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Wirtschaftsumfeld | Slowakei | Parlamentswahl

Slowakei steuert in ungewisse Zukunft

Die anstehenden Parlamentswahlen in der Slowakei deuten einen Richtungswechsel für das Land an. Die Westorientierung steht auf dem Spiel, Reformen könnten sich verzögern.

Von Gerit Schulze | Prag

Die Slowakei ist ein wichtiger Handelspartner und Investitionsstandort für die deutsche Wirtschaft. Daher schauen die Unternehmen mit Interesse auf die Wahlen zum Nationalrat, die am 30. September 2023 stattfinden. 

Der Ausgang der Stimmabgabe könnte für eine Neuausrichtung der slowakischen Politik sorgen und damit die Wirtschaftsagenda verändern. Schon der Wahlkampf verläuft polarisierend und oft ruppig. Das politische Klima ist zunehmend vergiftet. Negativer Höhepunkt war ein Handgemenge zwischen einem ehemaligen Innenminister und einem Ex-Premierminister. Die Kriminalpolizei führte Razzien bei leitenden Sicherheitsbeamten durch, darunter beim Chef des Inlandsgeheimdienstes und bei einem früheren Polizeipräsidenten. Die Vorwürfe reichen von Amtsmissbrauch über Justizbehinderung bis hin zur Bildung krimineller Vereinigungen.

Die vorgezogenen Neuwahlen in der Slowakei waren notwendig geworden, nachdem Premierminister Eduard Heger Ende 2022 das Vertrauen des Parlaments verloren hatte. Seit Mai 2023 ist eine Expertenregierung am Ruder.

Prorussischer Kandidat führt in den Umfragen

Bei der letzten Umfrage von NMS Market Research von September 2023 führt die Partei Smer-SSD mit 22 Prozent. Sie ist dem Namen nach sozialdemokratisch, vertritt aber zunehmend nationalkonservative und prorussische Positionen. Dahinter folgen Progresívne Slovensko (18,1 Prozent, linksliberal) und Hlas-SD (11,4 Prozent, sozialdemokratisch). Mit Republika (nationalistisch, europaskeptisch), SNS (nationalkonservativ), OĽANO (konservative Protestpartei) und Sme Rodina (rechtspopulistisch) würden weitere vier Parteien die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Andere Umfragen trauen sogar neun Parteien zu, die Sperrklausel zu überwinden.

Laut den aktuellen Prognosen könnte Smer-SD-Chef Robert Fico wieder eine führende Rolle im Land übernehmen. Der Politiker war bereits dreimal Ministerpräsident der Slowakei, musste 2018 aber nach massiven Protesten zurücktreten. Auslöser für die Demonstrationen war der Auftragsmord an einem Journalisten, der Korruption und Steuerdelikte auch in Ficos Umfeld recherchierte.

Der Spitzenkandidat von Smer-SD will die Militärhilfe für die Ukraine einstellen und sich für die Aufhebung der Russlandsanktionen stark machen. Experten erwarten ein Koalitionsbündnis mit kleineren Parteien wie der katholisch-konservativen KDH oder der rechtspopulistischen Sme Rodina.

Politische Instabilität verstört Investoren

Die letzten fünf Regierungen der Slowakei haben nie länger als zwei Jahre durchgehalten. Diese Unbeständigkeit wirkt sich auf das Geschäftsklima aus. Bei der Konjunkturumfrage unter europäischen Investoren im Mai 2023 war die "politische und soziale Stabilität" der am schlechtesten bewertete Standortfaktor. Auch die Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik, Transparenz bei öffentlichen Vergaben sowie die Bekämpfung von Kriminalität und Korruption wurden kritisiert. Im Vergleich zum Vorjahr bekamen diese Standortfaktoren nochmals schlechtere Noten.

