Wirtschaftsausblick I Turkmenistan
Hohe Wachstumszahlen in Turkmenistan gelten als übertrieben
Turkmenistans Wirtschaft wächst offiziell alljährlich um 6 Prozent und mehr. Inoffiziell sind die Zuwächse weit geringer. Infrastruktur- und Industrieprojekte bieten Lieferchancen.
10.11.2023
Von Uwe Strohbach | Aschgabad
Top-Thema: Turkmenistan will sein Transitpotenzial ausschöpfen
Das Land am Kaspischen Meer gilt immer noch als verschlossen. Doch im Transport- und Logistiksektor bewegt sich was. Seit Oktober 2023 ist Turkmenistan Vollmitglied des internationalen Verkehrsprojekts TRACECA, das Europa über den Kaukasus mit Zentralasien verbinden soll.
Turkmenistan will verstärkt investieren und damit auf seinem Abschnitt des TRACECA-Korridors internationale Transportkorridore weiterentwickeln, die Bahninfrastruktur ausbauen und modernisieren und seine Transportinfrastruktur digitalisieren.
Wirtschaftsentwicklung: Gasförderung und Bauprojekte treiben Wirtschaft an
Die Regierung Turkmenistans rechnet für 2024 mit einem Wirtschaftswachstum von bis zu 7 Prozent, nach einem erwarteten Plus von 6,5 Prozent im Jahr 2023. Geberbanken prognostizieren ähnliche Wachstumsraten.
Die Prognosen und ebenso bisher gemeldete Zuwächse lassen sich jedoch kaum beurteilen. Hintergrund ist, dass die nationalen statistischen Erhebungs- und Berechnungsmethoden nicht dem internationalen Standard entsprechen. Hinzu kommt die hohe Schattenwirtschaft sowie eine intransparente Devisenpolitik im Land.
Laut einer alternativen Berechnungsmethode des Internationalen Währungsfonds (IWF) wächst die turkmenische Wirtschaft 2023 nur um 2,5 Prozent und 2024 um 2,1 Prozent.
Zwar bleiben die unternehmerischen Rahmenbedingungen schwierig und der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft hoch. Dennoch sind gewisse Fortschritte in der Wirtschaftsentwicklung nicht zu übersehen. Dies gilt für die Gasförderung, den Haupttreiber der Wirtschaft, ebenso wie für die wirtschaftliche Diversifizierung, den Außenhandel und Investitionen des Privatsektors.
Bild vergrößernInvestitionsquote bleibt auf niedrigem Niveau
Die jährlichen Bruttoanlageinvestitionen bewegen sich gegenwärtig auf einem Niveau von gut 10 Milliarden US-Dollar (US$). Die Investitionsquote, also der Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt, liegt mit 18 bis 19 Prozent weit unter dem früheren Niveau. Vor knapp zehn Jahren lag diese Quote noch bei 30 bis 40 Prozent. Hauptgrund hierfür sind stetig und stark schrumpfende ausländischen Direktinvestitionen. Diese sind zwischen 2015 und 2022 von 9 Milliarden US$ auf 1 Milliarde US$ geschmolzen.
Positive Impulse kommen von zunehmenden kreditfinanzierten Projekte im nichtstaatlichen Sektor sowie einigen internationalen Darlehen. Sie können die gesunkene staatliche Projektfinanzierung und das Tief bei den ausländischen Anlagen im Öl- und Gassektor aber nicht ausgleichen.
Das Entwicklungsprogramm der Regierung sieht im Zeitraum 2022 bis 2028 Investitionen in Höhe von etwa 80 Milliarden US$ vor. Der Großteil der Gelder ist für die Bereiche Öl/Gas, Transport/Kommunikation, Industrie/Agribusiness sowie Wasserversorgung bestimmt.
Lage auf dem Verbrauchermarkt bleibt kritisch
Die amtlich gemeldeten realen Einkommenszuwächse und die Ausgaben im Einzelhandel entsprechen aufgrund von unterbewerteten Preissteigerungen nicht der Realität. Importierte Konsumgüter sind für die meisten Menschen nicht oder kaum erschwinglich. Das liegt daran, dass Importe zumeist nur noch zum teuren Parallelkurs bezogen werden können und nicht zum offiziellen Devisenkurs.
Ein weiteres Indiz für die schwierige Versorgungslage im Land ist die in staatlichen Geschäften eingeführte Abgabe wichtiger subventionierter Grundnahrungsmittel in streng limitierten Mengen. Zudem wächst seit einigen Jahren der Anteil von Nahrungsgütern an den Ausgaben der Haushalte wieder, 2022 erreichte er 53 Prozent. Bei der Einschätzung der Kaufkraft ist aber auch die große Schattenwirtschaft im Land zu beachten.
Ausrüstungsimporte zeigen wieder leicht nach oben
Der Außenhandel nimmt seit 2021 wieder an Fahrt auf. Der Zuwachs geht hauptsächlich auf die Mehrausfuhr des gefragten Hauptexportgutes Erdgas (2022: 45,9 Milliarden Kubikmeter). Bedeutendster Abnehmer ist China. Kleinere Mengen werden an Russland, Aserbaidschan und Usbekistan geliefert. Auf Erdgas, Öl und Ölprodukte entfallen rund neun Zehntel der turkmenischen Ausfuhren. Unter den übrigen Exportpositionen sind vor allem Textilien/Bekleidung, Strom, Dünger, Kunststofferzeugnisse und Gemüse zu nennen.
Das Geschäft im Warenimport leidet am anhaltenden Devisenmangel, einem schwachen Konsum und den stockenden Investitionen. Eine leichte Belebung lässt sich seit 2022 bei den Bezügen von Maschinen und Ausrüstungen beobachten, darunter Öl-/Gasausrüstungen, Landtechnik und Lebensmitteltechnologie. Hauptbeschaffungsmärkte Turkmenistans sind China, Russland und die Türkei. Die jährlichen Importe aus Deutschland haben sich in den letzten Jahren halbiert und lagen 2022 bei 209 Millionen Euro.
Bild vergrößernDeutsche Perspektive: Lieferchancen bei staatlichen Projekten und der Importsubstitution
Die Geschäftschancen beschränken sich auf zwei Felder: Zulieferungen für zentrale Infrastruktur- und Industrieprojekte sowie die teils zentral koordinierten Ausbauvorhaben zur Importablösung. Geplant sind größere Projekte in Produktgruppen wie Kraftstoffe auf Erdgasbasis, Düngemittel (Ammoniak, Harnstoff, Ammoniumnitrat), Methanol, Jod und Brom, kalzinierte und kaustische Soda, in der Stromerzeugung und -übertragung sowie in der medizinischen Versorgung, wo im Zeitraum 2022 bis 2028 der Bau von 10 Krankenhäusern vorgesehen ist.
Geschäfte sollten nur auf einer gesicherten Zahlungsbasis (Vorauskasse oder unwiderrufliches bestätigtes Akkreditiv) abgewickelt werden. Turkmenische Partner erwarten mehr denn je, dass ausländische Lieferanten eine günstige Finanzierung (Kredit) mit anbieten. Ausschreibungen für Lieferungen und Projekte veröffentlicht das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft auf seinem Investitionsportal unter der Rubrik Investment map/Tenders.
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite, Rubrik "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".