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Special | Tschechische Republik | Energiesicherheit und -preise

Mit Atomstrom in die Zukunft

Tschechien ist von den Verwerfungen am Energiemarkt stark betroffen. Doch der Regierung ist es gelungen, die Abhängigkeit von Russland zu senken und die Preise zu stabilisieren.

Von Gerit Schulze | Prag

Als klassisches Industrieland ist Tschechien auf eine stabile und erschwingliche Versorgung mit Energie angewiesen. Das Land hängt zu etwa 40 Prozent von der Einfuhr an Energieträgern ab. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern schneidet Tschechien damit relativ gut ab vor allem wegen der eigenen Kohlevorkommen und dem hohen Anteil an Atomstrom. 

Tschechiens Importabhängigkeit bei fossilen Brennstoffen (2021)

Jahresbedarf in Petajoule (PJ)

Importanteil in %

Wichtigste Lieferländer

Erdöl und Ölprodukte

396

96,9

Russland, Deutschland, Kasachstan

Rohöl

302

96,2

Russland, Kasachstan, Aserbaidschan

Erdgas

326

92,1

Russland

Feste fossile Brennstoffe (Koks und Kohle)

534

14,2

Polen, USA, Russland

Quelle: Ministerium für Industrie und Handel (MPO), "Energieimportabhängigkeit der Tschechischen Republik in den Jahren 2011-2021", 2023

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Unter dem Eindruck der russischen Invasion in der Ukraine und der europäischen Klimaschutzziele überarbeitet die Regierung derzeit ihr Energiekonzept. Die Importabhängigkeit im Energiesektor soll sinken.

Hohe Energiepreise im regionalen Vergleich

Nach Ausbruch des Ukrainekrieges mussten auch Tschechiens Verbraucher höhere Energiepreise zahlen. Laut Internationaler Energieagentur IEA kostete 2022 eine Kilowattstunde Strom in Privathaushalten 0,35 Euro. Das war der höchste Wert innerhalb der Visegrád-Gruppe: Ungarn 0,10 Euro; Polen 0,16 Euro; Slowakei 0,19 Euro. Auch die Preise für die Industrie fielen sehr hoch aus und lagen sogar über dem Niveau in Deutschland.

Wichtige Energiemarktindikatoren im Vergleich zu Deutschland (2021)
 

Tschechische Republik

Deutschland

Bevölkerung (in Mio.)

10,7

83,2

Energieproduktion (TJ, 2020)

991

4.046

Stromverbrauch (TWh)

69,7

550,7

Nettoenergieimporte (PJ)

720

7.916

Pro-Kopf-Verbrauch (GJ/Kopf)

165,8

144,9

CO₂-Emissionen (Mio. t)

91

622

Strompreis Industrie (USD/MWh, 2022)

247,46

242,22

Strompreis Industrie (EUR/MWh, 2022)

235,22

230,33

Strompreis Endverbraucher (USD/MWh, 2022)

372,75

348,94

Strompreis Endverbraucher (EUR/MWh, 2022)

354,33

331,80

PJ = Petajoule, GJ = GigajouleQuelle: Recherchen von Germany Trade & Invest; IEA World Statistics

Preisdeckel für Strom und Gas

Zum 1. Januar 2023 führte Tschechiens Regierung einen Preisdeckel für Strom und Gas ein. Privathaushalte und Kleinbetriebe zahlen maximal 3,025 Kronen (0,12 Euro) je Kilowattstunde Erdgas und 6,05 Kronen (0,25 Euro) je Kilowattstunde Strom (Wechselkurs am 7. September 2023: 1 Euro = 24,37 Kronen). Für kleine und mittelständische Unternehmen gibt es eine Verbrauchsobergrenze, Großunternehmen müssen sich um Beihilfen beim Ministerium für Industrie und Handel bewerben. Die genauen Regelungen listet das Ministerium auf der Internetseite Energiezamene.cz auf. Ob der Preisdeckel 2024 verlängert wird, ist noch unklar. Im Frühherbst 2023 lagen die Strom- und Gaspreise an den Energiebörsen unterhalb des gedeckelten Niveaus.

Entlastung gibt es 2023 auch, weil der Staat in voller Höhe die Zulage für erneuerbare Energien übernimmt. Das kostet den Staatshaushalt rund 1,53 Milliarden Euro, weshalb die Zuschüsse 2024 wieder sinken sollen.

Ausreichend Strom dank Kohle und Kernkraft

Bei der Stromproduktion erzielt Tschechien seit vielen Jahren stabile Überschüsse. Dennoch warnte Premierminister Petr Fiala Anfang September 2023 davor, dass in zehn Jahren etwa 10 Terawattstunden Strom pro Jahr fehlen könnten. Der Umstieg auf Elektromobilität und die Elektrifizierung der Wärmeversorgung erhöhen den Bedarf.

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Zugleich verringern die steigenden Preise für CO₂-Zertifikate die Wirtschaftlichkeit der Kohlekraftwerke. Kraftwerksbetreiber ČEZ rechnet damit, dass spätestens 2027 die Zertifikatskosten den zu erzielenden Strompreis übertreffen. 