Trotzdem blicken die deutschen Unternehmen in der Slowakei "vergleichsweise gelassen" auf den Wahltermin, sagt Peter Kompalla, Geschäftsführer der Deutsch-Slowakischen Industrie- und Handelskammer (AHK Slowakei). "Für die Mehrheit der Firmen ist die Nachfrage auf den Auslandsmärkten entscheidender für den weiteren Geschäftserfolg." Insofern sorgten die wirtschaftlich schwachen Impulse, die aktuell aus Deutschland als wichtigstem Handelspartner der Slowakei kommen, für größere Skepsis.

Das Nachbarland Ungarn zeigt allerdings auch, dass eine "patriotische Wirtschaftspolitik" den Investoren durchaus Sorgen bereiten kann. Dort beklagen ausländische Unternehmen zunehmend diskriminierende Sondersteuern, Preisdekrete und Drangsalierungen durch Behörden. Der in den Meinungsumfragen der Slowakei führende Robert Fico hat große Sympathien für Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Die tschechische Tageszeitung MF Dnes titelte bezogen auf Fico: "Russland im Herzen, Orbán als Vorbild".

Wichtiger Handelspartner für Deutschland

Die Slowakei lag 2022 auf Platz 22 der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Als Beschaffungsmarkt belegte das Land sogar Rang 19. Die deutschen Exporte erreichten ein Volumen von 17 Milliarden Euro. Das mitteleuropäische Land ist zudem ein wichtiger Produktionsstandort für deutsche Unternehmen wie Volkswagen, Schaeffler, Continental und Bosch. Nach Angaben der AHK Slowakei sorgen die rund 600 deutschen Unternehmen im Land für 139.000 Arbeitsplätze.

"Wir blicken deshalb mit Spannung auf die Wahlen", sagt Adrian Stadnicki, Regionaldirektor Mittelosteuropa beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Die Slowakei sei ein oft unterschätzter Handelspartner, dabei "ist sie mit einer Bevölkerung von 5,5 Millionen bedeutender als Indien mit 1,4 Milliarden Einwohnern."

Der Ost-Ausschuss hofft, dass sich auch mit einer neuen Regierung in Bratislava die wirtschaftliche Zusammenarbeit vertieft, "insbesondere im Bereich der E-Mobilität und des autonomen Fahrens sowie bei der grünen Wirtschaftstransformation im Allgemeinen", erklärt Stadnicki. Nach seinen Vorstellungen sollten die Verbesserung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel und die weitere Förderung der Slowakei als Innovationsstandort im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik stehen.

Wachstumsaussichten nur verhalten

Seit der Coronapandemie ist das Wachstum der Slowakei ins Stocken geraten. Die verfügbaren Einkommen wachsen kaum noch; die Zeit der großen Wohlstandsgewinne ist vorbei. Auch 2023 bleibt die Inflationsrate zweistellig, was die Unzufriedenheit der Wähler befördert. Breite Teile der Bevölkerung unterstützen deshalb Parteien, die einfache und populistische Lösungen versprechen.

Die Konjunkturentwicklung hängt hauptsächlich vom Wohlergehen der Automobilindustrie ab. Andere Impulse für einen kräftigen Aufschwung fehlen. Das Finanzministerium rechnet daher für 2023 und 2024 nur mit einem leichten Anstieg des Bruttoinlandsproduktes.

Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung der Slowakei (reale Veränderung in %)

Indikator

2023

2024

2025

Bruttoinlandsprodukt (BIP)

1,2

1,3

3,1

Privatverbrauch

-0,5

0,9

2,1

Bruttoanlageinvestitionen

11,9

3,1

3,6

Export

-1,8

5,7

6,9

Import

-5,6

7,0

6,2

Löhne

-0,6

2,2

2,7

Nominallöhne, in Euro

1.304

1.433

1.534

Arbeitslosenquote, in %

6,1

5,7

5,4

Inflation

10,6

4,8

3,0

Quelle: Slowakisches Finanzministerium, Juni 2023

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