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Wirtschaftsausblick | Bulgarien
Bulgariens Wirtschaft ist neuen Risiken ausgesetzt. Steigende Preise setzen Unternehmen und private Haushalte massiv unter Druck. Die Energiekrise ist noch nicht gelöst.
07.12.2022
Von Dominik Vorhölter | Sofia
Bulgariens Wirtschaft hat sich 2022 weiter von der Coronapandemie erholt. Dienstleistungsexporte und privater Verbrauch waren die größten Wachstumstreiber. Lebensmittelindustrie und Metallverarbeitung profitierten von höheren Preisen am Weltmarkt, wie aus Daten des Nationalen Statistikinstituts hervorgeht.
Doch die Inflation wird zunehmend zum Problem für das Wirtschaftswachstum. Sinkende Reallöhne und hohe Energiekosten für private Haushalte werden 2023 die Nachfrage am Binnenmarkt drosseln. Der private Verbrauch hat mit rund 60 Prozent den größten Anteil am realen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Auch die Exportnachfrage wird abflauen, angesichts einer schwächeren Konjunktur in der Eurozone. Für 2022 prognostiziert das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) ein reales BIP-Wachstum von 3,0 Prozent und für 2023 von 1,5 Prozent. Die EU-Kommission erwartet ein Plus von 3,1 Prozent für 2022 und von 1,1 Prozent für 2023. Dagegen rechnet die UniCredit Bank für 2023 nur mit einem BIP-Zuwachs von 0,5 Prozent.
Die Preise für Energie werden so lange hoch bleiben, bis Bulgarien längerfristige Lieferverträge abgeschlossen hat. Bulgarien versorgt sich mit Erdgas über den bulgarisch-griechischen Interkonnektor aus Griechenland und Aserbaidschan. Bisher konnte die Regierung etwa ein Drittel des jährlichen Bedarfs von rund 3 Millionen Kubikmeter Erdgas sicherstellen. Den Rest muss Bulgarien sich noch monatlich besorgen. Die größten Abnehmer sind die Fernwärmenetzbetreiber.
Bulgarien erhielt zudem eine Ausnahmeregelung der EU vom Ölembargo im 6. Sanktionspaket und darf bis Ende 2024 weiterhin russisches Rohöl und Erdölerzeugnisse über den Seeweg einführen. Diese Ausnahme genehmigte die EU, damit Bulgarien ausreichend Kraftstoff hat.
Die Regierung hat wenig Spielraum, die hohen Energiekosten für kleine Unternehmen und private Haushalte abzufedern. Mit der gedämpften Nachfrage erwartet der Staat weniger Steuereinnahmen.
Arbeitgeber versuchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit Lohnerhöhungen der Inflation entgegen zu steuern. Dafür halten sie sich mit Neueinstellungen zurück. Die Arbeitslosenquote wird laut EU-Kommission 2023 auf dem Niveau von 5,2 Prozent bleiben.
Die anhaltende politische Krise im Land verhagelt das Geschäftsklima zusätzlich. Bulgariens Volksvertreter sind nicht in der Lage, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Stattdessen gibt es eine geschäftsführende Regierung mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit. Das Land muss Strukturreformen anstoßen, etwa im Kampf gegen Geldwäsche und Korruption. Zudem ist Bulgarien als Beitrittskandidat der Eurozone verpflichtet, für Preisstabilität zu sorgen. Die Regierung will an ihrem Ziel festhalten, mit Beginn des Jahres 2024 den Euro als Zahlungsmittel einzuführen. Angesichts der hohen Inflation stellt dies eine große Herausforderung dar.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. Euro) | 61,6 | 71,1 | 3.602 |
BIP pro Kopf (Euro) | 8.890 | 10.330 | 43.292 |
Bevölkerung (Mio.) | 6,9 | 6,9 | 83,2 |
Wechselkurs * | 1,96 | 1,96 | - |
Bulgarien muss neue Investitionen längerfristig stimulieren. Einzelne Unternehmen verkünden Investitionspläne, halten sich jedoch mit der Umsetzung zurück. Als Grund dafür geben sie die derzeitige politische Unsicherheit an. Für 2022 prognostiziert die EU-Kommission ein Minus von real 8 Prozent bei den Ausrüstungsinvestitionen. Für 2023 erwartet sie ein Plus von 5,5 Prozent. Bulgarien gilt generell als attraktiver Standort für Investitionen in das produzierende Gewerbe und in B2B-Dienstleistungen.
Erst mit einem Jahr Verzögerung hat Bulgarien die Arbeit am Plan für die Verwendung der Fördermittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU in Angriff genommen. Daraus erwartet die Regierung eine erste Überweisung von 1,3 Milliarden Euro zu Jahresbeginn 2023.
