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TunesienFDI / Konjunktur / Außenhandel, Struktur
Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsausblick | Tunesien
Auch Tunesien spürt die Folgen der Pandemie. Während die zweite Welle rollt, zeigen sich erste Erholungstendenzen der Industrie.
23.12.2020
Von Peter Schmitz | Tunis
Die Prognosen für die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise auf Tunesien liegen nun in dem Bereich, den einige Experten bereits im Frühsommer 2020 erwartet hatten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 8,1 Prozent für das Gesamtjahr aus - trotz eines relativ raschen Endes des Lockdowns. Wichtige Handelspartner Tunesiens, wie Frankreich oder Italien, sind nach wie vor getroffen. Die Erholung des Tourismus wird noch länger auf sich warten lassen. Die Landwirtschaft dürfte sich etwas erholen, ist jedoch nach wie vor stark vom Wetter abhängig.
Während die industrielle Produktion innerhalb der ersten neun Monate des Jahres 2020 um insgesamt etwas über 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückging, zeichnete sich gegen Ende dieser Periode eine Erholung ab. Im September gab es leichten Zuwachs im Vergleich zum Vorjahresmonat. Besonders die elektromechanische und die Textilindustrie waren vom Rückgang getroffen. Die Nahrungsmittel verarbeitende Industrie legte dagegen insgesamt gegenüber dem Vorjahr zu.
Neue Höhen erreicht die öffentliche Verschuldung. Sie war bereits vor der Pandemie hoch. Ende November 2020 setzte die Ratingagentur Fitch den Ausblick Tunesiens auf negativ, die Einstufung blieb auf B. Der Nachtragshaushalt 2020 geht von einem Defizit in Höhe von etwa 11,4 Prozent des BIP aus. Ein erster Entwurf war von mehr als 13 Prozent ausgegangen, war allerdings vom Parlament nicht genehmigt worden. arbeitung, um das Defizit einzugrenzen.
Indikator | 2019 1) | 2020 2) | Vergleichsdaten Deutschland 2019 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 39,5 | 36,8 | 3.847 |
BIP pro Kopf (US$) | 11.170 | 10.609 | 46.286 |
Bevölkerung (Mio.) | 11,7 | 11,8 | 83,1 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 Euro = tD) | 3,29 | 3,47 | - |
Während Tunesien hofft, mittelfristig von der Corona-Pandemie zu profitieren, und sich als Nearshoring-Standort für Märkte in Europa noch besser zu positionieren, sind die aktuellen Zahlen - angesichts der weltweiten Krise nicht überraschend - negativ. Bis Ende September 2020 hatte Tunesiens Agentur für ausländische Investitionen FIPA einen Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen von 26 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum registriert. Glimpflich verlief es für den Dienstleistungsbereich (Rückgang von 4,6 Prozent) und für die Landwirtschaft (Rückgang von 0,8 Prozent). Für 2020 war der Rückgang insbesondere in der produzierenden Industrie verheerend. Tunesien ist ein wichtiger Standort für die elektromechanische und die Textilindustrie. Gerade in diesen beiden Sektoren hofft man auf positive Effekte durch Produktionsverlagerungen von Unternehmen, die ihre Lieferketten umstellen, um näher an der Europäischen Union zu produzieren. Im Vergleich mit Ländern wie Marokko, Rumänien oder der Türkei bietet Tunesien Kostenvorteile, wie ein Bericht von FDI Intelligence ergibt.
Wichtig dürfte es nun sein, das Vertrauen der bereits vor Ort befindlichen Unternehmen zu stärken. Grundsätzlich scheint dieses vorhanden zu sein. Immerhin meldete die tunesische Investitionsbehörde TIA, die auch lokale und Erweiterungsinvestitionen erfasst, einen Anstieg der angekündigten Investitionen. In diesem Zusammenhang wurde die für das Haushaltsgesetz 2021 vorgeschlagene Veränderung der Unternehmensbesteuerung kritisiert. Der Satz sollte vereinheitlicht werden, was für exportorientierte Unternehmen eine Erhöhung nach sich ziehen würde. Neben einer wettbwerbsfähigen Industrie ist Tunesien wegen der hohen Anzahl von Hochschulabsolventen auch für IT-, Forschungs-, oder Ingenieursdienstleistungen gut aufgestellt.
