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Branchen | Vereinigtes Königreich | Chemische Industrie

Großprojekte als Lichtblick in britischer Chemieindustrie

Das Geschäftsklima in der britischen Chemieindustrie wird kühler. Fünf Großprojekte im Wasserstoffbereich heben jedoch die Stimmung.

Von Marc Lehnfeld | London

Rückgang in Produktion von chemischen Erzeugnissen

Für die britische Chemiekonjunktur steht in diesem Jahr eine Trendwende an. Nachdem die Produktion in den vergangenen vier Jahren zugelegt hat, bereitet sich die Branche für 2022 auf einen Rückgang vor. Nach Prognosen des britischen Wirtschaftsforschungsinstituts Oxford Economics wird die Chemieproduktion im dritten Quartal 2022 um 8 Prozent zurückgehen. Sie ist seit Januar 2022 rückläufig und liegt im August dieses Jahres bereits um 5,3 Prozent unter dem Vorjahresmonat. Auch im kommenden Jahr 2023 wird sie schrumpfen, jedoch auf einem hohen Niveau um 1,8 Prozent. Der Abwärtstrend wird auch von der Chemical Industries Association (CIA) bestätigt.

Entwicklung der Produktion in ausgewählten Industriezweigen
reale Veränderung zum Vorjahr in Prozent
Industriezweig

2022

2023 1)

2024 2)

Verarbeitendes Gewerbe insgesamt

-4,8

0,8

0,1

Chemische Industrie

-5,5

-5,4

0,3

Pharmaindustrie

-3,3

7,1

1,5

Gummi- und Kunststoffindustrie

-9,7

-0,4

-1,4

1 Schätzung; 2 PrognoseQuelle: Make UK 2023; Oxford Economics Q4 Manufacturing Outlook 2023

Die Trendwende der Chemieindustrie folgt dem gesamtwirtschaftlichen Kurs. Die britische Wirtschaft wird laut Oxford Economics in einem schwierigen Umfeld mit Lieferkettenproblemen, der Energiepreiskrise, einer hohen Inflation und entsprechenden Leitzinsanhebungen der Nationalbank in diesem Jahr real zwar noch um 4,5 Prozent zulegen. Im Jahr 2023 rutscht das Königreich mit einem BIP-Rückgang um 0,5 Prozent jedoch in eine leichte Rezession.

Energiepreise und Brexit schwächen die Industrie

Als energieintensive Industrie leiden die britischen Chemieunternehmen stark unter den hohen Energiepreisen. Der Verband CIA begrüßt zwar die staatlichen Energiepreishilfen des Energy Bill Relief Scheme. Gleichzeitig bemängelt er aber die kurze Frist von nur sechs Monaten, die keine längerfristige Perspektive böte, um Investitionen anzuziehen.

Hinzu kommt die Doppelbelastung durch den britischen Sonderweg bei der Chemieregulierung in Folge des Brexits. Bisher gültige EU REACH Registrierungen müssen in drei Schritten je nach Risikokategorie und Volumen bis 2023, 2025 bzw. 2027 in die UK REACH Datenbank überführt werden. Eine im Juli 2022 veröffentlichte Schätzung der Regierung beziffert die Mehrbelastung durch die Registrierung auf umgerechnet etwa 2,3 Milliarden Euro. Ergebnisse der Anhörung des Umweltministeriums zu einer Verlängerung der Frist werden bis Dezember erwartet.

Wichtige Branchenunternehmen im Vereinigten Königreich
Umsatz in Millionen Euro, Veränderung in Prozent

Unternehmen

Umsatz 2022 1), 2)

Veränderung 2022/20213)

Sparte

Ineos Group Holdings S.A.

20.927

11,2

Petrochemie, Spezialchemie, Ölprodukte
Johnson Matthey Plc 4)

17.511

6,8

Spezialchemie
AkzoNobel N.V. 

10.846

13,1

Farben, Spezialchemie
Synthomer Plc

2.803

11,5

Spezialchemie
Croda International Plc 5)

2.450

10,6

Spezialchemie
Boc Ltd  (Tochterunternehmen von Linde Plc)

1.283

17,2

Industriegase
BASF Plc

1.196

16,6

Chemikalien, Kunststoffe
Elementis Plc 

699

3,8

Spezialchemie
Ensus UK Ltd 5) (Tochterunternehmen von Südzucker AG)

390

32,0

unter anderem Bioethanol-Kraftstoff
Synthite Ltd

88

31,9

Grundchemikalien
1 Globaler Umsatz; 2 Bundesbank-Wechselkurs 2022: 1 Euro = 0,85276 Pfund Sterling (£); 3 Veränderung auf Basis der Landeswährung; 4 Geschäftsjahr endend 31. März 2023; 5 Geschäftsjahr endend 28 Februar 2023.Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

