Branchen | Lateinamerika | Abfallentsorgung, Recycling
Kreislaufwirtschaft in Lateinamerika – Chance für Deutschland
Die Müllhalden in der Region stoßen an ihr Limit und neue Lösungen zur Verwertung müssen her. Deutsche Firmen können dabei helfen, aus dem Müll eine wertvolle Ressource zu machen.
11.11.2025
Von Janosch Siepen | Bogotá
Die Abfallwirtschaft in Lateinamerika steht vor einem Wendepunkt. Überfüllte Deponien, niedrige Recyclingquoten und neue gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen einen wachsenden Bedarf an innovativen Lösungen – und damit attraktive Marktchancen für deutsche Unternehmen. Wer Technologien zur Verwertung organischer Abfälle, Waste-to-Energy oder Sortiersysteme anbietet, findet in der Region zunehmend offene Türen.
Lateinamerika modernisiert seine Abfallpolitik
Mehrere Länder der Region haben in den vergangenen Jahren Gesetze zur Förderung der Kreislaufwirtschaft erlassen, darunter Chile, Kolumbien, Uruguay, Ecuador und Peru. Besonders Brasilien setzt ambitionierte Programme um:
- Im Rahmen des Gesetzes über das Programm zur Beschleunigung der Energiewende (PATEN) fördert Brasilien die Entwicklung von Technologien zur Rückgewinnung und energetischen Verwertung von festen Abfällen sowie die Nutzung von Biogas.
- Der Plano Nacional de Economia Circular wurde im Mai 2025 beschlossen und soll die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie ENEC umsetzen.
- Brasilien verbietet offene Müllkippen per Gesetz. Öffentlich-private Partnerschaften (PPP) könnten dazu dienen, das Verbot umzusetzen.
- Das 2024 verabschiedete Gesetz über Kraftstoffe der Zukunft (Combustíveis do Futuro) schafft Anreize zur Produktion von Biomethan aus Abfällen. Auch die Bundesstaaten fördern die Nutzung von Biogas.
Pedro Maranhão, Präsident des brasilianischen Branchenverbands für Stadtreinigung und Abfallwirtschaft Abrema prognostiziert deshalb: "Wir erwarten, dass der Markt für Abfallwirtschaft in den kommenden Jahren stark expandieren wird – mit Investitionen nicht nur in neue Deponien, sondern auch in Anlagen zur Biogasgewinnung und Stromerzeugung aus organischen Abfällen."
Auch Chile setzt auf Kreislaufwirtschaft. Hierzu konkretisiert die Politik das aus dem Jahr 2016 stammende Kreislaufwirtschaftsgesetz Ley REP. Ziel ist es, die bislang sehr niedrigen Recyclingquoten zu steigern.
Auch im Bergbau gewinnt das Thema an Relevanz: Die Bergbauunternehmen richten ihr Augenmerk vermehrt auf die Zweitnutzung von Bergbaurückständen – ein lohnendes Geschäft angesichts sinkender Erzgehalte im Gestein.
| Projektname (Land) | Investitionssumme (in Mio. US$) | Stand | Projektträger |
|---|---|---|---|
| Müllverbrennungsanlage URE Mauá (Brasilien) | 200 | Umweltstudien, Betrieb ab Juli 2031 | Lara Central de Tratamento de Resíduos |
| Bau eines Abfallwirtschaftskomplexes in Quito (Ecuador) | 190 | Vergabeverfahren startet im September 2026 | EMGIRS |
| Müllverbrennungsanlage in Baixada Santista - URE Valoriza Santos (Brasilien) | 121 | Umweltlizenz erhalten, Bauentscheidung steht aus | Valoriza Energia |
| Abfallbehandlungszentrum Consimares (Brasilien) | 100 | Umweltlizenz erhalten, Bauentscheidung steht aus | Consimares |
| Zentrum für Industrieabfallmanagement CIGRI (Chile) | 85 | Projekt wegen rechtlichen Streitigkeiten in Bezug auf Umweltlizenz aktuell gestoppt | Ciclo |
| Müllverbrennungsanlage Araucanía (Chile) | 80 | Umweltlizenz bislang abgelehnt | WTE Araucanía |
Geschäftschancen bei Waste-to-Energy Projekten
In Bogotá ist der Handlungsdruck besonders groß. Täglich landen in Kolumbiens Hauptstadt große Mengen Abfall in Gräben oder Abwasserkanälen, weil die Müllabfuhr nicht nachkommt, nicht zuletzt wegen schlechter Koordination der Behörden. Eine Lösung ist der Bau von Müllverbrennungsanlagen. Laut dem "Plan Indicativo de Bioenergía del Pacífico" des nationalen Planungsreferats UPME könnte Kolumbien ein Drittel seines Gasbedarfs aus landwirtschaftlichen und städtischen Abfällen decken.
