Branchen | China | Chemische Industrie
Branchenstruktur
Wettbewerbsfähiger und weniger abhängig? Europäische Chemiefirmen suchen im weltweit größten Chemiemarkt China Antworten für dieses Dilemma.
27.03.2023
Von Corinne Abele | Shanghai
Im Laufe der Jahre hat China eine der weltweit stärksten Chemiebranchen mit einer immer tieferen Wertschöpfung im Land aufgebaut und dominiert inzwischen einige Produktsegmente. Für ausländische Anbieter wird der Markt immer härter. Angesichts schwacher Binnenkonjunktur in China drängen chinesische Wettbewerber auch zunehmend auf Drittmärkte.
Umsätze der chemischen und petrochemischen Industrie in China (in Milliarden US-Dollar; Veränderung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum in Prozent)
Sektor | 2021 1) | 2022 2) | Veränderung 3) |
---|---|---|---|
Basischemie und verarbeitende Chemie | 1.283,9 | 1.360,1 | 10,4 |
Erdölverarbeitung / petrochemische Erzeugnisse | 861,8 | 970 | 17,3 |
Gummi-, Kunststofferzeugnisse | 468.5 | 442 | -1,7 |
Arzneimittel | 458,6 | 432,8 | -1,6 |
Erdöl- und Erdgasproduktion | 141,4 | 187,2 | 38,1 |
Kunststofffasern | 160,4 | 162,1 | 5,3 |
Chinesische Chemieproduzenten rücken auf
Chinesische Hersteller sind mittlerweile in einigen Produktsegmenten extrem stark: So liegen zum Beispiel rund 44 Produzent der weltweiten Kapazitäten zur Styreneproduktion (rund 43, 5 Millionen Jahrestonnen) in China; das Land ist der größte Hersteller der drei wichtigsten Downstreamprodukten von Styrol – ABS, PS und EPS; und es stellte 2021 rund 61 Prozent der globalen Produktionskapazität des thermoplastischen Kunststoffs Polybutylenterephthalat (PBT) und allein acht der Top-Hersteller weltweit, berichtet MC Chemicals.
Ebenfalls sind Chinas Raffineriekapazitäten laut dem China National Petroleum Corporation Economic and Technological Research Institute vom Januar 2022 die größten weltweit. So zählen Sinopec, Sinochem, Hengli Petrochemical, Rongsheng Petrochemica und Wanhua Chemical zu den laut S&P Global 20 größten Chemiefirmen weltweit. Auch die Formosa Plastics Group (Taiwan) befindet sich in dieser Spitzengruppe.
High-End-Segment stärker im Fokus
Zunehmend rücken gerade ambitionierte chinesische Chemieunternehmen in die Segmente Spezial- und Feinchemie mit höherer Wertschöpfung auf. In der Provinz Shandong, einem der führenden Chemiestandorte Chinas, mit rund 47 Prozent der landesweiten Chemieproduktion im Jahr 2022, soll das High-End-Segment 2023 bereits über die Hälfte zum Chemieumsatz der Provinz beitragen. Experten bleiben jedoch angesichts der traditionellen Ausrichtung auf Basis- und Volumenchemie bezüglich der Zielerreichung skeptisch.
Wettbewerbsstark und weniger abhängig?
Europäische Firmen befinden sich zunehmend in einer schwierigen Situation: Zum einen wollen sie Abhängigkeiten reduzieren, zum anderen im größten Chemiemarkt weltweit wettbewerbsfähig bleiben. Dabei sehen sie sich gerade in Segmenten, die vom Bedarf neuer Industriebereiche wie Elektromobilität, Erneuerbare Energien oder umweltverträglichere Agrarchemie angetrieben werden, immer stärkeren und preis-aggressiv agierenden chinesischen Wettbewerbern gegenüber.
Ein Beispiel dafür ist der starke Produktionsanstieg von Dimethylkarbonat (DMC), das als Elektrolyt bei Lithiumionenbatterien eingesetzt wird. Zwischen 2018 und 2022 legte dessen Produktion in China allein um 33,4 Prozent zu, wie MC Chemicals berichtet. Dabei stellten 2022 die zwei chinesischen Hersteller CATL und BYD knapp über die Hälfte der globalen Lithiumakkuproduktion. Bei PV-Klebefolie erreichten chinesische Produzenten laut MC Chemicals bereits 2021 einen weltweiten Anteil von fast 90 Prozent.
