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Europa verringert Abhängigkeit von russischem Öl

Die EU löst sich von Öllieferungen aus Russland. Ersatz kommt aus Nahost und Kasachstan. Russland kann sein Öl nur mit Preisabschlägen verkaufen, vor allem an China und Indien.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Vor Kriegsbeginn deckte die Europäische Union (EU) mit 4 Millionen Barrel pro Tag (bpd) rund ein Drittel ihres Rohölbedarfs aus Russland. Bis Ende 2022 gingen die Rohölimporte aus Russland auf rund 600.000 bpd zurück. Nach dem am 5. Dezember 2022 eingeführten Embargo auf zur See transportiertes Öl aus Russland wird sich dessen Anteil am Energiemix der EU weiter verringern. Seit 5. Februar 2023 unterliegt auch die Einfuhr von Ölprodukten per Schiff den Sanktionen.

Deutschland ersetzt Rohöleinfuhren aus Russland vollständig

Die Bundesrepublik deckte vor dem Krieg mit rund 687.000 bpd ein Drittel ihres Bedarfs mit russischem Rohöl. Es wurde vor allem über die Pipeline „Druschba“ (Freundschaft) geliefert. Im Januar 2023 sank der Anteil russischen Öls auf Null. Durch das Ende der Öllieferungen per Pipeline nach Deutschland verliert Russland täglich rund 18 Millionen Euro.

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Ersatz kommt aus Nahost und Kasachstan. Das zentralasiatische Land liefert Rohöl über den Kaspi-Hafen Aqtau und durch die Druschba-Pipeline. Der staatliche kasachische Pipelinebetreiber KazTransOil will 2023 rund 1,2 Millionen Tonnen Rohöl nach Deutschland pumpen. Hauptabnehmer sind die ostdeutschen Raffinerien Schwedt und Leuna, die bislang mit russischem Öl versorgt wurden.

Preisdeckel auf Rohöl und Ölprodukte lässt Exporterlöse sinken

Am 5. Dezember 2022 führten die EU, die G7-Staaten und Australien eine Preisobergrenze von 60 US-Dollar (US$) für Lieferungen von russischem Rohöl an Drittstaaten ein. Trotz des Drängens der Baltischen Staaten und Polens will die G7 den Ölpreisdeckel vorerst nicht weiter senken. Seit 5. Februar 2023 ist zudem eine Preisobergrenze von 100 US$ je Fass auf hochwertige russische Ölprodukte wie Diesel und von 45 US$ je Fass auf günstigere Ölprodukte wie Heizöl in Kraft.

Die Maßnahme zeigt den gewünschten Effekt. Der Preisdeckel beschneidet Russlands Ölexporteinnahmen. Zudem ermöglicht das Instrument auch nicht-westlichen Abnehmern, Russland zu größeren Preisabschlägen auf Öllieferungen zu drängen. Zugleich bleibt die weltweite Versorgung mit Rohöl- und Raffinerieprodukten aus Russland sichergestellt.

Russlands Ölausfuhren stiegen 2022 um 8 Prozent auf rund 142 Millionen Tonnen, wovon rund 40 Prozent in die EU gingen, meldet die Internationale Energieagentur. In diesem Jahr steigerte Moskau seine Einnahmen mit der Ausfuhr von Öl und Ölprodukten um 42,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf rund 383,7 Milliarden US$, meldet der Föderale Zolldienst. Das entspricht mehr als einem Drittel der russischen Exporterlöse.

Seit dem Inkrafttreten des Preisdeckels auf Rohöl sank die Menge der Ölexporte um etwa die Hälfte, berechnete der EU-Thinktank Bruegel. Im 1. Quartal 2023 kostete ein Fass der Ölsorte Urals durchschnittlich nur noch 49 US$. Die Exporterlöse mit Rohöl sanken im gleichen Zeitraum auf 22 Milliarden US$, die Steuereinnahmen des russischen Staatshaushalts um 45 Prozent auf rund 18,3 Milliarden Euro.

Die Situation verändert sich auch durch die Ankündigung des Erdölkartells Opec+ (zu dem Russland gehört), ab Anfang Mai bis Ende Dezember 2023 die Fördermengen um 1,16 Millionen bpd zu kürzen, nicht grundlegend. Zwar kletterte der Preis für ein Barrel Urals kurz nach der Ankündigung Anfang April 2023 auf ein Zwischenhoch von rund 83 US$ pro Barrel. Doch seit Mitte April sinkt der Preis wieder und lag am 1. Mai 2023 bei rund 60 US$.

Russland leitet Ölexporte nach Asien um

Die Russische Föderation lenkt ihre Ölausfuhren zu befreundeten Staaten in Afrika und Asien um. Im April 2023 gingen 70 Prozent der russischen Ölexporte nach Indien und 20 Prozent nach China. Beide Staaten schlossen sich dem G7-Ölpreisdeckel nicht an. Im Jahr 2022 stiegen die russischen Ölexporte nach Indien bereits um das 16-fache auf rund 1,6 Millionen bpd. Der Subkontinent bezieht aktuell rund 40 Prozent seiner Ölimporte aus Russland. Die russischen Ölexporte nach China stiegen im 1. Quartal 2023 um 38 Prozent, meldet der Branchendienst Kpler. Der Anteil russischen Öls am chinesischen Import liegt mittlerweile bei rund einem Fünftel. Russland verdrängte im Januar 2023 mit einer Liefermenge von durchschnittlich 1,9 Millionen bpd sogar Saudi-Arabien als wichtigsten Öllieferanten Chinas. Die wichtigsten Abnehmer von russischem Diesel sind die Türkei, Marokko, Brasilien, Tunesien und Saudi-Arabien.

Durch die steigende Bedeutung des asiatischen Marktes bei gleichzeitig einbrechenden Lieferungen nach Westen sinkt die Bedeutung des Urals-Preisindex. Die bis dato wichtigste russische Sorte bildete jahrzehntelang den Richtwert für Exportpreise von Rohöl nach Europa auf dem freien Markt. Aktuell gewinnt der Preis für Öl, das über die Eastern Siberia Pacific Ocean (ESPO)-Pipeline exportiert wird, als Richtwert an Bedeutung. Dessen Preis stieg seit der Einführung des Ölpreisdeckels. Denn Russlands Lieferkapazitäten über die ESPO-Pipeline und den fernöstlichen Hafen Kozmino sind mit 1,8 Millionen bpd beinahe ausgeschöpft. Zudem treibt die hohe indische und chinesische Nachfrage den Preis, der am 1. Mai 2023 bei rund 68 US$ pro Barrel lag.

Russland muss Ölförderung drosseln

Das Energieministerium kündigte am 5. März 2023 an, die Fördermenge um 500.000 bpd (im Vergleich zu 2022) auf rund 9,5 Millionen bpd zu reduzieren. Diese Maßnahme soll bis Ende 2023 beibehalten werden. Im Jahr 2022 stieg die Ölproduktion um 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 535 Millionen Tonnen.

Mittelfristig dürfte Russlands Fördermenge weiter sinken. Die Ölfelder sind geologisch komplex, zu ihrer Erschließung wird westliches Know-how benötigt, das jedoch unter Sanktionen steht. Zudem verließen Ölfelddienstleister aus westlichen Ländern wie Halliburton, Schlumberger oder Weatherford den russischen Markt, den sie zu rund einem Fünftel bedienten. Chinesische Alternativen sind noch nicht so weit entwickelt und kommen als Ersatz kurzfristig nicht infrage. Im Jahr 2022 steigerten russische Ölfirmen die Bohrungen um 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf rund 28.000 Kilometer.

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