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Special | Vereinigtes Königreich | Energiesicherheit und -preise

Briten bauen Erdgasversorgung um

Für mehr Energiesicherheit setzt die britische Regierung auf Flüssiggas und die Dekarbonisierung durch grünen Strom und Wasserstoff. Dabei spielen auch die USA eine wichtige Rolle.

Von Marc Lehnfeld | London

Wie wichtig die Energiesicherheit für das Vereinigte Königreich trotz seiner großen Energieressourcen ist, zeigten die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Obwohl die britische Insel im Jahr 2021 nur 4 Prozent ihres Erdgases und 9 Prozent ihres Erdöls aus Russland importierte, bereiteten die gestiegenen Weltmarktpreise für die fossilen Brennstoffe dem Land Schwierigkeiten.

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Geringe Speicherkapazität zündete Gaspreisexplosion

Allein vom 1. auf das 2. Quartal 2022 stieg der Erdgaspreis für britische Haushalte um rund zwei Drittel. Den Höchststand erreichten die Preise im 1. Quartal 2023 mit einem Plus von 129 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Diese Preiserhöhungen haben vor allem die britischen Haushalte stark getroffen, da rund 78 Prozent von ihnen Gasboiler zum Heizen nutzen. Außerdem hat der Anstieg des Gaspreises auch den Strompreis beeinflusst, denn Gaskraftwerke machen etwa 40 Prozent der Stromerzeugung im Vereinigten Königreich aus.

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Die Regierung begrenzte den Anstieg der Energiepreise für Haushalte mit einer Anhebung der üblichen Kappungsgrenze und milderte die Folgen für einkommensschwache Haushalte durch Sonderzahlungen ab. Zusammen mit Energiehilfen für Unternehmen griff der Staat aber mit umgerechnet rund 90 Milliarden Euro tief in die Tasche. Das entspricht laut Office for Budget Responsibility etwa 1,5 Prozent der gesamten britischen Wirtschaftsleistung.

Zur Gaspreiseskalation kam es im letzten Jahr auch, weil Speicherkapazitäten für Erdgas auf der britischen Insel zu gering sind. Vor der Energiekrise registrierte die Gas- und Strommarktbehörde Ofgem (Office of Gas and Electricity Markets) sieben Anlagen mit einer Gesamtspeicherkapazität von 1,5 Milliarden Kubikmetern, beziehungsweise etwa 14,64 Terawattstunden. Das entsprach 2021 nur 1,7 Prozent der gesamten Gasnachfrage.

Mit der Reaktivierung und dem Ausbau des Gasspeichers im ehemaligen Gasfeld Rough an der Ostküste Englands mit einer Kapazität von 1,5 Milliarden Kubikmetern hat sich auch die Speicherleistung im Jahr 2023 auf 3,1 Milliarden Kubikmeter mehr als verdoppelt. Dennoch bleibt der Anteil der Speicherleistung am Gasverbrauch klein und angesichts der hohen Gasimporte unbedeutend.

Tiefgreifender Umbau des Energiesystems unterwegs

Der massive Ausbau der Speicherkapazitäten soll vorübergehend die Versorgungssicherheit mit Erdgas verbessern. Die langfristigen Ziele der britischen Regierung sind im "Energy Security Plan" festgelegt, der Teil der im April 2023 vorgestellten Energiestrategie "Powering Up Britain" ist. Dabei verknüpft die Regierung die Versorgungssicherheit mit der umfassenden Umgestaltung des Energiesystems durch Dekarbonisierung und Elektrifizierung.

