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Branchenstruktur
Nach der Stagnation im Vorjahr soll die Produktion 2024 wieder anziehen. Das neue Förderprogramm "Mover" animiert die Kfz-Industrie zu Investitionen.
24.06.2024
Von Gloria Rose | São Paulo
Die brasilianischen Kfz-Hersteller konnten 2023 nicht von der positiven Dynamik auf dem Kfz-Markt profitieren. Während der Absatz von Neuwagen um 9,7 Prozent stieg, registrierte der Herstellerverband einen leichten Rückgang der Produktion um 1,9 Prozent. Dabei war Anfavea zu Jahresbeginn noch von einem Wachstum von 2,2 Prozent ausgegangen. Auch von dem Einbruch im Zuge der Coronakrise hat sich die Branche noch nicht erholt. Mit 2,32 Millionen Kfz lag die Produktion 2023 rund 16,6 Prozent unter dem Niveau des Vorkrisenjahrs 2019.
Nach dem schwachen Jahr 2023 dürften die Autobauer 2024 wieder mehr Kfz in Brasilien herstellen. Anfavea geht von einem Zuwachs um 6,2 Prozent aus. Positive Impulse kommen von der Steuerreform, sinkenden Zinsen, dem stabileren Wechselkurs und der aufgestauten Nachfrage. Auch die Ende 2023 beschlossenen höheren Steuern auf importierte E-Autos und das neue Förderprogramm "Mover" verbessern die Aussichten für die Branche.
Konkurrenz aus China bremst die Produktion in Brasilien
Allerdings wächst ein neuer Konkurrent heran: Mit günstigen E-Autos gewinnen chinesische Anbieter Marktanteile und untergraben die Nachfrage nach brasilianischen Kfz. Im Jahr 2023 machten Importwagen 15,2 Prozent der Neuzulassungen aus, zwei Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Im Januar 2024 stammten bereits 19,4 Prozent der neu zugelassenen Kfz aus dem Ausland. Während der Import um 54 Prozent über dem des Vorjahresmonats liegt, fiel der Export um 43 Prozent.
Die Auftragslage in Argentinien, Brasiliens wichtigstem Exportmarkt, schwächelt seit Jahren. Aber auch in den anderen Märkten der Region wie Mexiko, Kolumbien und Chile geht die Nachfrage nach in Brasilien gefertigten Fahrzeugen zurück. Ebenso wie in Brasilien selbst setzen sich in ganz Lateinamerika zunehmend Importe aus China durch.
Allein in Argentinien entging der brasilianischen Kfz-Industrie 2023 ein Marktvolumen von 100.000 Kfz, schätzt Anfavea. Angesichts der Krisenherde war die Erleichterung bei dem Branchenverband groß über das neue Förderprogramm, dass die Regierung nach monatelangem Aufschub zum Jahreswechsel 2023/24 beschloss.
Im Zuge der weltweiten Neuausrichtung des Kfz-Sektors hat Brasilien in den vergangenen Jahren an Produktionskapazität verloren. Stellantis, Toyota und Mercedes-Benz verschlankten die Produktion. Ford zog sich 2021 ganz aus dem Land zurück – und Branchenbeobachter spekulieren, welcher Konzern der nächste ist.
Förderprogramm "Mover" bietet Grundlage für neuen Investitionszyklus
Angesichts dieser Lage diskutierte die Regierung das gesamte Jahr 2023 über die neuen Vorgaben der Industrieförderung. Letztlich fruchteten die Forderungen der lokalen Autobauer. Bereits ab Januar 2024 werden die Steuerbegünstigungen für importierte E-Autos schrittweise zurückgenommen. Mitte 2026 fällt auch auf E-Autos der Kfz-Importsteuersatz von 35 Prozent an. Die zusätzlichen Einnahmen dienen der Finanzierung des Programms "Mover", das die Regierung am vorletzten Tag des Jahres 2023 beschloss. Für das Programm stellt der Staat bis 2027 rund 3,8 Milliarden US-Dollar (US$) zur Verfügung.
Mover steht für "Mobilidade Verde e Inovação". Das heißt auf Deutsch: Grüne Mobilität und Innovation. Wie bei den Vorgängerprogrammen "InovarAuto" und "Rota 2030" sollen neue Kfz bis 2030 nur noch halb so viel CO2 erzeugen. Neu ist, dass Mover den kompletten Energiezyklus berücksichtigt, um die Schadstoffemissionen möglichst korrekt abzubilden. Demnach wird auch der Transport von Kraftstoffen sowie der Anbau von Zuckerrohr für Bioethanol betrachtet. Ab 2027 zählen sogar die Schadstoffemissionen entlang des kompletten Produktlebenszyklus, also von der Produktion einzelner Komponenten über den Betrieb bis zur Entsorgung des Kfz. Ein Mindestrecyclinganteil ist vorgesehen.
Im Unterschied zu Rota 2030 setzt Mover Anreize für die Produktion und Beschäftigung vor Ort. Um die Produktion, beispielsweise von Verbrennern aus den USA und Europa, möglichst kostengünstig nach Brasilien zu verlagern, erlaubt das Programm den Import gebrauchter Fertigungslinien. Im Fokus von Mover stehen Forschung und Entwicklung. Bei der Dekarbonisierung des Verkehrs soll Brasilien weltweit zu den Vorreitern gehören. Zur Regulierung fehlen aber noch die konkrete Ausgestaltung und die Verabschiedung des Programms im Kongress.
Auch der Händlerverband Fenabrave begrüßte das Programm. Branchenexperten weisen jedoch darauf hin, dass die Kfz-Preise in Brasilien dadurch weiter ansteigen. Bei einem Großteil der Bevölkerung dürfte das den Trend hin zu neuen Mobilitätslösungen weiter beflügeln, darunter zu Carsharing-Diensten, Auto-Abos und anderen "Mobility as a Service"-Geschäftsmodellen.
