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Wirtschaftsausblick | Ungarn
Ungarn wird sich dem negativen Sog der durch den Ukrainekrieg ausgelösten Wirtschaftskrise nicht entziehen können. Für 2023 ist ein Abrutschen in die Rezession zu befürchten.
16.12.2022
Von Waldemar Lichter | Budapest
Die Folgen der Coronapandemie hat die ungarische Volkswirtschaft längst weggesteckt. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes 2021 mit 7,1 Prozent überdurchschnittlich stark zulegte, setzte sich der starke Aufwärtstrend auch 2022 fort. In den ersten neun Monaten 2022 nahm das BIP kräftig um 6,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu.
Zu der starken Wachstumsdynamik trug vor allem das verarbeitende Gewerbe bei. Besonders stark legte dabei die elektrotechnische Industrie zu, vor allem die Batteriefertigung. Auch die Automobil- und Zulieferindustrie, der Maschinenbau und die Nahrungsmittelindustrie verbuchten satte Zugewinne. Schwächen zeigt die Bauwirtschaft. Als einziger Sektor schrumpfte die Landwirtschaft, die schwer unter der langen Dürreperiode im Sommer 2022 gelitten hatte.
Dank der guten wirtschaftlichen Entwicklung seit Jahresanfang wird das Wachstum im Gesamtjahr 2022 hoch ausfallen. Prognosen der Europäischen Kommission zufolge wird die ungarische Wirtschaftsleistung real um 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegen. Damit liegt Ungarn deutlich über dem EU-Durchschnitt (2022: 3,3 Prozent).
Russlands Überfall auf die Ukraine wird den positiven Trend jedoch 2023 stoppen. Der Krieg bremst die Konjunktur der wichtigen Handelspartner in der EU aus und schmälert so die Absatzchancen der exportorientierten ungarischen Industrie. Die stark steigenden Preise bei Energie, Lebensmitteln, Rohstoffen und Vorprodukten schränken die Konsumbereitschaft der Bevölkerung, die Geschäftsaussichten und die Investitionsneigung der Unternehmen ein.
Erhebliche Unsicherheiten löst auch das Ausbleiben der EU-Gelder aus. Die Europäische Kommission legte die Auszahlung der Hilfen aus dem Covid-19-Wiederaufbaufonds (Aufbau- und Resilienzfazilität) und große Teile der für Ungarn vorgesehenen Gelder aus Kohäsionsfonds der neuen EU-Finanzierungsperiode 2021 bis 2027 vorläufig auf Eis. Damit stehen für Ungarn rund 13 Milliarden Euro auf dem Spiel. "Loseisen" kann die ungarische Regierung das Geld nur, wenn sie eine Liste wichtiger Reformen umsetzt. Damit möchte die EU sicherstellen, dass die europäischen Gelder ordnungsgemäß verwendet werden.
Die fehlenden EU-Mittel schränken den Spielraum der ungarischen Regierung weiter ein, ihre aktive Wirtschafts- und Investitionsförderung fortzusetzen. Der Staatshaushalt steht ohnehin unter Druck, da die öffentlichen Finanzen nach einer langen Phase expansiver Ausgabenpolitik nun konsolidiert werden müssen. Beides wird die staatlichen Investitionen und den Verbrauch dämpfen.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. Euro) | 137,8 | 153,8 | 3.602 |
BIP pro Kopf (Euro) | 14.140 | 15.840 | 43.292 |
Bevölkerung (Mio.) | 9,8 | 9,7 | 83,2 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 Euro = ... Forint) | 351,25 | 358,52 | - |
Von den Bruttoanlageinvestitionen gehen weiter Wachstumsimpulse aus. Dazu trägt die aktive staatliche Investitionsförderung bei. Mehrere Förderprogramme unterstützen Unternehmen dabei, zu modernisieren und neueste Technologien einzuführen. Einen großen Beitrag leisten die ausländischen Direktinvestitionen. Ihr Zufluss nach Ungarn hält unvermindert an. Wichtigster Zielsektor sind dabei die Automobilindustrie und ihr Zuliefersektor. Ungarn entwickelt sich immer mehr zu einem europäischen Hub für Elektromobilität und Batteriefertigung.
