Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Interview | Tunesien | Fachkräfteanwerbung

"Fachkräfteanwerbung lässt sich zu 99 Prozent planen"

Warum Sprachkenntnisse, klare Erwartungen und seriöse Agenturen über den Erfolg bei der Fachkräfteanwerbung entscheiden, erklärt Rekrutierungsexperte Bastian Mahmoodi. 

Von Verena Matschoß | Tunis

Bastian Mahmoodi, Geschäftsführer, VISABEE, Fachkräfteanwerbung Bastian Mahmoodi, Geschäftsführer, VISABEE, Fachkräfteanwerbung | © Fabian Frühling - fabianfruehling.de

Bastian Mahmoodi ist Geschäftsführer und Gründer der Agentur VISABEE, die deutsche Unternehmen bei der Fachkräfteanwerbung im Ausland unterstützt. Zu den Kunden zählen sowohl mittelständische Unternehmen als auch große Konzerne. Eines der wichtigsten Herkunftsländer ist Tunesien

Herr Mahmoodi, war die deutsche Wirtschaft lange zu zögerlich beim Thema Fachkräfteeinwanderung?

Absolut. Viele tun so, als hätte es erst seit dem novellierten Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2023 eine Möglichkeit gegeben, ausländische Fachkräfte zu rekrutieren. Das ist natürlich nicht der Fall, aber viele Unternehmen haben die Verantwortung von sich gewiesen und auf die Politik gewartet. Fachkräfteeinwanderung ist aber kein Thema, bei dem man sagen kann, das löst die Politik. 

Sind deutsche Unternehmen inzwischen besser vorbereitet?

Insgesamt nimmt die Offenheit zu. Das hat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz tatsächlich erreicht. Es gibt zum Beispiel immer mehr Veranstaltungen zu dem Thema. Was mich überrascht: Große Konzerne sind auch nicht besser vorbereitet als der Mittelstand. 

Für welche Branchen werben Sie vor allem Fachkräfte an?

Ganz stark ist weiterhin der Gesundheitssektor, besonders die Pflege. Außerdem der Mobilitätssektor – vor allem Berufskraftfahrer. Tunesien ist für beide Bereiche ein wichtiges Herkunftsland.

Ein Lkw-Fahrer muss aber keine langwierige Anerkennung wie eine Pflegekraft durchlaufen. Ist die Anwerbung da einfacher?

Formell ja. Darauf würde ich mich aber nicht beschränken. Ein Berufskraftfahrer braucht keinerlei Deutschkenntnisse zur Arbeitsaufnahme. Das führt zu Problemen, denn auch ein Lkw-Fahrer muss Übergaben machen, mit Auftraggebern sprechen können etc. Ich empfehle daher Grundkenntnisse, auch wenn sie nicht verpflichtend sind.

"Matching und das Moderieren sind das A und O."

Wie läuft der Rekrutierungsprozess mit Ihrer Agentur ab?

Zunächst definieren wir gemeinsam mit dem Unternehmen das Anforderungsprofil. Daneben erstellen wir ein genaues Profil des Arbeitgebers. Beides geben wir an unseren Partner im Herkunftsland weiter. Er schlägt passende Kandidaten vor und dann gibt es Onlinevorstellungsgespräche, die wir begleiten. Dieses Matching und das Moderieren sind das A und O – meiner Ansicht nach können das auch nur professionelle Agenturen leisten. 

Und danach?

Dann kommt der ganze bürokratische Prozess. Aber der ist inzwischen relativ gut eingespielt. Beim beschleunigten Verfahren erfolgt die Zustimmung der zentralen Ausländerbehörde häufig schon nach vier Wochen. Auch die Visumsvergabe in Tunesien geht wirklich schnell. 

"Der Erwartungshorizont muss klar sein."

Welche Fehler sollten deutsche Unternehmen bei der Fachkräfteanwerbung vermeiden?

Entscheidend ist, dass der Erwartungshorizont für beide Seiten klar ist. Arbeitgeber müssen vermeiden, dass sie etwas anbieten, was sie am Ende nicht einhalten können. Das können minimale Abweichungen sein, die zu Unsicherheit führen. Und Tunesier sind unglaublich skeptisch.

Wie kommt es?

Es liegt viel an der Angst, dass man bei dem Prozess betrogen wird. In Tunesien sind viele schwarze Schafe auf dem Markt, die mit der Anwerbung der Fachkräfte ein schnelles Geschäft machen wollen. Vielfach mit unseriösen und überteuerten Angeboten. 