Der deutsche Unternehmer Marc Meyerkort hat dies erkannt und arbeitet mit lokalen Partnern an Anlagen, die Abfall kostengünstig vergasen und zu Ersatzbrennstoffen (RDF) und Biomethan aufbereiten, darunter in der Millionenstadt Cartagena an der Karibikküste. Nach der Fertigstellung werde die Anlage in Cartagena eine der größten RDF-Anlagen weltweit sein, so Meyerkort. Er empfiehlt:
Auch Brasilien mit seiner großen Bevölkerung und gewaltigen Agrarressourcen bietet ein riesiges Potenzial für Waste-to-Energy-Projekte. Laut dem Branchenverband ABREN könnte der brasilianische Markt für Abfallverbrennung bis 2030 Investitionen in Höhe von bis zu 2 Milliarden US-Dollar (US$) anziehen. Knapp zehn Großprojekte sind derzeit in der Entwicklung, so Informationen von ABREN. Die erste Abfallverbrennungsanlage Lateinamerikas wird Ende 2026 in der brasilianischen Stadt Barueri in der Metropolregion São Paulo mit einer Kapazität von 20 Megawatt in Betrieb gehen.
Nachholbedarf bei Recycling in Südamerika
Weitere Abhilfe schafft Recycling. Der Handlungsbedarf ist groß. Um das Müllproblem unter Kontrolle zu bringen, müssen die Länder in Südamerika ihre Recyclingkapazitäten in den kommenden zehn Jahren verfünffachen, so die Vereinten Nationen. Ein Vorbild ist Mexiko, das 2024 eine PET-Recyclingrate von 64 Prozent erreichte – höher als die der Europäischen Union. PET (Polyethylenterephthalat) kommt vor allem in Kunststoffflaschen zum Einsatz.
Und es wird weiter investiert. So möchte der Betreiber der weltweit größten Recyclinganlage für lebensmitteltaugliches PET, PetStar, seine Anlagen in Mexiko bis 2027 für rund 170 Millionen US$ erweitern und neue Sammelstellen einrichten. In Kolumbien startet Esenttia, eine Tochter des Staatskonzerns Ecopetrol, ab 2027 mit Partnerunternehmen das erste Projekt für komplexes Chemierecycling zur Herstellung von Polypropylen in Lateinamerika.
Deutsche Technologie gefragt
Bei Recyclingtechnologien sind deutsche Unternehmen oft führende Zulieferer. So setzt Latasa Reciclagem, Brasiliens größter Aluminiumrecycler, auf Sortiersysteme des Kölner Unternehmens Steinert. Die Firma Eggersmann liefert Kompostumsetzer an Patrón in Mexiko. Und Stadler aus Baden-Württemberg stattet die größten Sortieranlagen in Lateinamerika aus, darunter in Brasilien und Mexiko.