Anfavea feiert das Programm Mover und erwartet, dass die Kfz- und Kfz-Teile-Industrie bis 2029 rund 20 Milliarden US$ investiert. Einige globale Headquarter kündigten bereits neue Investitionen an, darunter auch VW und GM. Aber auch die chinesischen Hersteller Great Wall Motors (GWM) und BYD nehmen Geld in die Hand. GWM übernahm 2021 das Mercedes-Benz-Werk in Iracemápolis (São Paulo) und BYD die ehemalige Ford-Fabrik in Camaçari (Bahia).
Akteur | Vorhaben | Investitionssumme (in Mio. US$) 1) | Projektstand | Anmerkungen |
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Stellantis | Investitionen in neue Modelle, Motoren, Konnektivität und Modernisierung in den Werken Betim (Minas Gerais), Goiana (Pernambuco) und Porto Real (Rio de Janeiro) | 3.740 | Investitionszyklus 2019 bis 2025 | Investitionen im Rahmen des Förderprogramms "Rota 2030" erweitert im Jahr 2023, für Februar 2024 wird ein neuer Investitionsplan erwartet; im Januar 2024 erwarb Stellantis das brasilianische Unternehmen DPaschoal und ist damit der größte Kfz-Teile-Distributeur in Lateinamerika |
Volkswagen | Investitionen in vier komplett neue Modelle in den Werken São Bernardo do Campo und Taubaté im Staat São Paulo sowie in São José dos Pinhais (Paraná) | 3.200 | Investitionszyklus 2020 bis 2028 | Ankündigung im Januar 2024: VW verdoppelt bisherigen Investitionsplan |
General Motors (GM) | Modernisierung der Werke, Markteinführung neuer Modelle und Dienstleistungen mit dem Fokus auf nachhaltige Mobilität | 1.400 | Investitionszyklus 2024 bis 2028 | GM kündigte die Investitionen am 24. Januar 2024 an. |
Renault | Neue Produktionslinien im Werk in São José dos Pinhais (Paraná) | 1.020 | Investitionszyklus 2022 bis 2025 | Ankündigung im Juni 2022, Erweiterung im Dezember 2023 |
Chery 2) | Modernisierung des Werks in Anápolis (Goiás) und ggf. in Jacareí (São Paulo) sowie Produktion der Chery-Marken Omoda und Jaecoo ab 2025 | 900 | Investitionszyklus 2023 bis 2028 | Ankündigung im August 2023 |
Great Wall Motors (GWM) | Übernahme und Modernisierung des ehemaligen Werks von Mercedes-Benz in Iracemápolis (São Paulo) zur Produktion von Kfz mit Elektro- und Hybrid-Antrieb | 800 | Investitionszyklus 2022 bis 2025, Inbetriebnahme des Werks Anfang 2024 | Bestätigung im Januar 2024, für den 2. Zyklus von 2026 bis 2032 plant GWM Investitionen in Höhe von 1,2 Milliarden US$ |
BYD | Übernahme und Modernisierung des Ford-Werks in Camaçari (Bahia) zur Produktion von 150.000 E-Autos pro Jahr sowie Eröffnung eines Forschungszentrums | 600 | Investitionszyklus ab 2023, Produktion ab Mitte 2024 | Ankündigung im Juli 2023; weitere Vorhaben: Ausbau der Kapazität auf 300.000 Kfz pro Jahr im Jahr 2025, Bau eines Werks für Lkw- und Bus-Chassis sowie Förderung von Lithium für Batterien; hierzu verhandelte BYD im Januar 2024 die Übernahme des brasilianischen Bergbaukonzerns Sigma Lithium, bislang jedoch erfolglos |
Nissan | Modernisierung des Werks in Resende (Rio de Janeiro) und Fertigung neuer Modelle | 560 | Investitionszyklus 2022 bis 2025 | Ankündigung im April 2022, Erweiterung im November 2023 |
Toyota | Modernisierung im Werk Indaiatuba (São Paulo), Fertigung von neuem Hybridmodell mit Flex Fuel-Antrieb in Sorocaba (São Paulo) | 380 | Produktionsbeginn des Hybrid Flex Ende 2024 | Ankündigung im Jahr 2022 und im April 2023 |
Kfz-Zulieferer exportieren mehr
Die brasilianischen Zulieferer rechnen mit einer steigenden Nachfrage der heimischen Kfz-Industrie und erhöhen die Investitionen. Im Jahr 2023 erwirtschaftete die Branche ein kleines Umsatzplus von 1,9 Prozent. Für das Jahr 2024 erwartet der Verband der Kfz-Zulieferer Sindipecas ein nominales Wachstum um 4 Prozent.
Anders als der Kfz-Industrie gelingt es den Zulieferern, neue Zielmärkte zu erschließen und den Export zu erweitern. Zudem ging das Importvolumen im vergangenen Jahr zurück. Dennoch importiert Brasilien heute deutlich mehr Kfz-Teile als vor der Coronakrise. Deutschland ist nach China und den USA das drittwichtigste Lieferland. Wichtigste importierte Kfz-Teile sind Schaltgetriebe, Getriebegehäuse und Karosserieteile.
2022 | Veränderung 2022/2021 | aus Deutschland | |
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SITC 778.3 Kfz-Elektrik | 1.062 | 15,2 | 65 |
SITC 784 Karosserien, Stoßstangen etc. | 8.314 | 7,5 | 876 |
SITC 773.13 Zündkabelsätze | 434 | 10,8 | 10 |
SITC 713.2 Motoren | 1.138 | 13,0 | 36 |
Summe | 10.947 | 8,9 | 987 |