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Deutschland löst sich aus Abhängigkeit von russischem Gas

Europa verringert die Einfuhren von Pipeline-Gas aus Russland. Der Kreml will die wegbrechenden Einnahmen durch verstärkte Gaslieferungen nach China kompensieren.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine war die Europäische Union (EU) ein Großabnehmer von russischem Erdgas. Der Staatenbund importierte im Jahr 2021 rund 155 Milliarden Kubikmeter aus Russland. Das entsprach einem Anteil von 36 Prozent an den gesamten Gaseinfuhren der EU. Bis Ende 2022 sank die Importmenge auf 100 Milliarden Kubikmeter und der russische Marktanteil auf rund ein Fünftel, meldet Eurostat.

Die G7-Staaten und die EU wollen den Gasbezug über Pipelines, bei denen Russland die Lieferungen eingestellt hat, nach Europa verbieten. Betroffen sind unter anderem die beschädigte Nord-Stream-Pipeline und die Jamal-Pipeline durch Polen.

Deutschland ersetzt Gasimporte aus Russland

Die Bundesrepublik reduzierte den Anteil von russischem Pipeline-Gas im Verlauf des Jahres 2022 von 55 Prozent vor Kriegsbeginn auf nahe Null. Norwegen löste Russland als wichtigsten Gaslieferanten Deutschlands ab. Aus dem skandinavischen Land kam 2022 rund ein Drittel des importierten Gases. Lieferland Nummer zwei waren die Niederlande. Aus Russland (Platz 3) stammte, vor allem im 1. Halbjahr 2022, nur noch rund ein Fünftel der Vorkriegsmenge. Weiteres Gas bezieht Deutschland aus Aserbaidschan, Katar und den USA.

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Damit Deutschland für den nächsten Winter gewappnet ist, werden Regasifizierungsanlagen für Flüssiggas (LNG) errichtet. Seit Dezember 2022 sind drei schwimmende LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Lubmin mit einer Gesamtkapazität von 17 Milliarden Kubikmetern pro Jahr in Betrieb. Der Energiekonzern RWE wird ab 2027 rund 2,2 Millionen Tonnen LNG pro Jahr aus den USA importieren. Auch mit der Abu Dhabi National Oil Company vereinbarte RWE die Lieferung von Flüssiggas. Der katarische Energiekonzern Qatar Energy und das US-Unternehmen Conoco Phillips unterzeichneten einen Vertrag zur Lieferung von 2 Millionen Tonnen LNG pro Jahr nach Deutschland ab 2026.

Russisches Flüssiggas erreicht Europa weiterhin

Um die verringerten Lieferungen von Pipeline-Gas aus Russland kompensieren zu können, steigerten die EU-Länder ihre Importe von Flüssiggas im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um rund 58 Prozent auf 137 Milliarden Kubikmeter. Ein Teil des LNG kam auch aus Russland, dass seine Lieferungen nach Europa im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent auf rund 22 Milliarden Kubikmeter erhöhte, so der britisch-amerikanische Finanzdatenanbieter Refinitiv. Das entspricht rund der Hälfte der russischen LNG-Exporte im Jahr 2022. Für 2023 rechnet Refinitiv mit einen Anstieg russischer LNG-Lieferungen nach Europa um weitere 10 Prozent.

Doch der Staatenbund will eine erneute Abhängigkeit von Russland vermeiden. Die Mitgliedsstaaten sollen den Import von LNG ohne EU-Sanktionen eigenständig aussetzen können. Mit einem Mechanismus soll russischen Exporteuren vorübergehend die Möglichkeit verwehrt werden, für ihre LNG-Exporte Kapazitäten im Fernleitungsnetz der EU zu reservieren.

Russlands Gaseinnahmen brechen ein

Russlands Exporte von Erdgas sanken 2022 um rund ein Viertel auf 184 Milliarden Kubikmeter. Davon gingen rund 100 Milliarden Kubikmeter an Abnehmer aus Nicht-GUS-Ländern. Die Exporte in Länder außerhalb der GUS könnten sich 2023 auf rund 50 Milliarden Kubikmeter halbieren, schätzt der Energieausschuss des Staatsrats.

Während nach Kriegsbeginn und nach dem Lieferstopp von Gas durch die Pipeline Nord-Stream-1 im September 2022 die Erdgaspreise mit rund 350 Euro pro Megawattstunde (MwH) in die Höhe geschossen waren, stabilisierte sich das Preisniveau zum Jahrestag der Invasion wieder. Der als Referenz geltende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in den Niederlanden lag zum 24. Februar 2023 bei rund 72 Euro pro MwH und damit wieder auf Vorkriegsniveau. Gründe sind die gut gefüllten Erdgasspeicher und der um rund ein Fünftel reduzierte Gasverbrauch seitens Industrie und Privathaushalten.

In der Folge brachen Russlands Einnahmen aus dem Export fossiler Energieträger 2022 um rund 500 Millionen US$ pro Tag ein. Vor allem der Verlust des lukrativen europäischen Absatzmarktes reißt ein Loch in den Staatshaushalt, der sich zu rund 40 Prozent aus dem Export fossiler Energieträger speist.

China und Türkei sollen EU-Markt ersetzen

Russland verdoppelte 2022 mit rund 15,4 Milliarden Kubikmeter Gas seine Lieferungen über die Pipeline Sila-Sibirii-1 nach China. Zudem steigerte das größte Flächenland der Welt seine LNG-Ausfuhren nach China im Vergleich zum Vorjahr um 44 Prozent auf rund 9 Milliarden Kubikmeter im Wert von rund 7 Milliarden US$. Russland setzt auf den weiteren Ausbau seiner Gasexporte nach China. Im Februar 2023 vereinbarten die Staatsoberhäupter Wladimir Putin und Xi Jinping den Bau der Pipeline Sila-Sibirii-2 durch die Mongolei. In den kommenden 30 Jahren sollen jährlich rund 50 Milliarden Kubikmeter Gas aus den westsibirischen Feldern in die Industriezentren Chinas gepumpt werden. Doch aktuell ist unklar, wer die Baukosten in Milliardenhöhe stemmen wird.

Mit der Türkei vereinbarte Russland den Bau eines Gas-Verteilungszentrums bei Istanbul. Von dort soll das russische Gas an Abnehmer in Südosteuropa weitergeleitet werden. Doch auch hier ist die Finanzierung der Knackpunkt.

Russlands Gasförderung weiter rückläufig

Russland musste seine Gasförderung 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 13,3 Prozent auf rund 522 Milliarden Kubikmeter drosseln, meldet der russische Statistikdienst. Der größte Gasproduzent des Landes, Gazprom, förderte mit 413 Milliarden Kubikmetern sogar um ein Fünftel weniger als im Vorjahr. Für 2023 erwarten Branchenexperten einen weiteren Rückgang der Fördermenge von Gazprom um 8 Prozent auf 380 Milliarden Kubikmeter.

Die Aussichten der Branche trüben sich weiter ein. Die BASF-Tochter Wintershall Dea kündigte ihren Ausstieg aus allen Beteiligungen in Russland an. Der Rückzug des Weltmarktführers für LNG-Kältetanks, Gaztransport & Technigaz, bremst die Entwicklung der Flüssiggasproduktion in Russland erheblich. Der französische Anlagenbauer war am Bau von 15 eisgängigen Gastankern beteiligt.

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