Wirtschaftsausblick | Argentinien
Argentiniens Wirtschaft wächst wieder, Unternehmen optimistischer
Argentinien lässt die Rezession hinter sich. Die Reformen zeigen Wirkung, fraglich ist nach wie vor ihre Nachhaltigkeit. Es bleiben noch viele dicke Bretter zu bohren.
11.06.2025
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Wirtschaftsentwicklung: Prognosen stehen auf Wachstum
Argentiniens Wirtschaft fasst wieder Tritt. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Internationale Währungsfonds (IWF) korrigierten ihre Prognosen in den vergangenen Monaten nach oben. Die OECD erwartet nun für 2025 ein Wirtschaftswachstum von 5,7 Prozent (statt zuvor 3,6 Prozent) und für 2026 von 4,8 Prozent (statt 3,8 Prozent).
Schlüsselsektoren Landwirtschaft und Bergbau
Impulse kommen von der Landwirtschaft. Die Handelsbörse Rosario prognostiziert für das Erntejahr 2024/25 einen Rekordertrag von 135,7 Millionen Tonnen Getreide, die zweithöchste in der Geschichte – und hieraus folgende Exporteinnahmen von 31,6 Milliarden US-Dollar (US$). Argentinien kann die Dollar gut gebrauchen, um die klammen Devisenreserven aufzufüllen.
Auch der Rohstoffsektor ist im Aufwind. Kritiker merken jedoch an, dass es noch Jahre dauern könne, bis der erhoffte Trickle-Down-Effekt aus den Großprojekten bei der lokalen Wirtschaft ankomme.
Top-Thema: Startet Argentinien am 11. Dezember 2025 durch?
Im Oktober 2025 finden in Argentinien Zwischenwahlen statt. Die Hälfte der Abgeordneten und ein Drittel der Senatoren wird neu gewählt. Am 11. Dezember 2025 haben die neuen Volksvertreter ihren ersten Arbeitstag. Viele sehen daher diesen Tag als Datum, ab dem es "endlich richtig vorangeht". Denn wesentliche Reformen, die Präsident Milei versprochenen hatte, stehen – auch wegen fehlender Mehrheiten – noch aus, etwa eine Reform des Arbeitsrechts, die vollständige Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen ("Cepo") und die Bekämpfung der Korruption.
Auch sei davon auszugehen, dass nach Sicherheitsministerin Patricia Bullrich weitere Politiker in Mileis Lager wechseln – und er seine Macht ausbauen könne. Zu einer Mehrheit in beiden Kammern werde es aufgrund der schwachen Ausgangsbasis aber nicht reichen. Damit bleibe die politische Lage weiter fragil. Aktuell stellt Mileis Partei La Libertad Avanza nur 11 Prozent der Abgeordneten im Senat und 15 Prozent im Abgeordnetenhaus.
Andere Unternehmer sind daher nicht so optimistisch. Sie vermuten, es werde noch mindestens bis zum Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren dauern, bis die lokalen Firmen – abgesehen von den Bereichen Bergbau und Energie – wirklich wieder Geld in die Hand nähmen. Erst dann werde man sehen, ob sich das Land in die richtige Richtung entwickle.
Schocktherapie greift
Doch ist erstaunlich, was Milei seit Amtsantritt im Dezember 2023 mit seiner Minderheitsregierung erreicht hat. Seit Januar 2024 weist das chronisch defizitäre Staatsbudget ein Plus auf. Die Währung hat sich stabilisiert – ein Unterschied zwischen Schwarzmarkt- und offiziellem Wechselkurs ist nur noch minimal; bei Amtsantritt waren es 153 Prozent. Die Inflation soll bis Ende 2025 auf für Argentinien sensationelle 27,8 Prozent fallen, so die Economist Intelligence Unit.
Weniger Inflation – weniger Armut
Seit Oktober 2024 bewegt sich die monatliche Inflation in Argentinien bei 2,4 bis 2,8 Prozent im Vergleich zum jeweiligen Vormonat. Im Jahresvergleich lagen die Verbraucherpreise im April 2025 nur noch 47,3 Prozent über dem Niveau von April 2024. Vor Jahresfrist hatte der Wert noch bei 292 Prozent gelegen.
Dank der niedrigeren Inflation ist die Kaufkraft vieler Haushalte wieder knapp über die Armutsgrenze gestiegen. Die Armutsquote ist im 2. Halbjahr 2024 auf 38,1 Prozent gesunken, nach 52,9 Prozent im 1. Halbjahr 2024. Allerdings haben viele Menschen mehrere Jobs gleichzeitig, um die Kürzungen im Sozialbereich und bei den Subventionen zu kompensieren. Aktuell befindet sich die Armutsquote damit knapp unter dem Niveau, das die Vorgängerregierung der Peronisten hinterlassen hatte.
Die Herausforderung besteht nun darin, die Armut abzubauen, die sich strukturell über die Jahre "aufgestaut" hat. Davon betroffen sind mehr als 11 Millionen Menschen. Geeignete Bildungs- oder Beschäftigungsmaßnahmen fehlen bisher.
