
Special | Westbalkan | Produktionsstandorte
Produktionszentrum vor der Haustür der EU
Der Westbalkan entwickelt sich dynamisch als Produktionsstandort. Die Diversifizierung von Lieferketten sowie Nearshoring rücken die Region in den Fokus von Investoren aus Europa.
25.06.2025
Von Hans-Jürgen Wittmann | Belgrad
Die Westbalkanstaaten Serbien, Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina, Albanien, Kosovo und Montenegro sind nicht erst seit der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg im Fokus ausländischer Investoren. Eine gute industrielle Basis, verfügbare und gut ausgebildete Fachkräfte sowie zur EU vergleichsweise niedrige Lohnkosten machen die Region als Produktionsstandort interessant.
Investitionstrends und Fokusbranchen: Automobilindustrie zieht Investoren an
Die meisten Investoren zieht es aufgrund einer breiten Industriebasis nach Serbien. Stark entwickelt ist die Kfz-Zulieferindustrie. Verlagerten europäische Lieferanten zunächst einfache, aber arbeitsintensive Tätigkeiten ins Land, geht aktuell der Trend hin zur Herstellung von Produkten mit einer tiefergehenden Wertschöpfung.
Serbien ist das primäre Ziel ausländischer Direktinvestitionen (FDI) auf dem Westbalkan. Zwischen 2013 und 2023 stiegen der FDI-Zufluss um 92 Prozent auf rund 60 Milliarden US-Dollar (US$), berechnete UNCTAD. Allein zwischen 2022 und 2024 wurden mehr als 70 FDI-Projekte im verarbeitenden Gewerbe realisiert.
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Nordmazedonien beliefert die deutsche Automobilindustrie
Auch Nordmazedonien hat sich als Schlüsselakteur in der Automobil- und Elektronikfertigung etabliert. Lokale Zulieferbetriebe beliefern zum Großteil deutsche Autobauer. Produziert werden Kabelbäume, Sitze sowie Katalysatoren. Deutsche Hersteller von Kabelbäumen wie Dräxlmeier, Kromberg & Schubert oder ODW Elektrik errichteten eine lokale Fertigung. Das britische Unternehmen Johnson Matthey ist der größte Hersteller von Katalysatoren für Verbrennermodelle im Land. In den letzten drei Jahren wurden 20 FDI-Projekte im verarbeitenden Gewerbe in Nordmazedonien realisiert. Ein Großteil davon ist in Technologie- und Entwicklungszonen (TIDZ) angesiedelt.
Nordmazedonien steht vor einem Strukturwandel: Zulieferer müssen sich ausrichten auf die Elektromobilität. Das Land hängt stark an der Fertigung von Kfz-Teilen. Die aktuelle Nachfrageflaute auf dem schwächelnden deutschen Markt bremst das Wirtschaftswachstum.
Bosnien und Herzegowina: Deutsche Firmen bauen Kapazitäten in der Metall- und Kfz-Industrie aus
Das wichtigste Standbein des zweitgrößten Westbalkanlands ist die Metallbearbeitung. Deutsche Firmen lassen aus Kostengründen im Land Zwischenprodukte fertigen, bevor die Endmontage in der EU erfolgt. In der Autozulieferindustrie siedeln sich verstärkt Unternehmen, darunter aus Deutschland, an. Zwischen 2022 und 2024 flossen FDI in 24 Projekte der verarbeitenden Industrie, vor allem in die Produktion von Kfz- und Elektronik, sowie von Lebensmitteln.
Bosnien und Herzegowina erzeugt einen Großteil seiner Energie aus fossilen Energiequellen, vor allem Kohle. Das Land steht vor der Herkulesaufgabe, die grüne Transformation zu bewältigen. Wenn lokale Firmen auch nach dem 1. Januar 2026, dem Tag des Inkrafttretens des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), in den Lieferketten deutscher Firmen bleiben wollen, müssen sie verstärkt in grüne Technologien investieren.
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Albanien wirbt um Investoren im verarbeitenden Gewerbe
Die Wirtschaft des Landes hängt stark vom Tourismus ab. Um ihre Wirtschaftsstruktur zu diversifizieren, setzt die Regierung auf die Ansiedlung verarbeitender Betriebe. Aktuell gibt es nur wenige ausländische Produzenten im Land. Die deutschen Automobilzulieferer Forschner und PSZ Elektronik produzieren Kabelbäume. In der Textil- und Schuhindustrie lassen deutsche Firmen wie Adler und Puma bei lokalen Herstellern fertigen. Doch leidet die Branche unter steigenden Energiepreisen und einer erstarkten Landeswährung Lek, die Exporte verteuert.