Langfristig verschiebt sich der Energieverbrauch im Vereinigten Königreich weg von fossilen Brennstoffen wie Erdgas, Erdöl und Kohle, die importiert werden müssen, hin zu Strom, der hauptsächlich aus Offshore-Windanlagen gewonnen werden soll

Mithilfe des Verkaufsverbots von Pkw mit konventionellen Verbrennungsmotoren ab 2035 wird grüner Strom die Dekarbonisierung im Verkehr vorantreiben. Der Energiesektor, der ab 2035 ebenfalls emissionsfrei produzieren soll, profitiert sowohl vom Ausbau der britischen Wasserstoffwirtschaft, dem Ausbau und der Umstellung der Atomkraft auf Kleinreaktoren und der breiten Einführung von Technologien von Kohlenstoffabscheidung, -transport und -speicherung (CCUS) in Industrieclustern

Wichtige Energiemarktindikatoren im Vereinigten Königreich
 

Vereinigtes Königreich

Deutschland

Bevölkerung (in Millionen: 2021)

67,9

83,2

Energieproduktion (Petajoule; 2020)

4.899

4.045

Stromverbrauch (Terawattstunde; 2021)

308,1

550,7

Nettoenergieimporte (Petajoule; 2021)

2.585

7.916

Pro-Kopf-Verbrauch (Gigajoule/Kopf; 2022)

108,4

144,3

CO₂ Emissionen (Millionen Tonnen; 2022)

339 *)

622

Strompreis Industrie (US$/Megawattstunde; 2022)

240,05

242,22

Strompreis Endverbraucher (US$/Megawattstunde; 2022)

378,68

348,94

* vorläufig.Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023; IEA World Statistics 2023; Our World in Data/The Energy Institute Statistical Review of Word Energy 2023; Umweltbundesamt 2023

Den Umbau des Energiesystems gestalten auch deutsche Unternehmen mit. RWE gehört mit zehn Gaskraftwerken, 43 On- und Offshore-Windanlagen und sechs Wasserstoffvorhaben zu den großen Energiekonzernen auf der britischen Insel. 

Auch Uniper will das Portfolio verändern. Bislang unterhält der Energiekonzern unter anderem fünf Gaskraftwerke im Vereinigten Königreich. Außerdem betreibt das Unternehmen aus Düsseldorf das mit 2 Gigawatt Leistung einzige im Land noch betriebene Kohlekraftwerk Ratcliffe-on-Soar, welches im September 2024 abgestellt wird. Dann soll die Anlage in ein nachhaltiges Energie- und Industriecluster umgewandelt werden. Dort soll bis 2030 auch eine Elektrolyseanlage für grünen Wasserstoff mit einer Leistung von 500 Megawatt entstehen. Auch im Projekt Humber H2ub arbeitet Uniper gemeinsam mit Shell an einem Projekt für blauen Wasserstoff.

Stärkung der Erdgasförderung und mehr LNG-Importe

Die Strategie der britischen Regierung setzt aber auch auf umstrittene Maßnahmen. So wurden Ende Oktober 2023 im Zuge der 33. Vergaberunde für die Erdöl- und Erdgasförderung 27 Lizenzen angeboten, um die nationale Versorgung mit Erdgas zu erhöhen. Die britische Offshore-Industrie verfolgt ein milliardenschweres Rückbau- und Modernisierungsprogramm, das einerseits der langfristig sinkenden Erdöl- und Erdgasnachfrage begegnet, andererseits aber auch in die emissionsarme Förderung dieser Energieträger investiert. 

Bei der Erdgasversorgung aus dem Ausland hat die britische Regierung außerdem einen Strategiewechsel vollzogen. Seit März 2022 importiert das Land bereits kein Erdgas mehr aus der Russischen Föderation und hat auch den Import von Erdöl und -produkten sanktioniert. Stattdessen erhöhte das Land die Einfuhren von Flüssigerdgas (LNG) aus den USA. 

Diese Verschiebung erfolgte aufgrund einer Energiepartnerschaft zwischen Großbritannien und den USA. Dadurch wurde Katar als wichtigster Lieferant von LNG auf den 2. Platz verdrängt. Um die LNG-Importkapazität aus den USA zu steigern, wird auch das walisische South Hook LNG-Terminal erweitert. Das Vereinigte Königreich besitzt bereits die zweitgrößte Regasifizierungsanlage in Europa, um LNG in gasförmiges Erdgas umzuwandeln.

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