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Marktchancen
Die Schweiz will mehr Windkraft, muss sie aber in ein sensibles Umfeld integrieren. Der Ausbau im nationalen Interesse und Anreize für Selbstversorger könnten den Markt beleben.
02.11.2023
Von Oliver Döhne | Bonn
Wichtigster Markttreiber ist der Wunsch der Schweiz, auch im Winter unabhängig von Stromimporten zu sein. Zwar sind Fotovoltaik und Wasserkraft der Windenergie in der Schweiz kostenmäßig noch überlegen. Dennoch könnte die Windkraft durch ihre größere Verfügbarkeit im Winter eine ideale Ergänzung sein.
Windatlas zeigt Potenzialgebiete
Das Windkraft-Potenzial wird zurzeit auf rund 29,5 Terawattstunden pro Jahr geschätzt, davon 19 Terawattstunden im Winter. Das ergab der Windatlas des Bundesamtes für Energie von 2022. Geeignete Standorte befinden sich unter anderem auf den Jurahöhen, in den Voralpen, in den Alpen, im Rhonetal und im Mittelland. Dabei variiert das Windprofil je nach Standort zum Teil stark. Falls es gelingt, von diesem Potenzial auch nur 30 Prozent abzurufen, könnte der Output eines Atomkraftwerks ersetzt werden. Der Branchenverband Suisse Eole hält bei schnelleren Genehmigungen, technischem Fortschritt, zunehmender Kenntnis über die komplexen Windverhältnisse in den Bergen und neuen nutzbaren Flächen schon bis 2030 eine Produktion von 6 Terawattstunden pro Jahr für möglich, davon 4 Terawattstunden im Winter. "Die 6 Terawattstunden bis 2030 sind das Best-Case-Szenario. Dafür braucht es noch neue Flächen und neue Projekte", sagt Olivier Waldvogel von Suisse Eole. "Sicher realistisch sind bis 2035 aber 2 bis 3 Terawattstunden".
Auch der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), der das tatsächlich umsetzbare Potenzial in der Vergangenheit eher kritisch gesehen hatte, ist mittlerweile optimistischer und hält in der Studie "Energiezukunft 2050" bis 2050 rund 2,9 Terawattstunden aus Windkraft für realistisch.
Neue Flächen öffnen sich
Trotz der grundlegend positiven Haltung der Bevölkerung gegenüber der Windkraft, ist die Suche nach geeigneten Flächen keine leichte Aufgabe. Der nun grundsätzlich gleichrangige Schutz der Energiesicherheit mit anderen nationalen Interessen und fortschrittlichen Regelungen im Mantelerlass werden aber voraussichtlich dazu führen, dass raumplanerische Einschränkungen gelockert werden und sich neue Flächen für die Windkraft öffnen, zum Beispiel Wald- und Agrarflächen. Von den zurzeit rund 60 neu geplanten Projekten soll rund ein Viertel in Waldgebieten entstehen. Viele Landwirte sind wohl offen gegenüber der Windkraft - bei passender Entschädigung. Rund 2 Terawattstunden an Produktionspotenzial bis 2030 sieht Suisse Eole im Best-Case-Szenario zudem auf Flächen mit großen Infrastrukturen, wie etwa Randgebiete oder Gebiete von Autobahnen, Rangierbahnhöfe, Militärzonen, Sandgruben, Deponien sowie Industriegebieten oder -brachen.
Kombination mit alpinen Fotovoltaikanlagen
Um die Herausforderung der Elektrizitätsversorgung im Winter zu bewältigen, können vor allem die Windkraft und Energie aus alpinen Fotovoltaikanlagen eine wichtige Rolle spielen, so der Verband der Schweizerischen Elektrizitätswirtschaft in seiner Studie "Energiezukunft 2050". Bei ähnlichen Gestehungskosten seien beide Technologien in ihrer Produktionscharakteristik komplementär. Bei unterschiedlichen Wetterlagen liefern entweder die Windräder oder die Solaranlagen ihre Produktionsspitzen und tragen somit zur Diversifizierung beziehungsweise zur Robustheit des Energiesystems bei. Besonders ertragreiche Windkraftwerke können auf dem Jurabogen und in den großen Alpentälern aufgestellt werden", so der VSE.
Bottom-Up-Initiativen ergänzen Pläne
Es mehren sich Projekte, die von Gemeinden und Unternehmen gestartet werden. Durch solche Anlagen, meist Einzelwindräder, könnte die Stromproduktion laut Suisse Eole mindestens um 2 Terawattstunden pro Jahr wachsen. Beispiele für erste Windkraftanlagen in der Industrie zur Stromsicherung sind der Dämmstoffhersteller Swisspor in Chatel St. Denis im Kanton Freiburg und der Präzisionskomponentenproduzent SFS in Heerbrugg im Kanton St. Gallen. Auch Zusammenschlüsse von Landwirten oder Gemeinden haben selbst Projekte gestartet. Im Wallis haben die Gemeinden Collognes und Martigny mehrere Projekte angestoßen und sind zur Hälfte an den Betreibergesellschaften beteiligt. Das zurzeit diskutierte Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung setzt bislang Anreize für die Fotovoltaik. Würde diese auch für den Eigenverbrauch von PV- und Windenergie ausgeweitet werden, könnte das für Energiegemeinschaften einen wichtigen Impuls geben.