Wasserstoff- und CO₂-Projekte profitieren von staatlichem Turbo

An Projekten mangelt es der Chemiebranche dennoch nicht. Im mittlerweile umfangreich gestutzten Mini-Budget des ehemaligen Finanzministers Kwasi Kwarteng hat der Planungsturbo für ausgewählte Großprojekte überlebt, von dem auch das aufstrebende Wasserstoff-Segment profitiert. Unklar ist, ob die neue Regierung von Premierminister Sunak die Pläne beibehält. Konkret sollen die folgenden fünf Wasserstoffprojekte beschleunigte Planungsverfahren genießen. Deren Umsetzung soll bis spätestens Ende 2023 starten:

  1. Hynet Hydrogen Pipeline
  2. INOVYN Hydrogen Storage (Hynet Cluster in Nordwestengland)
  3. East Coast Cluster Hydrogen Pipeline
  4. Aldbrough Hydrogen Storage (East Coast Cluster, Humber)
  5. Hydrogen Electrolyser Capacity Deployment (allerdings ohne spezifische Projektnennung)

Damit fördert die britische Regierung die Großprojekte parallel zu ihrer Net Zero Strategie, in der unter anderem mithilfe von Wasserstoff bis 2030 Erzeugungskapazitäten von 10 Gigawatt aufgebaut werden sollen. Bedeutend für die Strategie sind auch die Projekte für CO₂-Sammlung, -Nutzung und -Speicherung (kurz: CCUS). Bis 2030 sollen mindestens vier CCUS-Cluster entstehen und mit 1 Milliarde Pfund Sterling aus dem staatlichen CCS Infrastructure Fund gefördert werden. Parallel prüft die zuständige North Sea Transition Authority bereits 26 Angebote für die erste Lizenzierungsrunde für ein jährliches CO₂-Speicherpotenzial von 30 Millionen Tonnen. Auch zwei CCUS-Projekte befinden sich deshalb auf der Liste der Großprojekte: der Hynet Cluster in Nordwestengland und der East Coast Cluster in den nordostenglischen Regionen Teesside und Humber.

Saudi-arabischer Konzern investiert in Region Teesside

In der Chemieindustrie fällt vor allem die Region Teesside, also um den Fluss Tees in Nordostengland, als Profiteur auf. Dort befinden sich nicht nur das oben erwähnte East Coast Cluster samt Wasserstoffpipeline-Projekt. Auch der saudi-arabische Chemieriese SABIC gab bekannt, seinen erst vor wenigen Jahren stillgelegten Dampfcracker im Wilton-Chemiepark in Teesside zu reaktivieren. Der Konzern investiert dafür rund 1,4 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung der Anlage, um mit blauem Wasserstoff seine Emissionen um 60 Prozent zu verringern und damit wieder wettbewerbsfähig zu sein. Schon 2028 soll der Cracker frei von Neuemissionen produzieren. 

Lizenzierungsrunden für Erdöl- und Erdgasprojekte könnten fortgesetzt werden

Die petrochemische Industrie profitiert von der Kontinuität des Erdgas- und Erdölsektors. Trotz der Klimaziele der Regierung soll der Sektor im Zuge der Energiesicherheit Teil des zukünftigen britischen Energiemix bleiben. Das kündigte bereits die ehemalige Regierung von Ex-Premierminister Boris Johnson im April 2022 an. Auch unter der neuen Regierung von Premierminister Sunak wird dies voraussichtlich so bleiben. Er versprach schon im Sommer als Kandidat für den Parteivorsitz neue Lizenzierungsrunden für neue Erdgasfelder, allerdings erst für 2024. Die kurze Vorgängerregierung unter der damaligen Premierministerin Liz Truss und dem ehemaligen Wirtschaftsminister Jacob Rees-Mogg stieß noch Anfang Oktober ein neues Lizenzierungsverfahren für etwa 100 neue Bohrungen an. Unklar ist nun, ob das laufende Verfahren wie geplant bis Ende Januar 2023 durchgeführt wird. 

Das zwischenzeitlich von der Vorgängerregierung aufgehobene Fracking-Moratorium wurde von Premierminister Sunak bereits wieder Inkraft gesetzt. Die Aufhebung wurde zwar von Ineos Shale, der Fracking-Tochter des britischen Chemiekonzerns Ineos, und dem Unternehmen Cuadrilla begrüßt. Allerdings konnte das British Geological Survey das Risiko von Erdbeben weiterhin nicht ausschließen. Laut Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment ist das Marktpotenzial von Fracking im Land unklar.

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