Albanien wird interessant für Investoren: Zwischen 2013 und 2023 stiegen die FDI um 256 Prozent – ausgehend von einem niedrigen Basiswert – auf rund 14 Milliarden US$. Zudem modernisieren lokale Unternehmer ihre Betriebe. Im Jahr 2023 wuchsen die Einfuhren von Maschinen gegenüber 2019 um 120 Prozent auf 514 Millionen US$, laut UNCTAD. Albanien produziert vor allem Lebensmittel, Textil- und Lederwaren, Eisen und Stahl sowie Ölprodukte. Zwischen 2013 und 2023 stiegen die Exporte von Industriegütern um 570 Prozent auf 390 Millionen US$.
Zudem erzeugt Albanien mehr als 90 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen: hauptsächlich Wasserkraft. Damit können lokale Produzenten ihren CO2-Abdruck senken.
Kosovo: Unternehmen profitieren von niedrigen Arbeitskosten
Die Regierung setzt auf die Entwicklung der verarbeitenden Industrie. Wichtigstes Argument sind niedrige Lohnkosten, vor allem in der Textil- und Leichtindustrie.
FDI in das verarbeitende Gewerbe fließen vor allem in Projekte zur Produktion von Unterhaltungselektronik und die Textilindustrie. Mit Ventius International ist einer der größten Hersteller von Matratzen im Land angesiedelt. Intertex oder die deutsche Firma Munda Textile Lichtsysteme produzieren vor Ort.
Kosovo erzeugt bis dato einen Großteil seiner Energie aus fossilen Brennstoffen. Das Land muss seinen CO2-Fußabdruck senken, damit kosovarische Firmen weiter in den Lieferketten von Abnehmern aus der EU bleiben können.
Montenegro verbessert Standortfaktoren: Energie und Infrastruktur
Montenegro will seine starke Abhängigkeit vom Tourismus reduzieren und seine Wirtschaft diversifizieren. Zudem investiert das Land in den Ausbau seiner Verkehrsinfrastruktur. Der Fertigungssektor befindet sich aufgrund einer noch kaum vorhandenen industriellen Basis und der geringen Marktgröße in einer schwierigen Lage. Der Großteil der FDI in die verarbeitende Industrie fließt in die Produktion von Lebensmitteln sowie in den Ausbau erneuerbarer Energien. Die Stada-Tochter Hemopharm produziert Arzneimittel in Montenegro.
Treiber und Risiken: Nähe zur EU und interessante Freihandelsabkommen
Die Länder profitieren von ihrer Nähe zu europäischen Märkten und als EU-Beitrittskandidaten vom vereinfachten Zugang zum Binnenmarkt. In Serbien ermöglichen Freihandelsabkommen den zollfreien Handel mit China oder der Türkei. Der Westbalkan wird als Beschaffungsmarkt und Nearshoring-Standort für Unternehmen, die ihre Lieferketten diversifizieren und ihre Abhängigkeit von Asien reduzieren möchten, immer beliebter.
Die Westbalkanländer verbessern ihre Investitionsklimas. Ausländische Investoren können Vorzugsbedingungen wie Subventionen auf geschaffene Arbeitsplätze, Steuervergünstigungen oder Zollvorteile erhalten. Spezielle Industriezonen gewähren eine Befreiung auf Abgaben für die Einfuhr von Anlagen und Ausrüstung.
Deutsche kleine und mittelständische Firmen sind von den Standortvorteilen der Region überzeugt und investieren vor allem in die verarbeitende Industrie. Der deutsche Hersteller von Lichttechnik, Vossloh-Schwabe, entschied sich bereits 2010 für den Aufbau eines Fertigungsstandorts im serbischen Kušiljevo:
"Wettbewerbsfähige Betriebs- und Lohnkosten, qualifizierte Arbeitskräfte im Ingenieurwesen und in der Fertigung, sowie staatliche Anreize bewogen uns zur Lokalisierung der Produktion“,
erklärt Dirk Bantel, Geschäftsführer der serbischen Niederlassung. Zu den weiteren wichtigen ausländischen Investoren in der Region zählen Österreich, Italien, sowie China. Letztere nutzt vor allem Serbien als Sprungbrett und investiert in Werke zur Produktion von Konsum- und Investitionsgütern für den Export in die EU.