Wirtschaftsausblick | Bosnien und Herzegowina
Bosnien Herzegowinas Wirtschaftswachstum zieht 2026 wieder an
Investitionen und Konsum kurbeln das Wachstum an. Die EU-Integration macht kleine Fortschritte. Auch nach den Wahlen in der Republika Srpska bleibt die politische Krise ungelöst.
03.12.2025
Von Hans-Jürgen Wittmann | Belgrad
Top-Thema: Institutionelle Krise nach vorgezogenen Neuwahlen nur vertagt
Auch 30 Jahre nach der Unterzeichnung des - als Provisorium gedachten - Friedensabkommens von Dayton hat die politische Dauerkrise Bosnien und Herzegowina weiter fest im Griff. Zwar musste Milorad Dodik nach einer strafrechtlichen Verurteilung wegen separatistischer Aktivitäten sein Amt als Präsident der Entität Republika Srpska (RS) aufgeben. Doch dürfte er auch künftig im Hintergrund weiter die Fäden ziehen. Denn bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 23. November 2025 gewann mit Siniša Karan ein enger Vertrauter Dodiks. Er steht für die Fortführung der konfrontativen Politik der RS gegenüber der Zentralregierung in Sarajevo und des Hohen Repräsentanten, der die Vereinten Nationen vertritt. Da bereits 2026 die Legislaturperiode endet, muss sich Karan dann erneut dem Wählerwillen stellen.
Kleiner Fortschritt im EU-Annäherungsprozess
Der Europäische Rat beschloss, mit Bosnien und Herzegowina Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Doch bis dato bremste die politische Krise die Umsetzung notwendiger Reformen und damit Fortschritte im Integrationsprozess. Erst Ende September 2025 reichte die Regierung eine Reformagenda in Brüssel ein. Deren Annahme durch die Kommission ist Voraussetzung für den Erhalt erster Tranchen aus dem 6 Milliarden Euro schweren Growth Plan für den Westbalkan. Daneben stellt die EU Bosnien und Herzegowina bis 2027 weitere Vorbeitrittshilfen von 140 Millionen Euro bereit. Ein Beitritt zur Single European Payment Area (SEPA) ist kurzfristig nicht in Sicht. Dafür müssen erst die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden, woran die Zentralbank mit Hochdruck arbeitet.
Wirtschaft fürchtet indirekte Folgen der US-Zölle
Die von US-Präsident Donald Trump festgelegten Einfuhrzölle liegen für Bosnien und Herzegowina aktuell bei 30 Prozent. Das zweitgrößte Westbalkanland ist von den Zöllen direkt kaum betroffen, da die USA nur ein Prozent des gesamten Außenhandelsvolumens ausmachen. Schwerer wirken hingegen die 15 Prozent US-Zölle auf Einfuhren aus der EU. Die Union ist der wichtigste Handelspartner Bosnien und Herzegowinas.
Wirtschaftsentwicklung: Bruttoinlandsprodukt beschleunigt Wachstum
Nach einem mageren Jahr 2025 mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um real 2,2 Prozent erwartet das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) für 2026 wieder ein dynamischeres Wachstum. Doch diese positive Aussicht steht unter dem Vorbehalt einer Erholung der europäischen Wirtschaft: Die konjunkturelle Flaute in der EU drückt nach wie vor auf die Nachfrage nach Zulieferteilen aus Metall oder Kunststoff aus dem Produktionsstandort Bosnien und Herzegowina.
Investitionen setzen Wachstumsimpulse
Wichtigster Wachstumstreiber 2026 sind die Investitionen: Ein Plus bei den Bruttoanlageinvestitionen von real 5 Prozent erwartet zum Beispiel das wiiw. Zur Diversifizierung der Energieversorgung ist der Bau einer neuen LNG-Pipeline vom kroatischen Hafen Krk nach Mostar geplant. Wachsendes Potenzial bieten der Bau von Solar- und Windparks. Die steigenden Besucherzahlen befeuern Investitionen in den Bau neuer Tourismus-Infrastruktur.
Das Interesse deutscher Firmen am Wirtschaftsstandort Bosnien und Herzegowina wächst. Aktuell verzeichnet die Delegation der Deutschen Wirtschaft deutlich mehr Anfragen hinsichtlich der Suche nach Lieferanten, Geschäftsstandorten und Firmengründungen.
Chinesische Unternehmen investieren verstärkt in strategische Bereiche wie Infrastruktur, Telekommunikation oder Windparks.
Gestiegener Mindestlohn erhöht Kaufkraft und Inflation
Die Anhebung des Mindestlohns auf umgerechnet rund 510 Euro sorgte 2025 für einen Anstieg der Kaufkraft der Verbraucher. Auch für 2026 ist mit einem weiteren Wachstum der privaten Ausgaben zu rechnen: Die Konsumausgaben steigen um real 2,4 Prozent, erwartet das wiiw. Doch die steigenden Löhne befeuern in Kombination mit schlechten Ernten aufgrund von Wetterkapriolen und angekündigter Preissteigerungen für Energie die Inflation. Daher liegt die Prognose für den Anstieg des Verbraucherpreisindex für 2026 nun bei 2,4 Prozent - um 0,6 Prozentpunkte höher als im Frühjahr.
Das Außenhandelsdefizit steigt weiter
Bosnien und Herzegowina hängt stark von der konjunkturellen Entwicklung in Europa ab, denn es wickelt rund zwei Drittel seines Warenaustausches mit der EU ab. Höhere Anlageinvestitionen sowie die wachsende Kaufkraft der Bevölkerung steigern die Einfuhren von Investitions- und Konsumgütern. Daher wird ein Plus beim Export von Waren von 3,5 Prozent und beim Import von 5,2 Prozent und für 2026 respektive von 3,9 Prozent und 4,3 Prozent laut wiiw erwartet. Das Außenhandelsdefizit wird damit weiter steigen.
Die seit 12. Oktober 2025 geltende digitale Erfassung bosnischer Lkw-Fahrer an der Grenze für die visumsfreie Einreise in die EU führt zu langen Schlangen, hat aber noch keine direkten Folgen für den Warenhandel. Bosnien und Herzegowina bemüht sich um die weitere Integration in den europäischen Verkehrsmarkt. Ansonsten droht das Land, seinen Status als zuverlässiges Lieferland für deutsche Firmen zu riskieren.
Deutsche Perspektive: Steigendes Interesse an Geschäftsaktivitäten
Bosnien und Herzegowina gewinnt als Nearshoring-Standort und Beschaffungsmarkt vor der Haustüre der EU an Bedeutung. Rund 550 Unternehmen mit deutschem Kapital sind im Land tätig und produzieren für den lokalen Markt und den Export.
Der Butterhersteller Meggle investiert 40 Millionen Euro in die Erweiterung seines Produktionsstandorts in Bihać. Die Schneider GmbH aus Fronhausen übernimmt den Maschinenbauer Imaco Systemtechnik in Usora. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt lokale Firmen beim Thema nachhaltige Lieferketten und gründete den "Responsible Business Hub / Helpdesk".
Weitere Informationen (zum Beispiel Zoll- und Rechtsinformationen sowie Branchenberichte) finden Sie auf der Länderseite Bosnien und Herzegowina.