Die drohende Rezession wird die Investitionsbereitschaft allerdings dämpfen. Auch die eingeleitete Verschärfung der Geldpolitik wird Unternehmen ihre Investitionsaktivitäten überdenken lassen. Abschwächung ist in nächster Zeit zudem bei staatlichen Investitionen zu erwarten. Die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen bremst die Umsetzung geplanter Vorhaben aus.
Deutliche Bremsspuren bei den Investitionen werden die oben genannten Verzögerungen bei der Auszahlung von EU-Geldern hinterlassen.
Projektbezeichnung | Investition | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Ausbau des Kernkraftwerks PAKS (zwei Reaktorblöcke von je 1.200 MW brutto) | 12.500; russischer Kredit von 10.000 | Fertigstellung für 2030 vorgesehen | PAKS II. Zrt., Generalunternehmen: JSC ASE EC - Tochter des russischen Rosatom-Konzerns |
Modernisierung und Ausbau der Bahnstrecke Budapest - Belgrad | über 2.000; Kreditvertrag mit Chinas Eximbank über 1.855 Millionen Euro; Ende April 2020 unterzeichnet | geplante Fertigstellung 2025; Auftrag an CRE Konzorcium (Ungarn/China) | Joint Venture Kinai-Magyar Vasuti Nonprofit Zrt. |
Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahnverbindung Budapest - Bratislava - Warschau (250 bis 350 km/h; ungarischer Abschnitt: 170 km) | k.A.; Finanzierung aus der Connecting Europe Facility (CEF) angestrebt | Machbarkeitsstudie erstellt | |
Errichtung eines Automobilwerkes und einer Batteriefertigung durch BMW in Debrecen | 2.000 | Grundsteinlegung: 1.6.2022, Produktion ab 2025 geplant; Jahreskapazität: 150.000 Pkw, zum großen Teil Hybrid- und Elektroantrieb | |
Bau eines Automobilwerke durch Mercedes-Benz in Kecskemét | 1.000 | Grundsteinlegung 2018 | Mercedes-Benz Manufacturing Hungary |
Bau eines Werkes für Lithium-Ionen-Batterien in Debrecen | 7.340 | Bau auf Grundstück von 220 Hektar; geplante Kapazität: 100 GWh pro Jahr | CATL (China) |
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Der private Verbrauch gehörte 2021 und 2022 zu den wichtigsten Konjunkturstützen. Der Konsum nahm 2021 um 4,9 Prozent und 2022 sogar überdurchschnittlich stark um 7,2 Prozent zu. Das war vor allem auf Maßnahmen der Regierung zurückzuführen, die Einkommen privater Haushalte stärken sollten, wie etwa Steuerrückzahlungen für kinderreiche Familien und junge Arbeitnehmer sowie Bonuszahlungen für Rentenbezieher.
Die Familienförderung soll zwar fortgesetzt werden. Doch die begonnene Haushaltskonsolidierung lässt dafür immer weniger Spielraum. Auch das bisher starke Wachstum der Löhne dürfte aufgrund der gedämpften Konjunktur abflachen. Die hohe Inflation dämpft die Konsumlaune. Die Regierung versucht zwar, dem Kaufkraftverlust durch Regulierung der Preise entgegenzuwirken, etwa bei Kraftstoffen und Grundnahrungsmitteln. Dennoch gehört der Preisauftrieb bei Lebensmitteln in Ungarn zu den höchsten in Europa (Oktober 2022: 43 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat).
Ungarn verbuchte 2021 einen neuen Rekord sowohl bei der Warenausfuhr als auch bei der -einfuhr. Auch für 2022 und 2023 werden neue Höchststände erwartet. Zieht die Konjunktur wieder an, wird das Ungarns Bedarf an Maschinen und Ausrüstungen aus dem Ausland antreiben.
Die ungarische Industrie erzielt einen großen Teil ihrer Erlöse im Ausland. Verschlechterte Aussichten in der EU, der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen den Aggressor Russland bremsen die Exportwirtschaft zwar aus. Dennoch werden auch für 2023 und 2024 weiter wachsende Ausfuhren prognostiziert. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die ungarische Wirtschaft – nicht zuletzt dank Investitionen aus dem Ausland – modernisiert und neue Geschäftsfelder erschließt. Ein Beispiel dafür ist die Batteriefertigung.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/2020 | |
---|---|---|---|
Importe (cif) | 101,4 | 120,9 | 19,2 |
Exporte (fob) | 105,4 | 119,9 | 13,7 |