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Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsausblick | Polen
Im EU-Vergleich dürfte Polen zu den Ländern mit den geringsten negativen wirtschaftlichen Auswirkungen gehören. Getrübt werden die Aussichten von den neuen Entwicklungen im Herbst.
04.12.2020
Von Niklas Becker | Warschau
Im Frühjahr 2020 hatte Polen vergleichsweise niedrige Covid-19-Fallzahlen verzeichnet. Doch seit Herbst steigt die Zahl der Erkrankten stark an und liegt deutlich über den Frühjahrswerten. Als Resultat dieser Entwicklung und der damit verbundenen Einschränkungen im Geschäftsleben ist die konjunkturelle Erholung aus dem 3. Quartal 2020 vorerst beendet. Im 4. Quartal ist mit einem deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung zu rechnen.
Polens Unternehmen scheinen auf die zweite Welle der Pandemie aber besser vorbereitet zu sein. Nach Prognosen der ING Bank wird das Bruttoinlandsprodukts (BIP) im letzten Jahresviertel 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4 bis 5 Prozent schrumpfen. Das wäre nur ungefähr halb so viel wie im 2. Quartal 2020. Damals verzeichnete Polens Statistikamt GUS einen BIP-Einbruch von 8,2 Prozent. Im 3. Quartal 2020 lag der Rückgang bei 1,6 Prozent.
Polen wird 2020 mit einem Preisanstieg von 3,6 Prozent die höchste Inflationsrate innerhalb der Europäischen Union (EU) aufweisen. Die Staatsverschuldung wird nach Schätzung der Europäischen Kommission auf etwa 57 Prozent des BIP steigen und in den beiden Folgejahren auf ähnlichem Niveau stagnieren. Nach Einschätzung von Jakub Borowski, Chefökonom der Credit Agricole in Polen, gibt es für die öffentlichen Finanzen keine nennenswerten Gefahren.
Trotz pessimistischer Erwartungen für das 4. Quartal 2020 könnten die wirtschaftlichen Einbußen infolge der Coronakrise 2020 insgesamt geringer ausfallen als noch im Sommer befürchtet. Die Europäische Kommission geht in ihrer Herbstprognose 2020 davon aus, dass Polens BIP im Gesamtjahr 2020 um 3,6 Prozent sinkt. Im Frühjahr hatte sie noch mit 4,3 Prozent gerechnet. Damit würde Polen 2020 im EU-Vergleich weiterhin zu den Ländern mit den geringsten Rückgängen gehören.
Für das Land ist es die erste Rezession seit 1991. Polens Wirtschaftsleistung wird nach Einschätzung der Kommission bis Ende 2021 unter dem Niveau von 2019 bleiben. Allerdings erschwert das sehr dynamische Infektionsgeschehen die Prognosen. Auch die Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Brexit gilt es im Blick zu behalten. Das Vereinigte Königreich war in den ersten neun Monaten 2020 mit einem Anteil von fast 6 Prozent der drittwichtigste Exportmarkt für Polen.
Indikator | 2018 | 2019 | Vergleichsdaten Deutschland 2019 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. Euro) | 498 | 532 | 3.449,1 |
BIP pro Kopf (Euro) | 12.960 | 13.780 | 41.508 |
Bevölkerung (Mio.) | 37,9 | 37,9 | 83,1 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 Euro = ... Złoty) | 4,2615 | 4,2976 | - |
Polens Unternehmen halten sich aufgrund der Unwägbarkeiten der Coronakrise bei Investitionen zurück. Im 1. Halbjahr 2020 verzeichnete GUS einen Rückgang der Bruttoanlageinvestitionen um 5,8 Prozent. Für das Gesamtjahr 2020 erwartet die Europäische Kommission ein Minus von 6,2 Prozent.
Sollte die Unsicherheit der Pandemie abnehmen, ist mit wachsender Investitionsaktivität zu rechnen. Eine Unternehmensbefragung von GUS im Oktober 2020 zeigt, dass sich die Investitionsausgaben der Firmen 2021 grundsätzlich nach der Größe der Betriebe unterscheiden dürften. Während Firmen mit weniger als 250 Angestellten einen Rückgang ihrer Investitionen 2021 im Vergleich zum Vorjahr prognostizieren, kündigen die größeren Betriebe höhere Ausgaben an.
