Wirtschaftsausblick | Türkei
Wirtschaftswachstum der Türkei verliert an Schwung
Aktuell ist die Lage der türkischen Wirtschaft von restriktiver Geldpolitik, hoher Inflation und einer schwachen Währung geprägt. Firmen schwanken zwischen Zuversicht und Vorsicht.
19.02.2025
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Wirtschaftsentwicklung: Konjunktur kühlt sich ab
Das Wirtschaftswachstum der Türkei könnte sich 2025 laut Internationalem Währungsfonds infolge der strafferen Geldpolitik auf 2,7 Prozent abschwächen. In wichtigen Absatzmärkten wie in der EU lässt die Dynamik nach. Noch aber treiben Konsum und Exporte das türkische Wachstum an. Im April 2025 belief sich die Inflation auf 38 Prozent. Kennzahlen wie die Produzentenpreise deuten auf eine Besserung hin. Ereignisse wie die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters im März 2025 werden von Unternehmen mit Sorge beobachtet – sie trüben nicht nur das Vertrauen in den Standort, sondern schwächen auch die positiven Entwicklungen bei Inflation und Wechselkurs.
Nach der Wiederwahl im Mai 2023 vollzog Präsident Erdoğan einen Kurswechsel hin zu einer restriktiven Geldpolitik, mit dem obersten Ziel, die horrende Inflation zu bekämpfen. Die Niedrigzinspolitik der Vorjahre befeuerte Inflation und Abwertungsdruck auf die türkische Lira. Die Nettoreserven der Zentralbank sind gesunken, die Auslandsverschuldung und Abhängigkeit von ausländischen Finanzhilfen sind hoch.
Die Wirtschaft bewertet den Kurswechsel überwiegend positiv. Die bisherigen Entscheidungen lassen auf eine verlässlichere Wirtschafts- und Geldpolitik hoffen. Viele Unternehmen befürchten jedoch weitere Kehrtwenden Erdoğans. Künftig wird es entscheidend sein, Vertrauen bei internationalen Investoren und der heimischen Wirtschaft zurückzugewinnen.
Trotz schwacher Lira legen die Ausfuhren kaum zu
Die schwache Lira und Nearshoring-Bestrebungen europäischer Unternehmen begünstigen türkische Exporteure. Gleichzeitig verteuert sich jedoch die Einfuhr von Rohstoffen und Vorprodukten, was die importabhängige Industrie belastet.
Zusätzlich drückt die Konjunkturschwäche in wichtigen Märkten auf die Ausfuhren. Im Jahr 2024 stiegen die Exporte moderat um 2 Prozent, während die Importe um 5 Prozent sanken. Mit einem EU-Anteil von 40 Prozent an den türkischen Exporten ist CBAM, der CO₂-Grenzausgleich der EU, für viele Exporteure ein zentrales Thema.
Konsumieren statt Sparen
Die Inflation hat die reale Kaufkraft der Haushalte geschmälert. Gehaltserhöhungen federn die Einbußen meist nur ab. Aber noch treibt die Inflation den Konsum an, da Sparen sich kaum lohnt. Die Bevölkerung flüchtet wegen der schwachen Lira in Gold, Devisen, Aktien, Kryptowährungen oder Immobilien.
Die Inflationssignale sind zwar positiv, bleiben jedoch hinter den Erwartungen zurück. Die Leitzinserhöhung der Zentralbank im April 2025 dämpfte Hoffnungen auf deutlichere Zinssenkungen im 2. Halbjahr 2025 und damit auch auf günstigere Kredite und mehr Konsum.
Top-Thema: Finanzierungsengpässe hemmen wirtschaftliche Aktivitäten
Besonders kleine und mittelständische türkische Unternehmen haben es momentan schwer, da
- Leitzinserhöhungen die Finanzierungsschwierigkeiten verschärfen,
- die schwache Lira die Aufnahme und Bedienung ausländischer Kredite verteuert,
- die hohe Wechselkursvolatilität langfristige Planungen und Kostenkalkulationen verkompliziert und
- die Lohnkosten stark gestiegen sind.
Neue Investoren bleiben skeptisch
Trotz der Herausforderungen planen einige Unternehmen Kapazitätserweiterungen, insbesondere exportorientierte Firmen. Neue ausländische Investoren zögern jedoch meist. Eine Ausnahme ist die Automobilindustrie. Mit Blick auf die EU als Absatzmarkt investieren ausländische Konzerne stark in E-Mobilität.
Im Jahr 2024 flossen 6,7 Milliarden US-Dollar (US$) an ausländischen Direktinvestitionen in die Türkei. Die größten Zuflüsse kamen aus den Niederlanden, gefolgt von Deutschland, den USA, Irland und Aserbaidschan.
Staatliche Investitionen kommen auf den Prüfstand
Finanzminister Şimşek hat den öffentlichen Institutionen ein striktes Sparprogramm verordnet. Nur zwingend notwendige Projekte sollen in das öffentliche Investitionsprogramm aufgenommen werden. Auch stehen laufende Vorhaben auf dem Prüfstand. Der Bauverband TMB befürchtet, dass einige Projekte nur noch sehr langsam vorankommen werden.
Deutsche Perspektive: Marktchancen unter Druck
Türkische Importeure sind wegen Finanzierungsschwierigkeiten und der schwachen Lira besonders preissensitiv, was die Wettbewerbsposition deutscher Anbieter schwächt. Eine weitere Abwertung der Lira könnte diese Situation verschärfen, während sinkende Leitzinsen die Finanzierungslage entlasten könnten.
Im Jahr 2024 sanken die deutschen Lieferungen um 6 Prozent auf 27 Milliarden US$. Deutschland belegte damit Rang 3 der wichtigsten Lieferländer, hinter China (stabil bei 45 Milliarden US$) und Russland (-4 Prozent auf 44 Milliarden US$). Die größten deutschen Lieferpositionen waren Kfz und Kfz-Teile, Maschinen, medizinische und pharmazeutische Produkte, Kunststoffe, chemische Erzeugnisse und Flugzeuge.
Unternehmen wanken zwischen Optimismus und Vorsicht
In der Umfrage der AHK Türkei im Herbst 2024 bewertete die Hälfte der deutschen Firmen ihre Geschäftslage trotz schwieriger Rahmenbedingungen als gut. Rund 43 Prozent erwarten in den nächsten zwölf Monaten eine stabile Entwicklung, 31 Prozent rechnen sogar mit Verbesserungen und 26 Prozent mit Verschlechterungen.
Frühere Umfragen zeigten jedoch mehr Optimismus. Als größte Risiken nannten sie den Wechselkurs, die Rahmenbedingungen und die Arbeitskosten. Dennoch planen 25 Prozent der befragten Unternehmen höhere Investitionen, ebenso viele geringere, und nur 13 Prozent gar keine.
Deutschland ist ein bedeutender Investor im Land. Ende 2024 registrierte die türkische Statistik 8.463 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei. Im Jahr 2024 flossen Direktinvestitionen in Höhe von 772 Millionen US$ aus Deutschland in die Türkei (2023: 511 Millionen US$).
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