Im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität stehen Bulgarien insgesamt 12,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Vergabe der Finanzmittel ist bis 2023 vorgesehen und zugleich gebunden an strukturelle Reformen und Ziele des Green Deals, der eine klimaneutrale, nachhaltige, effiziente und wettbewerbsfähige Wirtschaft anstrebt. Im Förderzeitraum 2021 bis 2027 kann das Land aus dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU zusätzlich insgesamt 16,7 Milliarden Euro abrufen.
Projektbezeichnung | Investition 1 | Projektstand 2 | Projektträgerschaft |
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Bau des Gasübertragungssystems Eastring Bulgaria - TRAN-654 | 2.000 | Bauarbeiten; Fertigstellung: 2025 | |
Bau der Autobahnstrecke Vidin-Botevgrad (190 km) | 461 | Bauarbeiten; Fertigstellung: 2027 | Agentur für Straßeninfrastruktur; Ministerium für regionale Entwicklung und öffentliche Arbeiten |
Erweiterung der dritten Metrolinie in Sofia | 393 | Bau von zwei Strecken der dritten U-Bahn-Linie; Fertigstellung: 2026 | |
Bau der Autobahn Struma - Los 3.2: Strecke Krupnik-Kresna (24 km) | 220 (Los 3.2.2.); 227 (Los 3.2.1.) | Fertigstellung: 2030 | Agentur für Straßeninfrastruktur; Ministerium für regionale Entwicklung und öffentliche Arbeiten |
Fertigstellung der Eisenbahnlinie nach Serbien; Ausbau und Modernisierung der Eisenbahnstrecke Voluyak – Dragoman (35 km) | 188 | Projekt in Planung | |
Bau des Tunnels unter dem Shipka Gipfel (Balkangebirge Stara Planina) | 183 | Technische Planung läuft; Fertigstellung: 2024 | Agentur für Straßeninfrastruktur; Ministerium für regionale Entwicklung und öffentliche Arbeiten |
Bau eines Werks zur Produktion von Elektroautos in Lovech | 140 | Geplante Inbetriebnahme des Werks: 2024 | |
Bau der Autobahn Hemus – Los 6: Strecke Pavlikeni - Kutsina/Veliko Tarnovo (32,7 km) | 139 | Geplanter Baubeginn: 2023 | |
Bau der Autobahn Europa: Strecke Slivnitsa - Sofia (16,5 km) | 114 | Bauarbeiten; Frist - 660 Kalendertage; Vertrag unterzeichnet mit DZZD "Europa – 2022" (Glavbolgarstroy); Fertigstellung: 2023 |
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite in den Rubriken "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".
Informationen zu EU-Binnenmarktausschreibungen veröffentlicht GTAI auf ihrer Internetseite.
Die Binnennachfrage flaut ab. Die Preissteigerungen für Lebensmittel und Energie werden anhalten. Dies wirkt sich negativ auf die Kaufkraft der bulgarischen Bürger aus. Für die einkommensschwache Bevölkerung bleibt das Risiko zu verarmen.
Dagegen war die Nachfrage nach Krediten bislang relativ stabil, dürfte aber 2023 abnehmen. Die Zentralbank rechnet im Jahresverlauf 2023 mit Zinsanhebungen für Darlehen durch die Banken.
Die nominalen monatlichen Bruttoverdienste werden 2023 voraussichtlich im Schnitt um 10 Prozent zunehmen. Dieser Lohnzuwachs im privaten und öffentlichen Sektor wird den Anstieg der Verbraucherpreise aufwiegen. Die Reallöhne werden somit 2023 weder ab- noch zunehmen, schätzt das wiiw.
Die - zwar gedämpfte - private Nachfrage und eine stetige Lagerhaltung der Unternehmen stimulieren das Wachstum der Importe leicht. Die EU erwartet für 2023 einen Zuwachs um 2,6 Prozent. Dennoch bleibt der Handelsbilanzsaldo negativ, unter anderem weil bulgarische Industrieunternehmen viele Vorprodukte einführen müssen.
Auch die Perspektiven für den Export trüben sich ein, denn in den wichtigsten Absatzmärkten Deutschland, Italien und Rumänien stockt das Wachstum. Leichte Impulse gehen von der Elektroindustrie aus, die einen Anteil von rund 12 Prozent am Gesamtexport hat. Die EU-Kommission erwartet für 2023 ein Wachstum der bulgarischen Exporte um 1,5 Prozent und die UniCredit Bank um 1,8 Prozent.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/2020 | |
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Importe (cif, Waren) | 30,6 | 39,1 | 27,7 |
Exporte (fob, Waren) | 28 | 34,8 | 24,3 |
Handelsbilanzsaldo | -2,6 | -4,3 | - |