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Weltbank stellt düstere Prognose für Palästinensische Gebiete
Die palästinensische Wirtschaft wird 2024 um mindestens 6,5 Prozent schrumpfen. In Gaza muss die zerstörte Infrastruktur wieder aufgebaut werden. Auch das Westjordanland ist geschwächt.
01.03.2024
Von Wladimir Struminski | Israel
Im Jahr 2023 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Palästinensischen Gebiete real um schätzungsweise 6,4 Prozent gesunken. Das hat die Weltbank in einer Untersuchung zu den Auswirkungen des Gaza-Krieges auf die palästinensische Wirtschaft berichtet.
Für 2024 prognostiziert die Bank einen nahezu identischen Rückgang - und zwar um 6,5 Prozent. Sie weist jedoch darauf hin, dass die tatsächliche Entwicklung noch negativer ausfallen könnte. Ein Grund dafür könnte eine hohe Intensität der Kämpfe im Gazastreifen über die ersten Monate des Jahres 2024 hinaus sein.
Ein weiteres Risiko sei eine Verschärfung der israelischen Restriktionen für wirtschaftliche Aktivitäten im Westjordanland. Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums droht die reale Wirtschaftsleistung pro Kopf in den Jahren 2023 und 2024 kumuliert sogar um rund 18 Prozent zu sinken.
In Gaza liegt ein Großteil der Infrastruktur in Trümmern
Entscheidend für das negative Jahresergebnis 2023 war das 4. Quartal, das fast vollständig mit dem am 7. Oktober ausgebrochenen Krieg zusammenfiel. Nach Schätzungen der Weltbank ist das in Gaza erwirtschaftete BIP in den letzten drei Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 80 Prozent zurückgegangen. Derzeit müsse davon ausgegangen werden, dass fast alle Bewohner des Gazastreifens in Armut lebten.
Gaza hat schwere Infrastrukturschäden erlitten. Laut dem Weltbankbericht sind 92 Prozent der Hauptstraßen zerstört oder beschädigt. Auch die Nebenstraßen seien schwer beschädigt. Unter diesen Umständen könnten viele Gebiete nicht über das Straßennetz erreicht werden.
Ferner seien 62 Prozent aller Stromleitungen in dem Landstrich zerstört oder beschädigt. Die materiellen Schäden der Stromwirtschaft in Gaza beliefen sich im Februar 2024 auf 280 Millionen US-Dollar.
Die Arbeitslosigkeit in Gaza habe bereits vor dem Krieg bei 45 Prozent gelegen. Seither seien etwa 80 Prozent der Arbeitsplätze verloren gegangen, die es vor Ausbruch des Krieges gegeben habe.
Auch Wirtschaft im Westjordanland eingebrochen
Im Westjordanland, das nicht von den Kriegshandlungen betroffen war, wurde die Wirtschaft nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen wie in Gaza. Allerdings musste auch sie schwere Einbußen hinnehmen. Nach Angaben der Weltbank lag das Bruttoinlandsprodukt des Westjordanlandes in den Monaten Oktober bis Dezember 2023 um 22 Prozent unter dem Niveau des Vorjahresquartals.
Ein entscheidender Grund dafür ist die starke Abnahme der Binnennachfrage. Sie rührt nicht zuletzt von der Aussetzung der Arbeitsgenehmigungen für palästinensische Pendler in Israel. Allerdings habe Israel auch die Eingriffe seiner Streitkräfte in palästinensische Städte verstärkt und die Freizügigkeit innerhalb der Palästinensischen Gebiete stärker als zuvor eingeschränkt. Zudem seien antipalästinensische Übergriffe seitens israelischer Siedler ein Störfaktor.
Im November und Dezember 2023 haben 96 Prozent aller Unternehmen im Westjordanland von Umsatzeinbußen berichtet. Zudem wurden die Lieferketten palästinensischer Unternehmen, die ihre Importe über israelische Häfen tätigen, gestört.
Inwieweit und wann die israelische Regierung die Rückkehr der palästinensischen Arbeitnehmerschaft erlaubt, ist unklar. Vorerst setzt sie auf einen Zustrom von Arbeitskräften aus Übersee. Zwar verläuft das Anheuern überseeischer Arbeitskräfte, wie israelische Medien berichten, schleppend. Dennoch dürfte die Erneuerung der Arbeitsgenehmigungen für palästinensische Beschäftigte in unmittelbarer Zukunft nicht zu erwarten sein.
Israel behält palästinensische Steuereinnahmen ein
Seit Beginn des Krieges werden die Finanzen der palästinensischen Regierung durch die zunehmende Einbehaltung von Verrechnungssteuereinnahmen durch Israel belastet. Grundsätzlich ist Israel verpflichtet, Zölle und Steuern, die es für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) erhebt, an diese weiterzuleiten.
Dennoch behielt Israel bereits vor dem Krieg einen Teil dieser Einnahmen aus politischen Gründen ein. Nach dem Kriegsausbruch wurde der einbehaltene Betrag erhöht. Als Begründung gab Israel an, Überweisungen der PNA an ihre im Gazastreifen lebenden Beschäftigten zu verhindern.
Trotz internationaler Vermittlung konnte das Problem bisher nicht befriedigend gelöst werden. Da die Verrechnungsgelder die Haupteinnahmequelle des palästinensischen Haushalts darstellen, schränkt das Einbehalten der Mittel durch Israel den budgetären Handlungsspielraum der PNA erheblich ein. Im Februar 2024 erklärte Finanzminister Shuki Bishara laut der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA, dass das Verhalten Israels die palästinensische Regierung in eine gefährliche finanzielle Lage gebracht habe.
Nicht zuletzt mussten Gehaltszahlungen an Beschäftigte des öffentlichen Sektors gekürzt werden. Das trägt zur allgemeinen Nachfrageschwäche der palästinensischen Wirtschaft bei.
Wege zur Erholung unklar
Ohne massive internationale Hilfe kann die humanitäre und wirtschaftliche Krise nicht gelöst werden. Dies gilt insbesondere für den Gazastreifen. Bevor wirtschaftliche Aktivitäten in größerem Umfang wieder möglich sind, muss die gesamte Infrastruktur wieder aufgebaut werden: Straßen, Stromleitungen, Häuser, das Gesundheitssystem und andere Bereiche des öffentlichen Lebens.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Wirtschaftskrise im Westjordanland. Ein langfristiger Wegfall der Einkommensmöglichkeiten in Israel würde eine strukturelle Krise des Arbeitsmarktes auslösen und die Schaffung von Alternativen erfordern.