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Wirtschaftsumfeld | Tschechische Republik | Wirtschaftsstruktur

IT und Handel bestimmen immer mehr die Wirtschaftsstruktur

Das verarbeitende Gewerbe mit der Automobilindustrie dominiert weiter Tschechiens Wirtschaftsleistung. Doch erste Umbrüche deuten sich an, Dienstleistungen gewinnen an Bedeutung.

Von Gerit Schulze | Prag

Tschechien durchlebt zurzeit eine ungewöhnlich lange Schwächephase. Dadurch gerät die seit dem EU-Beitritt 2004 eingesetzte wirtschaftliche Dynamik ins Stocken. Der Höchststand der Wirtschaftsleistung aus dem Jahr 2019 konnte nach dem Einbruch infolge der Coronapandemie und des Krieges in der Ukraine bislang nicht wieder erreicht werden. Damit fällt das Land im regionalen Vergleich zurück. Das Bruttoinlandsprodukt im Nachbarland Polen wuchs seit dem EU-Beitritt jährlich um 1,5 Prozentpunkte schneller als die tschechische Wirtschaft. Die Slowakei legte jedes Jahr um fast 1 Prozentpunkt kräftiger zu.

Tschechien stößt an seine Wachstumsgrenzen, weil das Arbeitskräftepotenzial erschöpft ist, weil die starke Abhängigkeit von russischen Energieträgern die Preise für Öl und Gas seit Moskaus Ukraineinvasion enorm erhöht hat und weil der Strukturwandel in den Kernbranchen Automobilindustrie, Chemie und Maschinenbau nur langsam vorankommt.

Autobranche kommt nur langsam aus dem Tief

Die wichtige Industriebranche Automobilwirtschaft kann bislang nicht an ihre alten Rekorde anknüpfen. Während das Nachbarland Slowakei in den letzten Jahren mit Jaguar Land Rover und Volvo zwei weitere Weltkonzerne von einer neuen Produktionsstätte überzeugen konnte, ging Tschechien leer aus. Die Fahrzeugproduktion erreichte ihr Maximum im Jahr 2018 mit 1,44 Millionen Pkw. Im Jahr 2023 stieg der Ausstoß allerdings um 15 Prozent auf 1,4 Millionen Autos.

Nur langsam gelingt die Umstellung auf neue Antriebsarten. Nicht einmal jedes zehnte in Tschechien produzierte Auto war 2023 ein reines Elektrofahrzeug. Die Versuche, internationale Konzerne für den Aufbau einer Batterieproduktion zu gewinnen, sind bislang gescheitert.

Eine schwächelnde Fahrzeugbranche ist eine Gefahr für die tschechische Wirtschaftsentwicklung. Denn laut Automobilverband AutoSAP entfallen 9 Prozent des BIP und ein Drittel der Forschungsausgaben auf den Automobilsektor.

Die Regierung strebt an, neue Wirtschaftszweige zu unterstützen und anzusiedeln. Dazu gehören die Halbleiterproduktion und künstliche Intelligenz. Außerdem soll die Infrastruktur so ausgebaut werden, dass Tschechien zum logistischen Drehkreuz in Europa wird. Im Stromsektor sind massive Investitionen in erneuerbare Energiequellen und in die Atomkraftwerke Dukovany und Temelín geplant. Der Energieverbund mit Deutschland soll höhere Kapazitäten erreichen.

10,9 Mio.

Menschen lebten im September 2023 in Tschechien

Quelle: Tschechisches Statistikamt 2024

276 Mrd. Euro

Bruttoinlandsprodukt (BIP, 2022)

Quelle: Tschechisches Statistikamt 2024

25.800 Euro

BIP pro Kopf (2022)

Quelle: Tschechisches Statistikamt 2024

Rang 12

der wichtigsten deutschen Exportmärkte (Januar bis Oktober 2023)

Quelle: Destatis 2024

Rang 41

im Corruption Perceptions Index 2022 (unter 180 Ländern)

Quelle: Transparency International 2024

0,1 %

Analphabetenquote im 3. Quartal 2023

Quelle: Tschechisches Statistikamt 2024

Ausführliche Informationen zur Wirtschaft finden Sie in den Wirtschaftsdaten kompakt.

Nimbus des Standorts bröckelt

Nach ihrem EU-Beitritt war die Tschechische Republik eines der attraktivsten Investitionsziele deutscher Unternehmen. Der Bestand der deutschen Direktinvestitionen belief sich Ende 2021 laut Bundesbank auf über 26,6 Milliarden Euro. Allerdings hat der Standort zuletzt an Attraktivität verloren. Im World Business Outlook der Auslandshandelskammern (AHK) beurteilten die befragten Firmenchefs die Konjunkturerwartungen in Tschechien schlechter als in den meisten anderen EU-Ländern. Als größte Risiken wurden die schwache Nachfrage, der Fachkräftemangel und die hohen Energiepreise genannt.

Die meisten deutschen Unternehmen im Land wollen aber engagiert bleiben. Fast jede zweite Firma plant laut der Umfrage Investitionen in den Ausbau der Produktion.

Tschechien hat sich in den 30 Jahren, in denen wir hier produzieren, wirtschaftlich derart positiv entwickelt, dass der Fachkräftemangel die Unternehmen nun vor Herausforderungen stellt. Durch unsere direkte Lage zu den Automobilherstellern, welche sich in gut erreichbarer Just-In-Time-Nähe angesiedelt haben, bleibt Tschechien für uns jedoch ein attraktiver Produktionsstandort.