Überteuert? Hat der Bewerber denn überhaupt Kosten?

Eigentlich sollte das nicht so sein. Das Einzige: Viele Bewerber besuchen bereits im Vorfeld Sprachkurse, deren Kosten sie dann auch tragen. Aber das wissen die Fachkräfte im Zweifel nicht und zahlen an Agenturen erschreckend hohe Summen. Ich warne Arbeitgeber ausdrücklich vor vermeintlich kostenlosen Angeboten: Wenn eine Agentur verspricht, "kostenfrei" Azubis nach Deutschland zu bringen, zahlen am Ende die Fachkräfte. Das haben wir etwa in Vietnam beobachtet.

Mit diesen Kosten müssen Unternehmen bei einer Fachkräfteanwerbung rechnen

Dem Informationsportal für ausländische Berufsqualifikationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zufolge fallen für das Anerkennungsverfahren verschiedene Kosten an:

  • Kosten für Verfahren zur Gleichwertigkeitsprüfung ausländischer Berufsqualifikationen
  • Kosten für die einzureichenden Unterlagen
  • Bei einer Anerkennung im Rahmen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG): zum Beispiel Kosten für Sprachkurse, interkulturelle Trainings, Übersetzungen, Beglaubigungen sowie Visa und Fahrten/Flüge 
  • Gebühren für eine Vermittlung, zum Beispiel über private Agenturen: Die Bandbreite der Kosten bewegt sich zwischen 2.000 und 20.000 Euro
  • Für das beschleunigte Fachkräfteverfahren entstehen neben den Kosten für das Gleichwertigkeitsverfahren Gebühren in Höhe von 411 Euro und eine Visumgebühr von 75 Euro
  • Eventuell Kosten für eine Anpassungsqualifizierung

Woran erkennt man eine seriöse Agentur?

Im Auftreten, auch bei der Präsentation im Internet. Wer sind die tatsächlichen Unternehmensinhaber? Bei welchen Verbänden sind sie Mitglied? etc. Das sind Fragen, die man sich stellen kann. Im Pflegebereich gibt es für Agenturen auch das Label "Faire Anwerbung Pflege Deutschland". 

Ist der Anwerbeprozess nicht voller Unsicherheiten?

Das ist ein Irrglaube! Man kann den Anwerbeprozess bis zu 99 Prozent gut durchplanen. Das ist ein Grund, warum wir auch einen Rechtsanwalt als Gesellschafter bei uns haben. So können wir alles von Anfang an auch rechtlich gut durchspielen und am Ende gibt es keine bösen Überraschungen. 

Haben Sie ein Beispiel, wo es zu solchen Missverständnissen kam?

Ja. Ein Arbeitgeber stellte Wohnraum für sechs angeworbene Fachkräfte zur Verfügung. Die Zimmer waren unterschiedlich groß, aber alle zahlten das Gleiche. In den Mietverträgen fehlte eine Größenangabe – das hat Vertrauen zerstört. Solche Details sind wichtig.

"Die Integration von ausländischen Fachkräften ändert die Unternehmenskultur."

Wie gehen die Unternehmen intern mit der immer stärken Zuwanderung um?

Die Integration ändert natürlich etwas an der Unternehmenskultur. Teilweise haben die ausländischen Arbeitskräfte mit Ressentiments zu kämpfen. Einige Beschäftigte empfinden es als Ungerechtigkeit, wenn neue Kollegen mehr Unterstützung bekommen. Aber eigentlich ist es ja eine große Chance, denn mehr Kollegen führen natürlich auch zu einer Entlastung des Teams. 

Geben viele Tunesier die Arbeit in Deutschland auch wieder auf?

Wir beobachten eher, dass Fachkräfte aus der EU schneller wieder zurückgehen. Die meisten Fachkräfte aus Tunesien wollen sich ein Leben in Deutschland aufbauen – allen Schwierigkeiten zum Trotz. Wir sind der festen Überzeugung, dass man mit einer guten Vorbereitung die Fluktuation senken kann. 

Was haben Unternehmen sonst nicht auf dem Schirm?

Durch das beschleunigte Fachkräfteverfahren ist wirklich einiges schneller geworden. Viele Unternehmen unterschätzen aber die Phase nach der Einreise. Pflegekräfte etwa müssen oft nachqualifiziert werden. Bis zur vollen Einsatzfähigkeit vergehen Monate. Unternehmen müssen bedenken, dass am Anfang wirklich erstmal investiert werden muss!

nach oben
Feedback
Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.