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Mit Smart Farming wird Europas Landwirtschaft wettbewerbsfähig
Europas Landwirtschaft kämpft mit Klimawandel und internationaler Konkurrenz. Agritech soll helfen. GTAI analysiert die wichtigsten europäischen Agrarmärkte.
26.05.2025
Von Christopher Fuß, Friedrich Henle, Oliver Idem, Torsten Pauly, Michael Sauermost, Frauke Schmitz-Bauerdick | Warschau, Madrid, Bonn, Mailand, Paris
Die europäische Landwirtschaft steht unter Druck. Ob Löhne, Energie, Dünge- oder Futtermittel: Steigende Kosten verteuern die Produktion. Die Ansprüche an Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung steigen, zeitgleich müssen sich Landwirte an zunehmend unvorhersehbare Klimaphänomene anpassen. Immer weniger Menschen wollen in der Landwirtschaft arbeiten. Und bei alledem kämpft Europas Landwirtschaft darum, in einem immer härteren internationalen Wettbewerb zu bestehen. "Wenn wir keine Anstrengungen unternehmen, neue Technologien auszurollen, werden wir auf Dauer nicht wettbewerbsfähig bleiben. Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit kann es nur mit Innovation geben", sagt Lucas Wadt, Leiter Kooperationen beim französischen Genossenschaftsverbund Fermes LEADER.
Smart Farming und Agritech-Lösungen gelten als Mittel der Wahl, um Landwirte auf dem Weg in die Zukunft zu unterstützen. Der Marktanalyst Research and Markets prognostiziert für den europäischen Smart-Agriculture-Markt zwischen 2024 und 2034 ein aggregiertes jährliches Wachstum von 18,7 Prozent. Von knapp 4 Milliarden Euro im Jahr 2024 soll, so den Prognosen zufolge, der Markt auf 22,2 Milliarden US$ steigen.
Vor allem Frankreich und die Niederlande stechen sowohl bei der Marktgröße als auch bei den Wachstumsraten heraus. Das Marktforschungsinstitut Grand View Research schätzt das Marktvolumen des niederländischen Smart-Agriculture-Sektors für das Jahr 2024 auf 492 Millionen US-Dollar (US$) und prognostiziert für 2025 bis 2030 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 12,9 Prozent. Für Frankreich erwartet das Institut für den gleichen Zeitraum sogar Wachstumsraten von 16,5 Prozent. 2,9 Milliarden Euro soll der französische Smart-Farming-Markt im Jahr 2030 erreichen. Aber auch in anderen Ländern Europas entwickelt sich der Sektor lebhaft. Germany Trade & Invest (GTAI) hat die wichtigsten europäischen Agrarmärkte analysiert.
Agritech soll Kosten sparen
Landwirte nutzen Werkzeuge wie Präzisionssensoren, autonome Maschinen und KI-gestützte Analysen, um Produktivität und Nachhaltigkeit zu steigern. Je nach Markt steht das eine oder andere im Vordergrund.
In den Niederlanden ist es die Nachhaltigkeit. Technologische Innovationen aus den Kategorien IoT, Drohnen sowie KI-Algorithmen treiben den niederländischen Smart Farming-Markt an.
Landwirte in Polen betrachten Smart Agriculture hingegen als Werkzeug, um die Kosten im Griff zu halten. "Preise für Energie, Düngemittel und Arbeitskräfte sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen", betont Łukasz Rachubiński und stellt fest: "Mit Smart Agriculture lassen sich Ressourcen einsparen." Vor allem neue Erntemaschinen, Werkzeuge für Präzisionslandwirtschaft oder Anlagen für die Tierhaltung sind gefragt.
Digitale Lösungen schonen Ressourcen
Drohnen, Sensorik und eine intelligentere Bewässerungstechnik sollen in Italien, Spanien und Frankreich dabei helfen, Wasser zu sparen und Schädlinge zu bekämpfen. So setzen französische Landwirte Smart Agriculture im Kampf gegen Feldfrucht- und Tierseuchen ein oder um sich an Dürren und Überschwemmungen anzupassen. Auch die Arbeitserleichterung und Ersatz knapper menschlicher Arbeitskraft gewinnt angesichts einer alternden bäuerlichen Bevölkerung an Bedeutung.
Robotiklösungen wie autonome Unkrautjäter hingegen sind noch kaum vertreten. Bislang bleiben die verfügbaren Lösungen in der praktischen Anwendung hinter den Erwartungen zurück und rentieren sich noch nicht. Und autonome, selbstfahrende Geräte wie Traktoren oder Mähdrescher sind aus regulatorischen Gründen häufig noch nicht verkaufsfähig.
In Spanien ist es auch der Arbeitskräftemangel, der in ländlichen Regionen Digitalisierung und Technisierung treibt. Der internationale Wettbewerb drängt spanische landwirtschaftliche Betriebe dazu, immer produktiver zu wirtschaften. Betriebe möchten zu einem gewissen Grad robotisieren, vor allem bei Ernte und Schädlingsbekämpfung, aber auch in der Vieh- und Milchwirtschaft. Technologien für das Erkennen und Behandeln von Krankheiten bei Pflanzen und Tieren sind ebenfalls gefragt. In Italien wird ein Fünftel der Agrarfläche ökologisch bewirtschaftet, daher sind digitale Nachhaltigkeitslösungen von besonderer Bedeutung.