Uwe Hengstermann Geschäftsführer des Automobilzulieferers Autoneum Pilsen

SWOT-Analyse Tschechische Republik

S

Stärken Strengths

  • EU-Mitgliedschaft und Premiumlage in der Mitte Europas
  • Qualität und Leistungsbereitschaft der Arbeitskräfte
  • Noch relativ geringer öffentlicher Verschuldungsstand (45 Prozent des BIP)
  • Lange Industrietradition und IT-Kompetenz
  • Enges Netz verlässlicher Zulieferer

 

W

Schwächen Weaknesses

  • Ausgeprägter Fachkräftemangel
  • Praxisfernes Ausbildungssystem
  • Hohe Energieintensität des BIP
  • Geringer Anteil erneuerbarer Energiequellen bei hoher Importquote fossiler Energieträger
  • Mangel an strategischen Industrieparks für große Neuansiedlungen
O

Chancen Opportunities

  • Über 30 Milliarden Euro EU-Fördermittel bis 2030
  • Nachholbedarf bei erneuerbaren Energien und Energieeffizienz
  • Steigende Forschungsausgaben und höchste F&E-Quote unter den Visegrád-Staaten
  • Gute Position bei IT- und Halbleitertechnologien
  • Kann als Standort und Zulieferer vom Trend zu Diversifizierung und Nearshoring profitieren
T

Risiken Threats

  • Große Abhängigkeit von Auslandsmärkten (Exportquote von 75 Prozent)
  • Dominierende Position der Autoindustrie mit klassischen Antriebstechnologien 
  • Preissteigerung mittelfristig über dem EU-Durchschnitt
  • Negative demografische Entwicklung
  • Folgen des Klimawandels (Borkenkäferplage, Dürre, Hochwasser)

Produzierendes Gewerbe bleibt dominant

Die verarbeitende Industrie bildet das Rückgrat der tschechischen Wirtschaft. Sie hatte 2022 einen Anteil von 23 Prozent an der Bruttowertschöpfung im Land. Allerdings müssen Branchen wie Metallverarbeitung, Chemie oder Maschinenbau in den nächsten Jahren ihre Klimabilanz nachhaltig verbessern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. 

Noch ist die Bedeutung des produzierenden Gewerbes für die Gesamtwirtschaft stabil und hat sich in den vergangenen zehn Jahren nur leicht verringert. Stärker war der Rückgang beim Energiesektor, der nur noch einen Anteil von 2,3 Prozent an der Wertschöpfung hat. Im Jahr 2012 waren es noch 4 Prozent. Die Förderung von Bodenschätzen spielt nach der Schließung vieler Kohlegruben kaum noch eine Rolle für die Wirtschaftsleistung. 

An Einfluss gewonnen hat der Groß- und Einzelhandel, der inzwischen fast 13 Prozent zur Bruttowertschöpfung in Tschechien beiträgt. Auch Informationstechnologien und Telekommunikation sowie das Gesundheitswesen legen zu.

Die Verschiebungen bei der Wertschöpfung werden sich auch auf dem Arbeitsmarkt auswirken. Noch sind über 200.000 Menschen direkt in der Fahrzeugproduktion beschäftigt. Doch die Zahl ist seit fünf Jahren bereits um ein Zehntel geschrumpft. Dieser Abbau wurde durch neue Stellen in der IT-Branche sowie im Gesundheits- und Pflegesektor kompensiert. 

Bedeutung der Wirtschaftszweige in der Tschechischen Republik (Anteile in Prozent)

Sektoren

Anteil an der Bruttowertschöpfung 2022

Anteil an den Beschäftigten 2022 *)

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei

2,1

2,9

Bergbau (inklusive Öl- und Gasförderung)

0,6

0,4

Verarbeitendes Gewerbe

23,1

25,6

Energieversorgung

2,3

0,8

Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen

1,0

1,2

Baugewerbe

5,6

7,7

Dienstleistungen

65,3

61,5

* alle beschäftigten Personen, inklusive Angestellte und arbeitnehmerähnliche Personen.Quelle: Tschechisches Statistikamt 2024

Viele starke Zentren neben der Hauptstadt Prag

Die Hauptstadt Prag ist das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes. Hier entsteht ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts, vor allem dank hoher Kaufkraft, einem starken Dienstleistungs- und Tourismussektor und als Verwaltungs- und Konzernsitz. Tschechiens industrielle Schwerpunkte liegen rund um Ostrava, Plzeň und Brno. Mittelböhmen, der Speckgürtel rund um die Hauptstadt, ist Schwerpunkt des Logistiksektors und der Automobilindustrie (Škoda in Mladá Boleslav, Toyota in Kolín). 

Brno profitiert als zweitgrößte Stadt des Landes von seiner Hochschullandschaft und staatlich geförderten Technologiezentren. Es ist der wichtigste Messestandort Mittelosteuropas und eine Start-up-Hochburg. Einige führende Softwareproduzenten haben in Brno ihren Sitz. Außerdem ist die Region ein Zentrum der Elektronik- und Flugzeugindustrie.

Die Industriestadt Ostrava steckt, wie die gesamte Region Mährisch-Schlesien, im Strukturwandel weg von Kohle und Stahl, hin zu Dienstleistungen und neuen Technologien. In ähnlich schwieriger Transformation befinden sich die Regionen Ústí nad Labem und Karlovy Vary. 

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