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Fachkräfte
Eine alternde Gesellschaft, Bildungslücken und fehlende Zuwanderung gefährden das wirtschaftliche Wachstum und den Wohlstand von Dänemark. Rufe nach Reformen werden lauter.
28.07.2025
Von Judith Illerhaus | Stockholm
Dänemark gilt als eines der wirtschaftlich stabilsten Länder Europas – mit einer hohen Beschäftigung, niedrigen Arbeitslosigkeit und einem flexiblen Arbeitsmarkt. Laut Eurostat zählt Dänemark auch 2025 zu den EU-Ländern mit der höchsten Erwerbstätigenquote, bleibt mit knapp über 80 Prozent aber außerhalb der absoluten Spitzengruppe. Dank des Bevölkerungswachstums führt dies zu einer stetigen Steigerung des Arbeitskräftepotenzials: im Mai 2025 wurde erstmals die Marke von sechs Millionen Einwohnern überschritten und die Erwerbstätigenquote erhöhte sich in den letzten zehn Jahren um etwa 5 Prozent. Für die kommenden Jahre geht der Verband der dänischen Industrie Dansk Industri davon aus, dass die Beschäftigung weiter steigen wird.
Die Arbeitslosenquote liegt dementsprechend laut nationalem Statistikamt Danmarks Statistik bei aktuell nur 2,9 Prozent. Dies ist eine der niedrigsten Raten in der EU.
Mehr unbesetzte Stellen trotz mehr Einwohnern
Trotz der steigenden Einwohnerzahl gibt es eine wachsende Zahl unbesetzter Stellen. Der dänische Arbeitgeberverband DA rechnet vor, dass dem Land bis 2035 rund 150.000 qualifizierte Arbeitskräfte fehlen werden – ein Rückgang von fast 20 Prozent im Vergleich zu 2023.
Die Ursachen liegen vor allem im demografischen Wandel und weniger jungen Menschen, die sich für eine berufliche Ausbildung entscheiden. Immer mehr Menschen erreichen das Rentenalter, während die Zahl der jungen Erwerbstätigen stagniert. Gleichzeitig steigt die Zahl der Einwanderer, die zwar zur Entlastung beitragen, aber nicht immer über die gefragten Qualifikationen verfügen. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften entwickelt sich zunehmend zu einem wirtschaftlichen Wachstumshemmnis. Besonders betroffen sind technologieintensive Branchen, aber auch das Handwerk und der öffentliche Sektor.
Besonders gefragt sind Kompetenzen in den Bereichen IT, Datenanalyse, nachhaltiges Bauen und Umwelttechnik. Doch gerade in diesen Feldern melden Unternehmen Engpässe. Laut Branchenverbänden ist der Fachkräftemangel in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen im Bereich grüne und digitale Transformation besonders ausgeprägt. Hinzu kommt ein kultureller Wandel: Flexible Arbeitsmodelle wie Homeoffice und hybride Arbeitsformen sind inzwischen weit verbreitet – und verändern die Erwartungen an Arbeitgeber und Arbeitsbedingungen grundlegend.
Rufe nach Reformen werden lauter
"Die Zahl der qualifizierten Arbeitskräfte wird bis 2030 um fast 80.000 sinken", prognostiziert Anders Borup Christensen, Chefvolkswirt von DA, und ruft die Politik zum Handeln auf. Nicht nur er ist der Meinung, dass das reale Renteneintrittsalter weiter aufgeschoben und der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte von außerhalb der EU erleichtert werden sollte. Aus Untersuchungen des Verbandes geht hervor, dass die zu zaghafte Öffnung gegenüber der Immigration für einige Branchen zur Wachstumsbremse geworden ist. Es gäbe einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit von externen Fachkräften und den Rekrutierungserfolgen, heißt es in weiteren Analysen von DA: In Sektoren, die auf Zuwanderer angewiesen sind, bleibt die Personalsuche teils bis zu 40 Prozent erfolglos. Über die gesamte Wirtschaft gesehen liegt der Anteil bei knapp über 20 Prozent.
Bildung als Schlüssel
Ein Blick auf das Ausbildungsniveau zeigt: Dänemark verfügt über eine gut qualifizierte Bevölkerung. Rund 42 Prozent der 25- bis 64-Jährigen haben einen Hochschulabschluss – ein im internationalen Vergleich hoher Wert. Etwa 26 Prozent der Bevölkerung verfügt über eine Berufsausbildung – ein deutlicher Rückgang gegenüber 38 Prozent im Jahr 2006. Diese Entwicklung spiegelt den Trend zur Akademisierung wider und führt gleichermaßen zu Engpässen bei praxisorientierten Fachkräften, etwa im Handwerk oder in der Pflege.
Geografisch zeigen sich deutliche Unterschiede
In ländlichen Regionen ist der Anteil an Personen mit Berufsausbildung höher, während in städtischen Gebieten mehr Menschen über akademische Abschlüsse verfügen. Die dänische Erwerbsbevölkerung gilt als eine der produktivsten Europas. Besonders in zukunftsrelevanten Bereichen wie grüner Technologie, nachhaltigem Bauen und IT sind die Qualifikationen hoch und gut auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts abgestimmt. Zudem gelingt es Dänemark im OECD-Vergleich besser als vielen anderen Ländern, Ausbildung und tatsächliche Berufstätigkeit in Einklang zu bringen.
Eine Orientierung am dänischen Modell täte Deutschland gut
Laut einer Umfrage von März 2025 der dänischen Handelskammer Dansk Erhverv schneidet Dänemark in nahezu allen Bildungsindikatoren besser ab – von der Grundbildung bis zur Hochschulbildung. Deutschland hingegen punktet mit seinem dualen Ausbildungssystem, das Theorie und Praxis eng verzahnt. Dieses Modell ist in Dänemark weniger verbreitet, was teilweise zu einer geringeren Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung führt.
Beide Länder stehen jedoch vor ähnlichen Herausforderungen: Der demografische Wandel, die Digitalisierung und der globale Wettbewerb um Talente machen eine strategische Fachkräftesicherung unerlässlich. Während Deutschland stärker auf strukturierte Ausbildungssysteme setzt, verfolgt Dänemark einen flexibleren Ansatz mit Fokus auf lebenslangem Lernen, arbeitsmarktorientierter Weiterbildung und internationaler Rekrutierung.
Gleichzeitig wird die Sicherung des Fachkräfteangebots in Dänemark zunehmend als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden. Politik, Wirtschaft und Bildungseinrichtungen arbeiten an Lösungen – von der Reform der Berufsausbildung über gezielte Zuwanderung bis hin zur Förderung älterer Arbeitnehmer.
Dänemark im weltweiten VergleichFolgende Karte ermöglicht den Vergleich zwischen zahlreichen Ländern weltweit. Bitte beachten Sie, dass die Werte in der Karte aus international standardisierten Quellen stammen und somit ggf. von Angaben aus nationalen Quellen im Text abweichen können. |