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Nordafrikas Start-up-Ökosysteme gedeihen
In Ländern wie Marokko, Tunesien oder Ägypten lässt die junge, technisch aufgeschlossene und oft gut ausgebildete Bevölkerung die lebhafte Start-up-Szene wachsen.
08.07.2025
Von Marcus Knupp, Verena Matschoß, Ullrich Umann | Kairo, Tunis, Casablanca
Als Wirtschaftspartner und Produktionsstandort gewinnen die Länder im Norden Afrikas für Europa an Bedeutung. Mit zunehmender Diversifizierung wachsen nicht nur lokal neue Industriebranchen heran wie beispielsweise Automobilzulieferer, sondern auch ein breiter Dienstleistungssektor. Der rasche Aufbau digitaler Infrastruktur und die fast flächendeckende Verbreitung von Smartphones machen es Gründern von Tech-Unternehmen in Marokko, Tunesien oder Ägypten inzwischen einfacher, ihre Ideen umzusetzen.
Für deutsche Start-ups bietet sich damit ein wachsendes Potenzial für die Zusammenarbeit. Dies kann etwa der Export eigener Ansätze mit der Anpassung an lokale Gegebenheiten sein oder die Nutzung von offshore-Dienstleitungen durch Integration lokaler Anbieter in das eigene Angebot. Unter den wichtigsten Standorten für Start-ups in Afrika gehört Ägypten zusammen mit Nigeria, Südafrika und Kenia zur Topgruppe. Marokko und Tunesien befinden sich im Verfolgerfeld.
Großes Potenzial an Fachkräften
Rund 220 Millionen Einwohner haben die fünf Länder an der Nordküste des afrikanischen Kontinents. Ihr kumuliertes Bruttoinlandsprodukt betrug 2024 knapp 900 Milliarden US-Dollar (US$). Etwa die Hälfte entfällt bei beiden Kennziffern auf Ägypten. Wie Marokko und Tunesien gehört das Land am Nil in die Gruppe der Lower Middle-Income Countries. Die Erdölexporteure Algerien und Libyen liegen beim Pro-Kopf-Einkommen etwas höher als ihre Nachbarn, hinken als Standorte für Start-ups bisher aber etwas hinterher.
Marokko, Tunesien und Ägypten bieten mit ihrem Reservoir technisch ausgebildeter Arbeitskräfte, niedrigen Lohnkosten und weiter fortgeschrittener Digitalisierung bessere Voraussetzungen. Die relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit schafft in allen drei Ländern zusätzliche Anreize, den Sprung zur Unternehmensgründung zu wagen. In Marokko beispielsweise liegt die Arbeitslosigkeit unter den 16 bis 25-jährigen bei 38 Prozent. Fördereinrichtungen für Start-ups zielen mit Ausbildungskursen darauf ab, arbeitslose Jugendliche in dauerhafte Arbeitsverhältnisse zu vermitteln - das könnte für deutsche Start-ups interessant sein, da es auch remote-Arbeitsverhältnisse einschließt - oder zur Entwicklung eigener Geschäftsideen und der Gründung zu motivieren.
Auch in Tunesien ist die Verfügbarkeit von Arbeitskräften ein Plus. Im regionalen Vergleich sind die Lohnkosten gering. Demgegenüber ist das Bildungsniveau mit einer ausgesprochen hohen Ingenieurquote attraktiv: Tunesien hat laut der Bildungsorganisation der Vereinten Nationen (UNESCO) die weltweit die zweithöchste Quote an Studienabschlüssen in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Die Jugendarbeitslosigkeit liegt auf ähnlichem Niveau wie in Marokko, bei Hochschulabsolventen bei 23 Prozent.
Enge Anbindung an Europa
Die räumliche Nähe zu Europa hat die Länder Nordafrikas in den letzten Jahren im Zuge der Neuordnung ihrer Lieferketten mehr in den Fokus europäischer Unternehmen rücken lassen. Insbesondere Marokko und Tunesien haben sich zu wichtigen Standorten für die Fertigung von Zwischenprodukten wie Auto- und Flugzeugteilen sowie Endprodukten wie Fahrzeugen, Bekleidung oder Agrarprodukten entwickelt. In raschem Aufschwung befindet sich derzeit der Export von offshore-Dienstleistungen in Bereichen wie Callcentern, Planung und Engineering oder IT-Programmierung.