Projektbezeichnung / Projektträger | Investitionssumme (Mio. US$) | Projektstand | Anmerkung |
Straßenbahnlinie (Métro) in Sfax / Société de Métro de Sfax | 1.100 | Vorstudie | Länge: 70 Kilometer; Hauptauftragsvergabe: 3. Quartal 2020 |
Bau von sieben Solarkraftwerken / Société Tunisienne de l’Electricité et du Gaz | 557 | Vorstudie | Kébili (20 MW), Mednine (50 MW), Skhira (30 MW), Tataouine (50 MW), SidiBouzid (100 MW), Beni Mehira (50 MW) und Kasserine (50 MW); Hauptauftragsvergabe: ab dem 1. Quartal 2021 |
Bau von Windkraftwerken / Société Tunisienne de l’Electricité et du Gaz | 414 | Präqualifikation | Nabeul (200 MW) und Kebili (100 MW); Hauptauftragsvergabe: ab den 4. Quartal 2020 |
Elektrizitätsübertragungsnetz, Umspannstation / Société Tunisienne de l’Electricité et du Gaz | 200 | Ausschreibung | Hauptauftragsvergabe: 3. Quartal 2020 |
Wasserversorgung / Société Nationale de l’Exploitation et de Distribution des Eaux | 117 | Vorstudie | Nach Bizerte, Béja, Siliana, Jendouba und Nabeul; Hauptauftragsvergabe: 4. Quartal 2020 |
Meerwasserentsalzungsanlage / Groupe Chimique Tunisien | 112 | Präqualifikation | Public Private Partership; Hauptauftragsvergabe: 3. Quartal 2020 |
Wasserverorgungskomplex / Société Nationale de l’Exploitation et de Distribution des Eaux | 110 | Vorstudie | In Bejaoua; Hauptauftragsvergabe: 4. Quartal 2020 |
Erweiterung Hafen Radès (Docks 8 und 9) / Office de la Marine Marchande et des Ports | 100 | Ausschreibung | Kapazität: 600.000 Container; Hauptauftragsvergabe: 3. Quartal 2020 |
Erweiterung und Renovierung des Flughafens Tunis-Carthage/Ministère de l’Equipement, de l’Habitat, et de l’Aménagement du Territoire | 79 | Ausschreibung (Bid Evaluation) | Kapazitätserweiterung auf 7,5 Mio. Passagiere. Hauptauftragsvergabe: 3. Quartal 2020 |
Kläranlage in Gabès / Office National de l'Assainissement | 27 | Vorstudie | Hauptauftragsvergabe: 2. Quartal 2021 |
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten unter www.gtai.de/tunesien, „Ausschreibungen“ und „Entwicklungsprojekte“.
Die Konsumfreude der Tunesier war bereits in den vergangenen Jahren verhalten. Mit dem Einbruch der Wirtschaft stärkt sich der Trend, der private Verbrauch dürfte 2020 um etwa 6 Prozent zurückgehen. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit setzte insbesondere den auf informelle Einkünfte Angewiesenen zu. Die offizielle Arbeitslosigkeit lag 2019 bei 15,2 Prozent, stieg im Verlauf des Jahres 2020 zwischenzeitlich auf 18 Prozent. Anschaffungen, die über den täglichen Bedarf hinausgehen, werden aufgeschoben. Die Inflation hält sich mit etwas unter 6 Prozent im Rahmen. Die Ausgangsbeschränkungen führten bei einigen Geschäften, vor allem in der Gastronomie und im Lebensmittelbereich, zum Ausbau des Liefergeschäftes. E-Commerce erlebte einen Schub, hat aber nach wie vor viel Potential zur Verbesserung des Angebots.
Tunesien ist stark in den internationalen Handel eingebunden und spürt nun auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie – im Guten wie im Schlechten. Der Außenhandel der elektronischen Industrie und der Textilindustrie ist beispielsweise betroffen. Viele Unternehmen produzieren für den europäischen Markt oder lassen in Europa weiterverarbeiten und spüren die weggeborchene Nachfrage. Mit der schrittweisen Wiederaufnahme der Produktion dort wird auch der tunesische Außenhandel wieder zunehmen.
Ein positiver Aspekt für Tunesien sind die gesunkenen Energiepreise. Tunesien importiert vor allem Gas aus Algerien. In den Jahren 2018 und 2019 wuchs das deutsche Handelsbilanzdefizit mit Tunesien. Die beiden wichtigsten Liefergruppen, elektrische Maschinen und Anlagen sowie Bekleidung, legten zu. Mehrere deutsche Unternehmen hatten ihre Standorte in Tunesien vergrößert oder neue Fabriken eröffnet. Noch in Verhandlung ist ein vertieftes und umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU. Die Europäische Union ist mit Abstand der wichtigste Absatzmarkt. Im Jahresverlauf 2020 ging der Außenhandel mit der EU aber deutlich stärker zurück als beispielsweise mit China oder der Türkei. Sollte sich die Situation in Libyen stabilisieren, könnte sich der Austausch mit diesem Nachbarland wieder erholen.
2017 | 2018 | 2019 | 2019/18 | |
Ausfuhren | 12.639 | 13.106 | 13.349 | 1,8 |
Einfuhren | 18.364 | 19.198 | 19.256 | 0,3 |
Saldo | -5.725 | -6.092 | -5.908 | -3,0 |