Besonderes Potenzial bei organischen Abfällen
Mehr als 50 Prozent des Abfalls in Lateinamerika sind organische Reststoffe. Dies bietet Potenzial für den Einsatz entsprechender Technologien zur Verwertung. Auch hier bieten sich Lieferchancen. So plant das chilenische Unternehmen Trongkai den Bau einer Bioraffinerie in der zentralchilenischen Region Maule und die Anbindung an ein bestehendes Biomasse-Heizkraftwerk. Auch Brasiliens Zucker-Ethanol-Industrie, der Papier- und Zellstoffsektor sowie Großkonzerne des Agribusiness investieren in effizientere Verfahren zur Reststoffverwertung und Bioenergiegewinnung.
Gebremst werden die Investitionen in die moderne Abfallwirtschaft in Lateinamerika aber durch die niedrigen Deponierungskosten. In den meisten Ländern der Region rentieren sich Investitionen in die Wieder- und Weiterverwertung noch zu wenig. Andererseits kommen immer mehr Deponien an ihre Kapazitätsgrenzen – oder haben diese schon überschritten, etwa in Kolumbien oder Chile. So wird auch Technologie zum Aus- oder Neubau von Deponien dringend benötigt.
"Das Geschäftsmodell flexibel an die lokalen Rahmenbedingungen anpassen"
Helmuth Gallego ist Gründer von Biogás Colombia. Es ist das einzige Unternehmen in Kolumbien, das sauberen Strom aus Biogas in das nationale Stromnetz einspeist. Es nutzt Biogas aus der Deponie Doña Juana in Bogotá. Im Interview erklärt er, wie deutsche Unternehmen im Sektor der Abfallwirtschaft und -verwertung erfolgreich sein können.
Herr Gallego, welche deutschen Technologien kommen in Ihrer Biogasanlage zum Einsatz?
Für unsere Anlage beziehen wir Produkte zahlreicher deutscher Unternehmen. Das Mannheimer Unternehmen MWM liefert Motoren. Die Kommunikations- und Automatisierungstechnologie stammt von Phoenix Contact, Siemens liefert elektrotechnische Lösungen. Die Kühltechnik haben wir von Intercom Deec aus Duisburg, die nötige Aktivkohle kommt von CarboTech aus Essen. Und Mann+Hummel ist für die Filtersysteme zuständig.
Welche konkreten Geschäftschancen bestehen im Bereich der Abfallwirtschaft und Abfallverwertung in Kolumbien für deutsche Unternehmen?
Besonders groß ist das Potenzial von Projekten, die im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP) durchgeführt werden. Die Kommunen und Behörden stehen PPP-Projekten heute sehr aufgeschlossen gegenüber. Daneben empfehlen sich Joint Ventures mit bestehenden Betreibern von Deponien oder Biogasanlagen, die bereits Verträge mit Kommunen haben und ihre Technologie verbessern möchten. Auch die Verwertung organischer Abfälle bietet großes Potenzial. Hier müssen deutsche Unternehmen allerdings genau die Wirtschaftlichkeit prüfen, da die Entsorgungsgebühren diese Art der Abfallverwertung nicht berücksichtigen und vergüten.
Vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrung in der Branche, was ist erfolgskritisch für deutsche Unternehmen, die sich für den Sektor in Kolumbien interessieren und Absatzmöglichkeiten suchen?
Deutsche Unternehmen sollten ihr Geschäftsmodell nicht unverändert übertragen, sondern flexibel an die lokalen Rahmenbedingungen anpassen. Dazu gehört es, auch Finanzierungslösungen anzubieten, idealerweise in Zusammenarbeit mit lokalen Banken oder mit Unterstützung durch Euler Hermes. Wichtig ist auch das Bewusstsein dafür, dass Abfall in Kolumbien oft ungleichmäßig zusammengesetzt ist und Unreinheiten oder Vermischungen Teil der Realität sind. Zudem müssen die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen berücksichtigt werden, die technische Anpassungen erfordern können, etwa die Kalibrierung von Motoren. In Regionen wie Cartagena kann beispielsweise die salzhaltige Luft die Oberflächen von Maschinen beeinträchtigen.