Ausbau der Erneuerbaren mit EU-Mitteln

Deshalb forciert Prag die Nutzung alternativer Energiequellen. Der Bau von Solar- und Windkraftwerken, Maßnahmen für Energieeffizienz und -speicherung sowie zur Modernisierung der Netze werden aus dem Modernisierungsfonds kofinaziert.

Der Fonds speist sich aus Einnahmen der CO₂-Zertifikate, die im Rahmen des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) anfallen. Tschechiens Regierung rechnet bis 2030 mit über 20 Milliarden Euro aus diesem Topf. Die im Juli 2023 veröffentliche Projektliste umfasst bereits 338 genehmigte Vorhaben. 

Brennstäbe bald aus Frankreich und den USA

Bei der Versorgung mit Kernbrennstoff löst sich Tschechien von der russischen Abhängigkeit. Ab 2024 kommen die Brennstäbe von Westinghouse und Framatome und nicht mehr von TVEL.

Außerdem plant der halbstaatliche Energiekonzern ČEZ am Standort Dukovany einen neuen Atommeiler. Die drei Bewerber Électricité de France, Korea Hydro and Nuclear Power Company und Westinghouse müssen bis Oktober 2023 ihre Angebote einreichen. Der Baustart war ursprünglich für 2029 geplant. ČEZ schätzte die Baukosten 2020 auf 160 Milliarden Tschechische Kronen (nach heutigem Umrechnungskurs rund 6,6 Milliarden Euro).

Kleinreaktoren sollen Energielücke schließen

Außerdem möchte ČEZ bei Temelín und an einem weiteren Standort sogenannte modulare Kleinreaktoren (Small Modular Reactors, SMR) errichten lassen. Bis Ende 2024 soll dafür der Lieferant ausgewählt werden.

Bis die neuen Kernkraftwerke stehen, werden moderne Gaskraftwerke die Zeit überbrücken. Im mittelböhmischen Mělník will ČEZ zwischen 2026 und 2030 drei Gasturbinenanlagen mit einer Gesamtleistung von 1.000 Megawatt installieren.

Staat steigt in die Gasversorgung ein

Bei der Versorgung und Speicherung von Erdgas stärkt der Staat seinen Einfluss und übernimmt den Großteil der Gasspeicher. Tschechiens Reservoirs waren im Sommer 2023 zu 95 Prozent gefüllt. Sie decken knapp die Hälfte des Jahresverbrauchs ab. Das Staatsunternehmen ČEPS hat auch Interesse am Gasnetzbetreiber Net4Gas.

Flüssiggas aus Polen und den Niederlanden

Schon 2022 hat sich die Regierung 3 Milliarden Kubikmeter Kapazitäten für Flüssigerdgas (LNG) am schwimmenden Terminal im niederländischen Eemshaven gesichert. Außerdem strebt Prag Anteile am geplanten LNG-Terminal im polnischen Gdańsk an. Die Anlage soll 2028 fertig sein und über die neue Erdgaspipeline Stork II mit Tschechien verbunden werden. Diese Leitung verbindet das tschechische und polnische Gasnetz und kann jährlich 5 Milliarden Kubikmeter Gas Richtung Tschechien transportieren. Die Fertigstellung ist für 2026 geplant.

Biomethan als Alternative zu Erdgas

Potenzial bietet außerdem die Nutzung von Biogas. Laut tschechischem Biogasverband CZBA liegt das Gesamtpotenzial von Biomethan aus Abfällen bei 700 Millionen Kubikmetern pro Jahr. Ziel bis 2035 sind etwa 100 Anlagen. 

Erdölpipeline nach Triest löst "Druschba" ab

Beim Bezug von Erdöl aus Russland hat Tschechien eine Ausnahmeregelung vom EU-Embargo bis Ende 2024 ausgehandelt. Gleichzeitig setzt das Land auf den Ausbau der transalpinen Erdölpipeline TAL vom italienischen Hafen Triest, um seinen Bedarf zu decken. Die Leitung wird derzeit erweitert und könnte ab 2025 den tschechischen Rohölbedarf von rund 8 Millionen Tonnen zu 100 Prozent decken. Das Land wäre dann nicht mehr auf Transporte durch die Druschba-Pipeline angewiesen.

Für Wasserstofftransport neue Leitungen nötig

Zur Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft hat Tschechien schon 2021 eine nationale Strategie veröffentlicht. Bei der Produktion setzt das Land auf erneuerbare Energien, auf Erdgas unter Abscheidung von CO₂ sowie auf Atomstrom. 

Chancen für deutsche Technologieanbieter

Die notwendigen Investitionen in Tschechiens Energiesektor bieten gute Möglichkeiten für deutsche Technologieanbieter. Das gilt vor allem für den Ausbau der erneuerbaren Energien, die anstehenden Projekte für Kraft-Wärme-Kopplung, den Bau von Stromspeichern und Fernwärmetechnik. Zunehmend gefragt sind Waste-to-Energy-Lösungen zur energetischen Nutzung von Abfällen und perspektivisch auch Ausrüstungen für die Produktion von Wasserstoff. Außerdem eröffnet der Ausbau der Gas- und Stromnetze Chancen für Zulieferungen.

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