfacht. Davon profitieren auch ostpolnische Landesteile, die lange Zeit als unterentwickelt galten. Leo Mausbach von der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen) erklärt: "Dank der Arbeiten an den Autobahnen S7 und S19 beispielsweise werden Regionen um die zentral- und ostpolnischen Großstädte Lublin und Kielce attraktiver. In diesen Gegenden herrscht außerdem weniger Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte." Aufgrund der im Landesvergleich höheren Arbeitslosigkeit sei Personal hier leichter verfügbar.
"Als Faustregel gilt: Die Arbeitslosigkeit ist im Südwesten niedriger als im Zentrum, Norden und Osten Polens. Abseits der großen Industriezentren gibt es attraktive Mittelstädte mit relativ geringer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. In den Regionalhauptstädten müssen sich deutsche Mittelständler auf starke Konkurrenz einstellen", fasst Mausbach zusammen.
Artur Kuśnierek von Jungheinrich ergänzt: "Die östlichen Landesteile Polens wurden von Investoren lange Zeit nur zögerlich berücksichtigt. Das hat sich mittlerweile geändert. Regionen wie Rzeszów, Tarnobrzeg und Mielec entwickeln sich dynamisch. Die Woiwodschaft Warmińsko-Mazurskie im Nordosten hinkt noch etwas hinterher. Hier fehlen beispielsweise Autobahnen. Die Erfahrung in Westpolen zeigt: Wo gute Straßenanbindungen entstehen, da investieren Firmen."
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