Wirtschaftsausblick | Spanien
Spaniens Wirtschaft wächst mit weniger Tempo
Investitionen und Außenhandel sollen 2024 die spanische Wirtschaft beleben. Vom Konsum wird weniger Impuls erwartet. Die Katalonienpolitik bildet einen Unsicherheitsfaktor.
03.01.2024
Von Oliver Idem | Madrid
Top-Thema: Katalonienfrage überschattet viele andere Themen
Spanien hat seit November 2023 wieder eine vom Kongress bestätigte Regierung in der der Sozialist Pedro Sanchez Regierungschef bleibt. Um das zu erreichen, mussten die Sozialisten insbesondere auf separatistische Parteien aus Katalonien und dem Baskenland zugehen. Jede einzelne Fraktion könnte das Bündnis zu Fall bringen. Trotzdem muss das Projekt nicht zum Scheitern verurteilt sein: Alle Beteiligten können nur in dieser Konstellation wesentliche Vorstellungen durchsetzen.
Viele Menschen sorgen sich darum, dass Privilegien für Katalonien die Bedingungen in anderen Teilen Spaniens verschlechtern könnten. Dabei geht es zum Beispiel um die Übernahme von Schulden durch den Zentralstaat und die Frage, wie künftig öffentliche Investitionen verteilt werden. Das Echo aus der Wirtschaft auf die neue Regierung fiel überwiegend skeptisch aus.
Ein Grund dafür sind mögliche Steuererhöhungen. Der vom Arbeitsministerium geplante Anstieg des Mindestlohns um 4 Prozent auf 1.123 Euro pro Monat (bei 14 Zahlungen pro Jahr) zieht Kritik von Unternehmensverbänden auf sich.
Wirtschaftsentwicklung: Wachstum über dem EU-Durchschnitt
Die Wachstumsdynamik lässt etwas nach. Dennoch steht Spanien mit einer erwarteten realen Zunahme des Bruttoninlandsproduktes (BIP) von 1,7 Prozent für 2024 gut da. Sie würde den Durchschnitt der EU insgesamt und auch den der Eurozone übertreffen.
Bild vergrößernDer boomende Tourismus heizte zuletzt vor allem das Wirtschaftswachstum auf den Inseln und in der Hauptstadt Madrid an. Von Januar bis Oktober 2023 erreichten die Einnahmen bereits 95 Milliarden Euro und übertrafen damit den Rekord von 2019. Wegen deutlich gestiegener Preise stellt sich die Frage, ob 2024 in vollem Umfang an das Vorjahresniveau angeknüpft werden kann.
Mit Blick auf die Investitionen fallen die Erwartungen der Europäischen Kommission besonders positiv aus. Sie beziffert deren Zunahme 2024 auf 3,4 Prozent, dabei werden die Ausrüstungsinvestitionen mit einem Plus von 5,3 Prozent am stärksten steigen. Bei den öffentlichen Investitionen ist mit 2,7 Prozent Zuwachs zu rechnen. Dazu tragen der Aufbau- und Resilienzplan und große Projekte - zum Beispiel im Eisenbahnsektor - bei.
Die Bauinvestitionen sollen 2024 um 2,4 Prozent zunehmen. Nur die Aussichten für den Wohnungsbau sind etwas schwächer.
Der private Konsum wird laut der Europäischen Kommission 2024 mit plus 2 Prozent robust weiter wachsen. Die Inflation wird nach Schätzungen der Kommission im laufenden Jahr leicht, von 3,6 auf 3,4 Prozent zurückgehen, aber die Lebenshaltungskosten bleiben für viele Menschen ein großes Problem. Lebensmittel, Hypotheken und Mieten zählen zu den Kostentreibern. Das gilt auch für Wohneigentum: Der Zinssatz für neue Finanzierungen lag im Oktober 2023 bei durchschnittlich 3,9 Prozent und damit doppelt so hoch wie 2022. Entsprechend verhalten fallen die Aussichten für Wohnungskäufe aus. Daher rechnet die Unternehmensberatung PwC mit negativen Effekten für den Baustoffhandel und Anbieter von Möbeln und Haushaltsgeräten.
Belebung im Außenhandel
Beim Außenhandel erwartet die Europäische Kommission in beide Richtungen eine anhaltende Belebung. Für die Importe von Waren und Dienstleistungen beträgt die Prognose 2024 plus 3,5 Prozent. Die Zunahme der Exporte wird für 2024 auf plus 2,8 Prozent beziffert. Im Warenhandel sind andere EU-Staaten die wichtigsten Zielmärkte. Für die großen Absatzmärkte Deutschland und Frankreich fallen die Erwartungen für 2024 eher gedämpft aus. Das Nachbarland Portugal kann mit einem ähnlichen Wachstum wie Spanien rechnen.
Viele Exportunternehmen in Spanien kämpfen mit steigenden Kosten und sorgen sich entsprechend um ihre Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere im Vergleich zur Konkurrenz von außerhalb der EU. Angesichts der Risiken auf der Angebots- und der Nachfrageseite könnte der Außenhandel 2024 weniger dynamisch zulegen als von der Europäischen Kommission vermutet.
Bild vergrößernFür Ausschreibungen der öffentlichen Hand existiert eine zentrale Internetplattform, unter der auch eine englische und eine französische Sprachversion verfügbar sind.
Informationen zu EU-Binnenmarktausschreibungen bietet GTAI auf ihrer Internetseite an.
Mehr Transparenz beim Aufbau- und Resilienzplan
Positiv für die wirtschaftliche Entwicklung wirken die 77,2 Milliarden Euro Zuschüsse des Programms Next GenerationEU. Inklusive zusätzlicher Kredite aus der Aufbau- und Resilienzfazilität kann Spanien 164 Milliarden Euro an Hilfen einplanen.
Immer wieder wird jedoch von Unternehmen und vom Internationalen Währungsfonds Kritik geübt. Dabei geht es um das Tempo der Umsetzung des Aufbau- und Resilienzplans und die Transparenz der Informationen. Die letzte ausführliche Übersicht zur Mittelverwendung stammt von Mitte Februar 2023. Im Oktober 2023 wurde eine Liste der 100 größten Empfängern von 5,1 Milliarden Euro Hilfsgeldern veröffentlicht, darunter staatliche und private Unternehmen sowie Gemeinden und andere Gebietskörperschaften.
Deutsche Perspektive: Optimismus in eigener Sache und Sorge um die Nachfrage
Im Konjunkturbarometer der AHK Spanien von Oktober 2023 zeigt sich ein übliches Bild. Die Skepsis unter den Befragten hinsichtlich der Konjunkturentwicklung in Spanien ist hoch und hat gegenüber dem Frühjahr sprunghaft zugelegt. Ein ganz anderes Bild zeigen die Geschäftserwartungen für das eigene Unternehmen. Bei der Geschäftsentwicklung, den Investitionen und den Arbeitsplätzen bleiben die Aussichten überwiegend stabil.
Für die deutschen Unternehmen in Spanien bilden die künftige Nachfrage, die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und die Fachkräftesituation die größten Risiken der kommenden zwölf Monate. Die Einschätzung mancher Risikofaktoren hat sich wesentlich verändert. Energie- und Rohstoffpreise sowie die Stabilität der Lieferketten betrachten die Befragten kaum noch als vorrangige Probleme.