Marokko | Tunesien | Ägypten |
Cash Plus | GoMyCode | MNT-Halan |
Chari | Expensya | Nawy |
Tookeez | Enda Tamweel | Fawry |
DataPathology | Intigo | Maxab |
DabaDoc | Med.tn | Valu |
Lösungen für den lokalen Markt als Startrampe
Bei vielen Gründungen steht zunächst der lokale Markt im Vordergrund. Das sind zum Beispiel Lieferdienste, e-Commerce-Apps und Bereiche wie FinTech oder EduTech. Eine erste Expansion erfolgt oft in die Nachbarländer. Für ägyptische Start-ups ist das vor allem die arabischen Halbinsel. Marokkanische Gründer schauen eher nach Westafrika, etwa mit Lösungen in der Logistik, im Umweltschutz oder zur Überwachung von Fauna und Flora. Aber auch Europa gerät in den Blick. Hier sehen Start-ups aus Nordafrika Chancen etwa in Dienstleistungen wie Planung und Engineering, Logistik, Tourismus, Software- und Spieleentwicklung oder Cybersecurity. Da insbesondere im Fall von Tunesien und Marokko die interne Marktgröße begrenzt und für viele Anwendungen zu klein ist, geht eine spürbare Entwicklung der Gründerszene oft nur über ihre Internationalisierung. Hier entwickeln sich Anknüpfungspunkte für deutsche Start-ups.
Ein weiterer begrenzender Faktor sind die im internationalen Vergleich geringen Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nach Daten der Weltbank steigen sie in Ägypten seit einigen Jahren an und lagen 2023 bei 1,03 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Tunesien erreichte demnach 2019 mit 0,75 Prozent ein ähnliches Niveau wie Marokko. Das war nur etwa ein Drittel des OECD-Durschnitts von 2,4 Prozent. Daher bleibt eine hohe Abhängigkeit von Technologieimporten in allen drei Ländern. Das zeigt strukturelle Schwächen, birgt andererseits aber auch Ansatzpunkte für deutsche Start-ups für den Technologieexport.
Casablanca, Tunis und Kairo sind wichtige Hubs
Rund 94 Prozent der Start-ups in Ägypten haben ihren Sitz in der Metropole Kairo, das damit zu den wichtigsten Hubs sowohl auf dem afrikanischen Kontinent als auch in der Region Nah- und Mittelost gehört. Um die technologische Entwicklung in den neuen Industriestädten jenseits des Niltals anzuregen und Start-ups mit klaren Exportabsichten zu fördern, will Ägypten steuerbefreite Sonderwirtschaftszonen für die Gründerszene öffnen.
Der landesweit mit Abstand wichtigste Standort für Start-ups in Marokko ist Casablanca. Hier befinden sich die meisten der etwa 30 Fördereinrichtungen wie Inkubatoren, Acceleratoren und Coworking-Spaces sowie die wichtigsten Venture-Capital-Fonds. Daneben hat sich Marrakesch durch die Austragung der schon dritten GITEX Africa auf dem gesamten afrikanischen Kontinent einen Namen als Netzwerk-Plattform gemacht. Tunesien zählt dagegen nicht zu Ländern, die viele internationale Investoren für ihre Start-ups anziehen. Die geringe Landesgröße und ein restriktives Devisenrecht wirken sich hier nachteilig aus.
Trends folgen wirtschaftlicher Entwicklung
Die wirtschaftliche Diversifizierung in Marokko, Tunesien und Ägypten zieht die Gründerszene mit. Auch diese stößt in neue Anwendungsbereiche vor. Den größten Anteil an Risikokapitalinvestitionen hat in Ägypten der Bereich FinTech, gefolgt von e-Commerce-Lösungen und Transport- und Logistikdiensten. Einen schwierigen und oft intransparenten Immobilienmarkt versuchen in jüngster Zeit Immobilien-Apps zu revolutionieren. Viele Gründungen gibt es auch auf Feldern wie Umwelttechnik und Gesundheit.
Marokkos Start-up-Szene wird offiziell in fünf Richtungen gelenkt: HealthTech, FinTech, EduTech, AgriTech und E-Commerce. Für alle diese Gebiete bestehen Anwendungsmöglichkeiten vor Ort. Weitere Felder sind denkbar, etwa die sich schnell entwickelnde Energiewirtschaft oder Anwendungen für das wachsende Eisenbahnnetz. Ein Entwicklungsschub könnte von der Ausrichtung der Fußball-WM 2030 für Anwendungen für den Tourismus, den Nahverkehr oder den Ticketverkauf ausgehen.
Detaillierte Informationen zu den einzelnen Ländern auf unserer Sonderseite zu Start-ups weltweit.