Start-ups positionieren sich
Damit es Smart Agriculture auf die Felder und in die Ställe Europas schafft, setzen Europas Regierungen auf Start-ups und Start-up-Förderung. Die französische Agritech-Szene profitiert von einer intensiven staatlichen Förderung. Im Rahmen des Innovationprogramms France 2030 stellt das Land 2,3 Milliarden Euro an Fördermitteln für den Bereich Smart Agriculture zur Verfügung. Zudem existiert mit den Initiativen French Tech, La Ferme Digitale und FrenchAgriTech sowie lokalen Initiativen wie Rising Sud ein gut ausgebautes Ökosystem.
723 Start- und Scale-ups mit einer Gesamtbewertung von 13,4 Milliarden Euro sind im Bereich Agritech aktiv, so LaFrenchTech, die französische Start-up-Dachorganisation. Allerdings hat die Agritech-Startup-Szene zuletzt etwas an Dynamik verloren. "In Frankreich läuft gerade eine Konsolidierungsphase, nur wenige Start-ups kommen neu auf den Markt", beobachtet Lucas Wadt von Fermes LEADER.
Auch in Polen wächst die Jungunternehmer-Szene. EIT Food – ein EU-geförderter Thinktank – hat in Warschau ein neues Accelerator-Programm für landwirtschaftliche Technologien eingerichtet. Jedes Jahr können sich 10 Start-ups jeweils bis zu 50.000 Euro sichern. Auch das staatliche Forschungszentrum NCBR unterstützt die Entwicklung neuer Smart Agriculture Technologien finanziell. Die staatliche Förderanstalt für die Landwirtschaft KOWR entwickelt aktuell ein satellitengestütztes System zur Überwachung von Nutzpflanzen (S2MUR).
Internationale Partner gefragt
Die niederländische Regierung treibt die Entwicklung von Smart Farming voran. Dabei verfolgt sie eine umfassende Strategie für Innovation und Nachhaltigkeit. Darüber hinaus setzt die Regierung auf internationale Partnerschaften und Wissensaustausch, um globale Herausforderungen in der Landwirtschaft zu bewältigen. Initiativen wie das "National FieldLab Precision Agriculture" und die "Farm of the Future" in Lelystad unterstützen Landwirte bei der Anwendung moderner Techniken.
Italien fördert die Entwicklung eines eigenen Agritech-Sektors unter anderem durch die öffentlichen Förderprogramme Agricoltura 5.0 und Credito d’Imposta 4.0. Laut einer Studie von Politecnico Milano gab es 2024 in Italien bereits 386 Smart-Farming-Anbieter. Die Zahl der Start-ups steigt rasch und lag Anfang 2025 bei 164 Smart-Farming-Startups. Besonders künstliche Intelligenz und Machine Learning ist ein Wachstumsmotor. Hierfür gab es 2024 laut Politecnico Milano 22 Prozent mehr Startups.
Und auch in Spanien sind neben etablierten Unternehmen vor allem Neugründungen im Bereich Agritech aktiv. Insgesamt 146 Start-up-Unternehmen bearbeiteten laut spanischer Wirtschaftsförderungsgesellschaft ICEX im Jahr 2024 den Markt.
Akzeptanz nicht überall gleich
Agritech auf den Höfen Europas unterzubringen, ist indes nicht immer einfach. Zwar besteht grundsätzlich großes Interesse an Innovation, aber es gibt auch Vorbehalte. Nicht selten scheuen Anwender Preis und Aufwand der Einführung neuer Produkte. Dies trifft gerade auf kleinere Höfe oder ältere Nutzer zu. Und übergreifend gilt: Der Einsatz von smarter Technologie muss sich wirtschaftlich rechnen.
In Polen kommt Smart Agriculture bislang nur auf wenigen Höfen zum Einsatz. Der Einsatz teurer Smart-Farming-Technologien rentiert sich auf den im Durchschnitt gut 11 Hektar kleinen Bewirtschaftungsflächen kaum. Das Interesse an Smart-Farming-Technologien aber steigt aus einem anderen Grund, sagt Piotr Łuczak, Leiter der landwirtschaftlichen Beratungsagentur Agro Creative Agency:
"In kaum einem anderen Land der EU sind die Landwirte so jung wie in Polen. Junge Menschen begeistern sich für neue Technologien. Sie sind in der Regel die treibende Kraft hinter dem technologischen Wandel auf den Höfen ihrer Eltern und auf ihren eigenen Höfen."
Kleinbetriebe scheuen Investitionen
Auch in Frankreich zeigen sich Landwirte gegenüber Agritech oft zurückhaltend, gerade bei Sprunginnovationen. Denn oftmals sind die Folgen des Einsatzes neuer Methodologien auf dem eigenen Grund und Boden nicht abschätzbar. Und der Bauer trägt das Risiko des Einsatzes selbst.
In Spanien stellt die Vielzahl an kleinen Familienbetrieben die Anbieter von Smart-Farming-Lösungen vor Herausforderungen. Zwei Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe in Spanien bewirtschaften weniger als 10 Hektar Fläche. Den Familienhöfen fehlen die finanziellen Mittel und oft noch die Bereitschaft, um in neue Technologien zu investieren, meint Máximo Bourdette, Co-Gründer des Start-ups Agrointel aus Spanien:
"Viele Landwirte sind noch in einer traditionellen Arbeitsweise verhaftet. Für neue Technologien ist viel Überzeugungsarbeit notwendig.“
Die Niederlande hingegen gelten als ausgesprochen offen für neue Technologien. Und dies gilt auch für Agrartechniken. Die Mehrzahl der landwirtschaftlichen Betriebe setzt auf intelligente Agritech-Lösungen. Immer und überall aber gilt: Erfahrung ist und bleibt das beste Verkaufsargument, weiß Lucas Wadt, Fermes LEADER Frankreich: "Wenn der Nachbarhof die Technologie nutzt und sie bei ihm funktioniert, dann nimmt der nächste Landwirt die Lösung auch."