Viele kleine und mittelständische Firmen kämpfen um ihre Existenz
Doch nicht überall läuft es rund. Von Januar 2024 bis Januar 2025 verringerte sich die Zahl der Unternehmen von 511.630 auf 499.371. Viele Produzenten und Dienstleister können ihre stark gestiegenen Kosten, darunter wegen der Streichung von Subventionen für Wasser und Energie, nicht an ihre Kunden weitergeben. Marktöffnungen, die Importeuren guttun, schaden dem produzierenden Gewerbe.
Ziel der Öffnung ist es, die Firmen nach Jahren einer Politik der Importsubstitution wieder zu mehr Effizienz zu zwingen und die Inflation durch günstigere Einfuhren zu bremsen. "Tatsächlich müssen die Firmen jetzt wieder lernen, ohne Inflation zu wirtschaften", meint nicht nur Martín Clément, Vertreter der Unternehmervereinigung Mendoza CEM.
Argentinien gehört inzwischen zu den teuersten Ländern der Welt
Erleichtert werden die Importe auch durch den innerhalb einer festen Bandbreite künstlich hochgehaltenen Wechselkurs. Zuvor hatte eine fixe, unterhalb der Inflation liegende Abwertungsrate zum US-Dollar dazu geführt, dass der argentinische Peso allein 2024 um 41 Prozent zum US-Dollar aufwertete.
Laut Big-Mac-Index ist Argentinien nun nach der Schweiz das teuerste Land der Welt. Kritiker befürchten, dass sich die Währungsbilanz weiter verschlechtern wird, bis die Lage erneut eskaliere – so wie unter Präsident Mauricio Macri (2015 bis 2019).
Überraschenderweise hat die Freigabe des Währungsumtauschs am 14. April 2025 nicht zu einem Run auf den US-Dollar geführt. Allerdings war die Freigabe mit Restriktionen verbunden wie einer Limitierung des Bargeldumtauschs. Trotzdem bleibt die Frage, wie lange Argentinien die überteuerte Währung noch verkraftet – genauso, wie lange die Geduld der Menschen anhält, wenn die meisten nicht genug Geld haben, um bis zum Monatsende über die Runden zu kommen.
Wichtige Lockerungen im Devisenbereich
- In Folge der Zusage des IWF über einen Kredit in Höhe von 20 Milliarden US$ im April 2025 dürfen Unternehmen nun wieder Gewinne an ausländische Anteilseigner in US-Dollar ausschütten. Privatpersonen können seither unbegrenzt zum offiziellen Wechselkurs Pesos in Us-Dollar tauschen (zuvor nur 200 US$ im Monat).
- Zahlungen für Dienstleistungsimporte, zum Beispiel die Reparatur einer Maschine durch einen extra angereisten Techniker, sind wieder erlaubt.
- Lieferantenzahlungen sind bereits bei Verladung der Ware auf das Schiff möglich (zuvor erst 30 Tage nach Lieferung).
- Ende Mai kündigte Wirtschaftsminister Luis Caputo einen "Plan zur historischen Rückgewinnung der Ersparnisse der Argentinier" an. Schätzungen zufolge halten die Argentinier zwischen 200 Milliarden und 400 Milliarden nicht deklarierte US-Dollar. Diese sollen der Wirtschaft wieder zufließen, indem die Meldegrenzen bei den Banken erhöht oder sogar aufgehoben werden.
Trotzdem sind die Importe bisher nicht so stark gewachsen wie erwartet – denn Bestellungen mit Vorkasse sind nach wie vor nicht erlaubt. Zur Klärung der an Lieferanten oder die Mutterhäuser aufgelaufenen Altschulden hat die Zentralbank am 30. April 2025 eine neue Anleihe (Bonos para la Reconstrucción de una Argentina Libre, BOPREAL) aufgelegt.
Deutsche Perspektive: Deutsche Firmen begrüßen Erleichterungen im Devisenregime
Angesichts dieser Entwicklungen herrscht unter den deutschen Firmen vor Ort wieder mehr Optimismus. Gleichzeitig empfiehlt es sich, bei einem Engagement nicht nur den Großraum Buenos Aires zu betrachten, sondern auch die anderen Provinzen, denn dort bestehen je nach Branche andere Voraussetzungen und politische Konstellationen, die Geschäftschancen eröffnen.
"Dessen ungeachtet wundern wir uns über das derzeit mangelnde Interesse deutscher Firmen am argentinischen Markt", so eine Unternehmerin mit langjährigen Beziehungen zu Deutschland. "Im Gegensatz zu unseren Lieferanten aus Israel oder China, die uns regelmäßig kontaktieren, sind unsere deutschen Geschäftspartner überraschend still. Zwar haben deutsche Produkte noch gewisse technische Vorteile – doch offensichtlich hat Deutschland ein Produktivitätsproblem im Personalbereich. Bis E-Mails oder WhatsApp-Nachrichten beantwortet werden, dauert es oft Tage oder Wochen, während etwa unsere Partner aus China innerhalb von Stunden reagieren."
Nähere Informationen zu Argentinien finden Sie auf unserer Länderseite Argentinien.