Firmentabelle
Internationale Chemiefirmen investieren weiter
Um dem starken Wettbewerb im Markt standzuhalten und nah am Kunden zu sein, setzen bislang internationale Chemiefirmen trotz erhöhter geopolitischer Risiken und einer perspektivisch schwächeren Wirtschaftsentwicklung Investitionsprojekte in China um. So plant das dänische Chemieunternehmen Hempel, rund 170 Millionen US-Dollar (US$) in ein Werk für Beschichtungen in der Provinz Jiangsu im Jangtsedelta zu investieren. Und Covestro hat im August 2023 den Betrieb seines neuen Produktionswerks für Polyurethan-Elastomer-Systeme aufgenommen. Damit sollen unter anderem Kunden im Solarbereich sowie für die Offshore-Verkabelung in China und im APAC-Raum beliefert werden.
Chinas Chemiebranche drängt ins Ausland
Gleichzeitig drängen aufgrund wachsender geopolitischer Spannungen, hoher Anti-Dumpingzollsätze der USA (beispielsweise für Solarmodule), verstärkten Compliance-Anforderungen (sowohl der USA als auch Europas und Deutschlands) gerade ambitionierte chinesische Chemiefirmen beschleunigt in Drittmärkte - ob mittels Greenfield-Investitionen oder durch Auf- und Zukäufe internationaler Firmen. So planen Xinfengming und Tongkun ein Raffinerieprojekt in Indonesien mit einer Raffineriekapazität von 16 Millionen jato Rohöl. Und Chesir, chinesischer Hersteller von Perlglanzpigmenten, ist laut Pressemeldungen einer von drei verbliebenen Anbietern für die zum Verkauf stehende Pigmentsparte von Merck.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in und außerhalb Chinas
Projekt/Akteur | Investitionssumme (in Millionen US$)*) | Projektstand | Jahreskapazität |
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Batteriematerialfabrik von Ronbay New Energy Technology (Chunju, Südkorea) | 362 | Öffentliche Bekanntmachung am 9. August 2023 | Hochnickel-Ternärkathode (Kapazität: 40.000 jato) und Lithium-Ferromangan-Phosphat-Kathode (LMFP - Kapazität: 20.000 jato) |
Fabrik für Neue Materialien von Dingjide Petrochemical (Dalian, Provinz Liaoning) | 1.446 | Unterzeichnungszeremonie am 9. August 2023; öffentliche Bekanntmachung der Umweltverträglichkeitsstudie am 1. September 2023 | Neubau einer Anlage für Polyolefine Elastomere (POE - Kapazität: 200.000 jato) und einer Ethanproduktion (300.000 jato) |
Weiyuan Meineng Shale Gas New Material Integration Industrial Park von Meineng New Material (Weiyuan, Provinz Sichuan) | 1.810 | Baubeginn am 8. September 2023; geplante Fertigstellung von Phase I: Juli 2025 | 1,4-Butandiol (BDO - Kapazität: 400.000 jato) und Polybutylenadipat-co-terephthalat aus Schiefergas (PBAT - 600.000 jato) |
Transformation und Modernisierung der Ethylenproduktion von Lanzhou Petrochemical (Lanzhou, Provinz Gansu) | 3.233 | Zweite öffentliche Bekanntmachung der Umweltverträglichkeitsstudie Ende August 2023 | Reduzierung der Produktion von raffiniertem Öl, Benzin und Diesel und Erhöhung der Produktion neuer chemischer Materialien (einschließlich 140.000 jato EVA, 100.000 jato POE, 50.000 jato ultrahochmolekulares Polyethylen und 1.035.000 jato Metallocen-Polyethylen/Metallocen-Polypropylen) |
Projekt zur Transformation and Modernisierung der Ölraffination sowie zur Verbesserung der Ethylenqualität von Sinopec Maoming (Maoming, Provinz Guangdong) | 4.178 | Projektankündigung am 12. Juli 2023, Bauperiode 36 Monate | Erdölraffineriekapazität: 18 Millionen jato; Anagenbau zur Herstellung von Propylenoxid, Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisat (ABS) |
Letztlich geht es angesichts wachsender geopolitischer Spannungen in der kapitalintensiven Chemiebranche um Risikomanagement - sowohl für in- wie ausländische Chemieunternehmen in China. Denn einmal für Milliarden gebaute Produktionsanlagen müssen auf Jahrzehnte hinaus ausgelastet werden. Dabei wird die neue Dimension geopolitischer Risiken durch die im Juli 2023 von China verkündete erhöhte Exportkontrolle für Gallium (Chinas weltweiter Produktionsanteil: rund 80 Prozent) und Germanium (rund 60 Prozent) deutlich. Die zwei technischen Metalle sind für die Halbleiterproduktion äußerst wichtig. Chinas Reaktion gilt als Antwort auf vorherige Exportkontrollen der USA für Halbleitertechnologien.