Für Polens Regierung sind große Infrastrukturprojekte ein entscheidender Baustein für die wirtschaftliche Erholung. Das im März 2020 vorgestellte Anti-Krisen-Schild sieht für Infrastruktur zusätzliche öffentliche Ausgaben in Höhe von rund 6,6 Milliarden Euro vor. Die Mittel sollen unter anderem in Bauvorhaben sowie die Bereiche Energie, Digitalisierung und Umweltschutz fließen. Einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung werden auch die EU-Fördermittel leisten. Aus dem mehrjährigen Finanzrahmen für 2021 bis 2027 sowie dem Wiederaufbaufonds könnte Polen laut Plänen vom September 2020 insgesamt rund 160 Milliarden Euro erhalten. Davon sind 35 Milliarden Euro als Kredite und der Rest als Zuschüsse vorgesehen.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (in Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
1.685 | Bau | ||
Müllverbrennungsanlage Warschau | 450 | Planungsstadium | |
335 | Planungsstadium | ||
Ausbau der Bahnlinie zum Airport Kattowitz | 180 | Planungsstadium | |
163 | Vorausschreibungsstadium | ||
156 | Planungsstadium | Beiersdorf Manufacturing Poznań | |
Schnellstraße S16 Borki Wielkie - Mrągowo | 140 | Bau | |
100 | Planungsstadium | ||
Modernisierung des Zementwerks | 100 | Bau | |
67 | Frühstadium |
Amtsblatt für öffentliche Ausschreibungen in Polen
Informationen zu EU-Binnenmarktausschreibungen unter www.gtai-EU-Ausschreibungen.de
Auf den Privatkonsum als Treiber der heimischen Wirtschaft war bisher Verlass. Die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sowie verschiedene Sozialprogramme ließen die Ausgaben der Haushalte stetig steigen. Die Pandemie hat diesen Trend vorerst gestoppt, vor allem wegen der unsicheren Situation auf dem Arbeitsmarkt. Zwar hat die Coronakrise die Arbeitslosenzahlen im Frühjahr und Sommer 2020 deutlich geringer steigen lassen als zunächst befürchtet.
Laut polnischen Ökonomen könnten die Folgen der zweiten Infektionswelle aber deutlicher auf den Arbeitsmarkt durchschlagen. Auch bei den Arbeitnehmern steigt die Verunsicherung. Das belegt eine von GUS im November 2020 durchgeführte Konsumentenbefragung. Mehr als jeder Dritte der Befragten rechnet aufgrund der Pandemie mit einer Kündigung oder hält diese für möglich. Das sind gegenüber Oktober rund 11 Prozent mehr. Auch die Zahl der Haushalte, die innerhalb der nächsten zwölf Monate eine Verschlechterung der eigenen finanziellen Lage erwartet, stieg im Herbst deutlich an.
Die Auswirkungen der Pandemie lassen sich auch an Polens Handelszahlen erkennen. Zwischen Januar und August 2020 gingen die Exporte des Landes um 4,7 Prozent und die Importe sogar um 8,8 Prozent zurück. Durch den stärkeren Einbruch der Importe konnte Polen allerdings einen größeren Handelsüberschuss als in vorherigen Jahren erzielen.
Stimuliert werden Polens Exporte durch den schwachen Złoty. Die polnische Währung hat im Vergleich zum Euro deutlich an Wert verloren. Dies macht polnische Ausfuhren wettbewerbsfähiger. Diesen niedrigeren Wechselkurs wird der Złoty voraussichtlich auch im 4. Quartal 2020 und im Gesamtjahr 2021 beibehalten. Die im Zusammenhang mit der Krise entstandene Diskussion zum Thema kürzere Lieferketten (Nearshoring) könnte ebenfalls zu einer Stimulierung der polnischen Ausfuhren beitragen.
2018 | 2019 | Veränderung 2019/2018 | |
---|---|---|---|
Importe | 227,8 | 234,0 | 2,7 |
Exporte | 223,2 | 235,9 | 5,7 |
Handelsbilanzsaldo | -4,6 | 1,8 | - |