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Kanada treibt die Wende in der Agrotechnik voran
Der kanadische Agrarsektor steht vor einem digitalen Umbruch. Staatliche Förderprogramme und regionale Projekte eröffnen Chancen für deutsche Unternehmen mit nachhaltigen Lösungen.
22.08.2025
Von Heiko Steinacher | Toronto
Kanadas Markt für Agrotechnik soll laut dem Marktforschungsunternehmen IMARC Group bis 2033 ein Volumen von 1,4 Milliarden US-Dollar (US$) erreichen. Im Jahr 2024 lag es bei 491 Millionen US$. Damit würde dieser Sektor bis 2033 jährlich im Schnitt um 12,5 Prozent zulegen – und zu den am schnellsten wachsenden Technologiemärkten des Landes zählen. Die Nachfrage konzentriert sich auf Technologien, die die Effizienz steigern und Umweltbelastungen reduzieren, etwa durch präzise Bewässerung, automatisierte Erntemaschinen oder datengestützte Entscheidungssoftware.
Die Landwirtschaft Kanadas steht vor einem Wandel
Hauptgrund ist der Innovationsdruck durch die ehrgeizigen Klimaziele des Landes und den Arbeitskräftemangel. Bis 2030 könnten über 100.000 Stellen in der kanadischen Landwirtschaft unbesetzt bleiben – ein Engpass, der sich aus dem demografischen Wandel, fehlender Nachfolge und saisonalem Arbeitskräftemangel speist. Auch extreme Wetterereignisse und volatile Rohstoffpreise befeuern die Nachfrage nach Hightech-Lösungen.
Staatliche Förderung verleiht dem Markt für landwirtschaftliche Technologien zusätzlichen Schub. So hat die öffentliche Landwirtschaftsbank Farm Credit Canada (FCC) mit FCC Capital 2024 eine Investmentplattform ins Leben gerufen, die bis 2030 rund 1,5 Milliarden US$ in Innovationen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft investieren soll. Bereits im ersten Jahr wurden neun Direktbeteiligungen mit einem insgesamt fast 125 Millionen US$ abgeschlossen, zum Beispiel in den Bereichen Automatisierung, Sensorik und nachhaltige Produktion. Ziel der Plattform ist es, vielversprechende Technologien entlang der gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette frühzeitig zu fördern und die Marktreife der Lösungen zu beschleunigen.
Technologiefeld | Beispielhafte Anbieter/Produkte |
Präzisionslandwirtschaft |
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Sensorik & IoT 2) |
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Automatisierung |
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Nachhaltige Technologien |
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Seit Frühjahr 2025 ist die KI-gestützte Plattform ForeSite des kanadischen Agrotechnik-Unternehmens Ukko Agro im Einsatz. Sie liefert Landwirten bis zu sieben Tage im Voraus Empfehlungen für den Pflanzenschutz. Die Entwicklung der Software wurde über das bundesstaatliche Förderprogramm AgriInnovate unterstützt, das marktreife Innovationen in der Landwirtschaft gezielt bei ihrer Umsetzung begleitet.
Die Provinz British Columbia fördert eine nachhaltige und digitale Landwirtschaft besonders stark. Ein Beispiel ist das Zentrum für Agrartechnik in Abbotsford, das lokale Milchbetriebe mit moderner digitaler Infrastruktur versorgen soll – etwa zur Optimierung von Fütterung, Tiergesundheit und Energieverbrauch. Dafür sind Investitionen in Höhe von 18 Millionen US$ vorgesehen, die sowohl aus privaten Mitteln als auch durch öffentliche Unterstützung gespeist werden. Das Projekt ist Teil einer Initiative, mit der die Provinzregierung gezielt klimafreundliche Lösungen in Schlüsselbranchen wie der Landwirtschaft fördert.
Klimafreundliche Agrartechnologien vom Einzelbetrieb bis zur Systemlösung
Auch bundesweite Förderinstrumente wie das Agricultural Clean Technology Program (ACT) unterstützen sowohl die Entwicklung als auch die Einführung klimafreundlicher Technologien. Sie können durch regionale Kofinanzierung ergänzt werden, wie im Fall eines Familienbetriebs in Verner (Provinz Ontario), der seine Getreideproduktion mit Hilfe von Mitteln aus dem ACT modernisierte.
Ein Leuchtturmprojekt ist die Canadian Alliance for Net-Zero Agri-Food (CANZA), eine branchenübergreifende Initiative zur Förderung klimafreundlicher Landwirtschaft. Sie wurde im Februar 2025 offiziell gestartet und läuft über vier Jahre. Mit 2,9 Millionen US$ wird ein System zur Messung, Berichterstattung und Verifizierung für klimafreundliche Landwirtschaft entwickelt. Ziel ist es, nachhaltige Praktiken monetarisierbar zu machen – etwa durch CO2-Zertifikate. Beteiligte Partner wie Maple Leaf Foods, Nutrien, Universitäten und Start-ups schaffen ein innovationsfreundliches Umfeld, das auch internationale Kooperationen begünstigt.
Technologieoffene Förderung mit Raum für internationale Partnerschaften
Förderprogramme auf Provinz- und Bundesebene sind technologieoffen und setzen ebenfalls oft auf internationale Partnerschaften – ein Vorteil für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) aus Deutschland, die mit innovativen Produkten und Dienstleistungen punkten können. Besonders hervorzuheben ist das Canadian Agri-Food Automation and Intelligence Network (CAAIN), das bis zu 2,2 Millionen US$ pro Projekt bereitstellt – mit einer Förderquote von bis zu 40 Prozent. Voraussetzung ist die Beteiligung kanadischer KMU, internationale Partner sind jedoch ausdrücklich erwünscht.
Deutsche Anbieter sind bereits vor Ort aktiv. So betreibt Infarm hydroponische Produktionszentren in Calgary, Halifax, Hamilton und Vancouver – mit KI-gesteuerter Steuerung und 95 Prozent weniger Wasserverbrauch. BayWa und Claas sind in der Provinz Alberta tätig und unterhalten ein Logistikzentrum in Regina. The Cultivated B investierte 36 Millionen US$ in ein Innovationszentrum für zelluläre Landwirtschaft in Burlington.
Diese Beispiele zeigen: Der Markteintritt ist möglich, er erfordert jedoch technologische Anpassung und Kenntnis regionaler Besonderheiten. Denn Kanadas Agrarsektor ist regional stark differenziert:
- Provinzen Ontario und Québec: Fokus auf urbane Landwirtschaft, Sensorik und Biotechnologie
- Provinzen Alberta und Saskatchewan: Großbetriebe mit Bedarf an Automatisierung
- Provinz British Columbia: innovationsfreundlich, hohe Investitionen in Nachhaltigkeit
- Atlantikprovinzen: Kleinbetriebe mit Bedarf an skalierbaren Lösungen
Trotz der Chancen gibt es Hürden: Die Einführung neuer Technologien ist oft teuer, viele Betriebe sind zurückhaltend und benötigen Schulungen. Zudem konkurrieren deutsche Anbieter mit US-Firmen, die geografisch und kulturell näher liegen. Auch regulatorische Anforderungen – etwa bei Biotech-Produkten – können den Marktzugang erschweren. Gleichzeitig ergeben sich durch die aggressive Handelspolitik von US-Präsident Trump neue Chancen.