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Wirtschaftsausblick | Chile

Positive Wachstumsaussichten sind für Firmen kein Trost

Nach dem schwachen Jahr 2023 gewinnt Chiles Wirtschaft 2024 an Fahrt. Doch die Firmen leiden unter Unsicherheit und langwierigen Genehmigungsverfahren. Die Stimmung ist gedrückt.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Top-Thema: Chile im Umsetzungsstau

Am 17. Dezember 2023 werden die Chilenen über eine neue Verfassung abstimmen, für die sie 2019/20 auf die Straße gegangen sind. Eigentlich müsste dies ein Top-Thema sein. Doch nur wenige scheinen sich dafür noch zu interessieren. Es ist der zweite Entwurf, nachdem der erste in einem Volksentscheid als zu links durchgefallen war. Aber auch dieser Text, der von einem eher rechten Verfassungsrat ausgearbeitet wurde, wird nach derzeitigem Stand keine Mehrheit finden.

Aus wirtschaftlicher Sicht schreibt der neue Entwurf wichtige Grundsätze wie das Recht auf Privateigentum und freies Unternehmertum fest. Politisch sieht er unter anderem eine Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug von Parteien in die Abgeordnetenkammer vor. Dies würde der seit Jahren anhaltenden Fragmentierung der Parteienlandschaft entgegenwirken, die Ursache dafür ist, dass viele wichtige politische und ökonomische Entscheidungen von der jeweiligen Opposition ausgebremst werden. Präsident Gabriel Boric schloss einen dritten Versuch aus; allerdings gibt es Spielräume, Änderungen an der aktuellen Verfassung vorzunehmen.

Stimmung im Keller

Nicht nur Wirtschaftsvertreter sind besorgt darüber, dass sich die seit Jahren herrschende Unsicherheit fortsetzt und deshalb Investitionen unterbleiben. Aber Unsicherheit ist nicht der einzige Grund. Die Dauer und Komplexität von Genehmigungsprozessen speziell auch im Umweltbereich gelten inzwischen schon fast als prohibitiv und haben sogar ein eigenes Wort hervorgebracht: "Permisología" - die Lehre von den Genehmigungsverfahren.

Chile leidet darunter, dass viele vollmundige Ankündigungen letztlich nicht umgesetzt werden. Ein typisches Beispiel ist das Thema Lithium. Die im April 2023 endlich veröffentlichte Nationale Lithiumstrategie bleibt bis heute vage. Welche Salzseen werden für den Abbau freigegeben? Wann und zu welchen Bedingungen wird es interessierten Firmen möglich sein, Lithium zu fördern? Erste Firmen kehren Chile bereits den Rücken und werden anderswo aktiv, obwohl das Land über die weltweit größten Lithiumvorräte verfügt.

Wirtschaftsentwicklung: Chile wird 2024 wieder wachsen – aber nicht genug

Die chilenische Wirtschaft wird 2023 mit einem leichtem Minus oder mit einer Null abschließen. Für 2024 erwartet die Banco Central de Chile unter anderem dank anziehender Konsumlaune und vermehrter Bergbautätigkeit ein Plus des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von bis zu 2,3 Prozent. Damit bewegt sich Chile wieder auf dem langfristigen Wachstumspfad. 

Trotzdem sehen Experten wie Zentralbankpräsidentin Rosanna Costa das Land damit mittel- bis langfristig unter seinen Möglichkeiten. Schuld seien die niedrige Produktivität und der geringe Kapitalstock, der wiederum zu niedrigen Investitionen führe – beides mit negativen Auswirkungen auf die Zukunft. Mit anderen Worten: Chiles BIP müsste deutlich stärker zulegen, um zu der Riege der Industrieländer aufzuschließen. 

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Immerhin entwickelt sich die Inflation rückläufig. Hatte sie 2022 im Jahresdurchschnitt noch bei 11,6 Prozent gelegen, so könnte sie zum Jahresende 2023 auf rund 4 Prozent zurückgehen und im 2. Halbjahr 2024 weiter auf 3 Prozent fallen, schätzt die Zentralbank. Nachdem die Notenbank im Sommer 2023 die Zinswende eingeleitet hat, ergibt sich Spielraum für weitere Zinssenkungen mit positiven Effekten auf Wirtschaft und Konsum.

Sorgen bereitet allerdings, dass der chilenische Peso in den letzten Monaten sehr sensibel auf höhere Zinsen in anderen Ländern der Region und vor allem in den USA reagierte. Ohnehin stellen externe Einflüsse ein spürbares Konjunkturrisiko dar. Neben der Fiskal- und Geldpolitik in den USA gilt dies besonders für die Wirtschaftsentwicklung in China, dem wichtigsten Abnehmer chilenischer Produkte. Wegen der schwachen Konjunktur in der Volksrepublik litten die Exporte 2023 unter geringeren Einnahmen aus dem Verkauf von Kupfer und Lithium. Aber auch die Importe verringerten sich, darunter von Konsum- und langlebigen Investitionsgütern. Entsprechend dürfte Chile 2023 wieder einen Außenhandelsüberschuss verbuchen. 

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Während sich der Zufluss an Direktinvestitionen 2023 auf ähnlich hohem Niveau bewegt wie im Vorjahr, klagen die Unternehmen vor Ort über steigende Kosten aufgrund höherer Löhne und Kraftstoffpreise sowie ungünstiger Wechselkursentwicklungen. Auch die Stimmung der Menschen ist getrübt. Trotz makroökonomisch positiver Aussichten blickten in der jüngsten Umfrage des Marktforschers Cadem nur 22 Prozent der Befragten optimistisch in die Zukunft der niedrigste Wert seit Umfragebeginn 2015. Laut Umfrage des Analyseshauses CEP glauben fast 90 Prozent, Chile sei ein Land in Stagnation oder sogar im Niedergang. 

Deutsche Perspektive: Zunehmende Ernüchterung

Aus deutscher Sicht bieten sich in Chile nach wie vor große Chancen – über Engagements im Rohstoffsektor, im Bereich erneuerbare Energie bis hin zu grünem Wasserstoff, um nur drei Zukunftsthemen zu nennen. Doch wenn es um die Umsetzung geht, hapert es. 

Mit anderen Worten: Auch deutsche Firmen leiden zunehmend unter der chilenischen "Permisología". Manche haben schon Millionenbeträge in Genehmigungsverfahren gesteckt und stehen immer noch am Anfang. Inzwischen gibt es Projekte, die gekippt wurden, weil im Nachhinein die Auflagen verschärft wurden. "Die Unternehmen wünschen sich endlich wieder Klarheit und Konstanz in den Regularien", sagt Cornelia Sonnenberg, Geschäftsführerin der AHK Chile. In der Tat war Verlässlichkeit lange Zeit eine Stärke Chiles. 

Hinzu kommt, dass Chile längst kein preiswerter Standort mehr ist. Die Unternehmensteuer etwa liegt mit einem Satz von 27 Prozent über dem OECD-Durchschnitt. Ein weiteres Problem sind fehlende Fachkräfte. "Wenn schon teuer, dann muss wenigstens der Rest stimmen", meint Sonnenberg. "Es ist so schade mitanzusehen, was das Land gerade zu verpassen droht."

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Weitere Informationen finden Sie auf unserer Länderseite Chile.

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