Größere Projekte rechnen sich bereits
Auch wenn die Gestehungskosten in der Schweiz noch höher sind als in Deutschland, sind größere Anlagen schon jetzt ein Geschäftsmodell, sagt Suisse Eole-Geschäftsführer Lionel Perret. Er gibt für eine 130 Meter hohe Windenergieanlage mit einer Leistung von 1 Megawatt Gestehungskosten von umgerechnet rund 125 bis 188 Euro pro Megawattstunde und von 84 bis 136 Euro pro Megawattstunde mit Förderung an. "Mit dem Investitionsbeitrag von 60 Prozent und den steigenden Strompreisen könnten ab jetzt selbst Windenergieanlagen mit einer Höhe von ungefähr 30 Metern rentabel werden", so Perret. Dazu sollten auch Einzelanlagen mit weniger als 2 Megawatt vom Zuschuss profitieren. "Die Technik entwickelt sich schneller weiter als die Gesetzgebung", so Perret. Mittelfristig besteht daher Bedarf sowohl an kleineren Anlagen für höhergelegene Regionen in den Alpen als auch an mittleren und größeren Anlagen für Mittelgebirge und Flachland.
Wind (1 MW) | Solar (1 MW) | Wasserkraft (groß) | Atom | Gas (groß) | |
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2017 | 150-200 | 80-110 | 70-300 | 40-60 | 90-110 |
2020 | 150-200 | 80-90 | 70-300 | 40-60 | 90-110 |
2035 | 100-150 | 50-70 | 70-300 | 40-60 | 110-120 |
2050 | 100-130 | 40-60 | 70-300 | 40-60 | 120-140 |
Laut Suisse Eole befanden sich Ende September 2023 insgesamt 19 Windparks mit 141 Türmen und einer Gesamtnennleistung von 441,6 Megawatt im Bewilligungsverfahren. Weitere 39 Parks mit 190 Türmen und 700 Megawatt waren in Planung. Der Verband der Elektrizitätsversorger VSE führte Ende September 2023 insgesamt 28 realistische Windkraftprojekte mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 614 Megawatt und einer Jahresproduktion von 1,1 Terawattstunden und will über deren Stand und Erfolgsaussichten dort laufend aktuell informieren.
Projektbezeichnung (Standort) | Installierte Leistung/geplante Produktion/Anzahl Rotoren | Unternehmen | Status |
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Montagne de Buttes (Kanton Neuenburg) | 80 MW, 100 GWh (19 Türme) | Groupe E Greenwatt, SIG | Kantonalgericht hat Klagen 2021 abgewiesen, vor Bundesgericht |
Eolienne de Provence (Jura, Kanton Waadt) | 71 MW, 100 GWh (17 Türme) | Romande Energie Renouvelable/EWZ | Öffentliche Auflage (Bekanntmachung), danach Bauausschreibung (2023-25) |
Mollendruz (Jura, Kanton Waadt) | 50 MW, 112 GWh (12 Türme) | Energie Naturelle | Alle Klagen im November 2022 durch Bundesgericht abgewiesen, Genehmigung erteilt |
Quatre Bornes (Jura, Kantone Bern und Neuenburg) | 40 MW, 63 GWh (9 Türme) | Groupe E Greenwatt | Kanton wies Klagen ab, Bau genehmigt, Projektierung, Gang vor das Bundesgericht aber noch möglich |
Eoljorat Sud (Lausanne, Kanton Waadt) | 33,6 MW,55 GWh (8 Türme) | SI-Ren SA | Baugenehmigung bis 2024 erwartet, danach Baustart |
Eole de Ruz (Jura, Kanton Neuenburg) | 30 MW, 60 GWh (7 Türme) | Groupe E Greenwatt | Abschluss der öffentlichen Auflage Ende 2022, nun Schlichtungsgespräche und Projektierung |
Grenchenberg (Kanton Solothurn) | 16 MW,30 GWh (4 Türme) | SWG | Nach Redimensionierung nun Baugesuch in Vorbereitung |
Près de la Montagne de Tramelan - Montbautier (Jura, Kanton Bern) | 12-14 MW, 26-28 GWh (6 Türme) | BKW | Noch vor Bundesgericht, neue Auflagen an Abstand |
Burg (Kantone Aargau/Solothurn) | 5 MW (5 Türme) | AEW/Vento Ludens | Einspruch der Bevölkerung, zurzeit Einspruchsverfahren, dann Abstimmungen (2023-24) |