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Vereinigtes Königreich: EU wichtigster Absatzmarkt, vor den USA
Dem britischen Premierminister Keir Starmer ist der große Coup gelungen. Die USA und das Vereinigte Königreich haben sich auf ein Joint Statement zur Handelspartnerschaft geeinigt.
26.05.2025
Von Marc Lehnfeld | London
Das Vereinigte Königreich ist auch nach dem Brexit eine offene Volkswirtschaft, die stark vom Außenhandel abhängt. Im vergangenen Jahr 2024 machten die Waren- und Dienstleistungsexporte rund ein Drittel (30,6 Prozent) des Bruttoinlandsprodukts aus.
Der britische Warenaußenhandel mit den USA ist weitgehend ausgeglichen. Dennoch würde die britische Wirtschaft wie so viele andere stark unter den Folgen von zusätzlichen Zöllen in den USA leiden. Die kürzlich verkündete Einigung über ein britisch-amerikanisches Handelsabkommen gilt als diplomatischer Coup, bleibt aber eine handelspolitische Schadensbegrenzung für die britische Wirtschaft.
Besonderheiten in den Wirtschaftsbeziehungen mit den USA
Die USA sind mit 16 Prozent Anteil an allen Ausfuhren wichtigster Exportmarkt für britische Unternehmen. Nur Irland hat in Europa einen noch höheren Anteil der US-Exporte am Gesamtexport. Allerdings ist die EU mit einem Anteil von 48 Prozent aller britischen Exporte als Absatzmarkt deutlich größer als die USA.
Hinzu kommt, dass die USA das wichtigste Investitionsziel britischer Unternehmen sind. Mit rund 27 Prozent des gesamten britischen Investitionsbestands hielten britische Unternehmen laut US-Handelsministerium zu Ende 2023 in keinem anderen Land ein größeres Investitionskapital. Dies war zudem nach den Niederlanden, Japan und Kanada der vierthöchste Direktinvestitionsbestand eines Landes in den USA.
Viele namhafte britische Unternehmen sind in den USA aktiv:
- Dazu gehören beispielsweise der Rüstungskonzern BAE Systems, die Erdölkonzerne BP und Shell, sowie die Pharmariesen GSK und AstraZeneca.
- Der Baumaschinenkonzern JCB kündigte bereits an, seine texanische Produktion auszubauen. Der JCB-Eigentümer und britische Milliardär Lord Bamford ist allerdings bekennender Brexiteer. Es ist also unklar, ob diese Entscheidung in der US-Importzollanhebung begründet liegt oder andere Motive hat.
- Der Industrieverband Make UK verweist auf die Störung von Lieferketten unter anderem via Kanada und Mexiko.
In vielen wichtigen Produktkategorien sind die USA der wichtigste britische Exportmarkt:
- Rund 27 Prozent der britischen Pkw-Exporte gingen 2024 in die USA. Allerdings lag der Anteil der Pkw-Exporte in die EU bei 33 Prozent.
- Bei medizinischen und pharmazeutischen Produkten gehen rund 27 Prozent der britischen Produktion in die USA. In dieser Produktkategorie ist allerdings die EU der wichtigste Exportmarkt. Fast die Hälfte (42 Prozent) der Produktion nimmt die Union ab.
- Bei Kraftmaschinen, vor allem als Zwischenprodukt, machen die USA als Abnehmerland 14 Prozent aus. Auch hier die EU der wichtigste Absatzmarkt mit einem Anteil von 31 Prozent.
- Bei elektrischen Maschinen macht der US-Anteil 15 Prozent aus (Exportanteil der EU: 51 Prozent).
- Die USA sind grundsätzlich wichtigster Absatzmarkt für verschiedene Industriemaschinen, Geräte der Informations- und Kommunikationstechnologie und Unterkategorien chemischer Erzeugnisse (organische, anorganische Chemikalien und Kunststoffe in Primärform) sowie Getränke.
Produkt | Wert3) |
Industriemaschinen (SITC 71 bis 74) 1) | 13,8 |
Straßenfahrzeuge (SITC 78) | 12,2 |
Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse (SITC 54) | 7,8 |
Elektrische Maschinen (SITC 71, 75 bis 77) 2) | 5,4 |
Erdöl und Erdölerzeugnisse (SITC 33) | 2,6 |
Herausforderungen und Chancen
Seit dem Brexit befindet sich die britische Regierung im Klemmgriff zwischen den USA und EU. Beide sind die wichtigsten Handelspartner der britischen Wirtschaft. Das Königreich ist selbst gegenüber beiden Wirtschaftsmächten aber nur mit einer geringen Verhandlungsmasse ausgestattet.
In dem schwierigen Dreiecksverhältnis ist dem britischen Premier Keir Starmer jedoch ein diplomatischer Coup gelungen. Das am 8. Mai 2025 von Trump und Starmer verkündete Joint Statement zur Handelspartnerschaft sieht vor allem bei Pkw, dem wichtigsten britischen Exportgut, Verbesserungen vor. Danach soll der Zollsatz für die Pkw-Exporteure der britischen Automobilhersteller für die ersten 100.000 Fahrzeuge von 27,5 Prozent auf 10 Prozent gesenkt werden. Die Anzahl entspricht in etwa der gesamten importierten Fahrzeugflotte in die USA, sodass voraussichtlich alle britischen Pkw-Exporte in die USA von dem niedrigeren Zollsatz profitieren dürften. Für Erzeugnisse aus Stahl und Aluminium gewähren die USA ein Kontingent, das nicht den Zusatzzöllen für diese Warengruppen unterliegen soll.
Auch wenn die Zollerleichterungen für die vom Strukturwandel geplagte Automobil- und Stahlindustrie begrüßt werden, rechnen die Analysten von Oxford Economics nicht mit deutlichen makroökonomischen Effekten. Schließlich beträfen die Erleichterungen bei den US-Zöllen nur zwei Prozent der gesamten britischen Waren- und Dienstleistungsexporte. Die 10-Prozent-Rate auf die restlichen britischen Importe in die USA machen laut Oxford Economics nur 5 Prozent aus. So würde das Abkommen den Gesamtschaden für das britische Wirtschaftswachstum durch die gesamten US-Zollankündigungen nur wenig lindern. Oxford Economics prognostiziert ein Wirtschaftswachstum im Vereinigten Königreich von 1 Prozent im Jahr 2025 und 0,9 Prozent im nächsten Jahr.
Größer sind die Hoffnungen auf eine Verbesserung im britisch-europäischen Handel, schließlich ist die Europäische Union der wichtigste Handelspartner des Königreichs. Vom UK-EU-Gipfel, der am 19. Mai 2025 in London statt fand, erhofften sich zahlreiche Beobachter nicht nur den von Premierminister Keir Starmer angekündigten "Reset" in den britischen Beziehungen zur Union, sondern auch einen Aufschlag für bessere Handelsbeziehungen. In einigen Bereichen konnte eine Einigungen erzielt werden. Unter anderem für ein gemeinsames SPS-Abkommen und eine Neuverhandlung der Fischfangquoten. Hinzu kommt eine mögliche britische Beteiligung beim Aufbau der europäischen Verteidigung im Zuge des "ReArm Europe"-Programms. Dazu berichtet GTAI ausführlich in diesem Bericht.
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