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Wirtschaftsausblick | Brasilien
Nach einem erwarteten Plus von 3 Prozent im Jahr 2022 kühlt sich die Dynamik der Wirtschaft 2023 ab. Erste Signale der neuen Regierung drücken die Stimmung in der Wirtschaft.
21.12.2022
Von Gloria Rose | São Paulo
Kurz nach seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl Ende Oktober 2022 nutzte Luiz Inácio Lula da Silva die Gelegenheit, Brasilien auf dem Klimagipfel im ägyptischen Scharm El-Scheich in ein neues Licht zu rücken. Mit dem Länderimage von Lateinamerikas größter Volkswirtschaft geht es wieder steil aufwärts. Die internationale Anerkennung Lulas verdeutlicht sich auch an der hohen Zahl von Staatschefs, die zu seiner Amtseinführung am 1. Januar 2023 anreisen werden.
In Brasilien selbst ist die Stimmung weniger freundlich. Nach dem sehr knappen Wahlsieg über den bisherigen Amtsinhaber Jair Bolsonaro versucht Lula seine politische Macht in Brasília zu maximieren. Dabei geht er Konflikte ein, beispielsweise bei der Ernennung des neuen Finanzministers, Fernando Haddad. Haddad genießt kein Vertrauen am Finanzmarkt.
Aber auch die Entscheidung, mehr zu besetzende Posten in Ministerien und den Staatsunternehmen zu schaffen, ruft den Unmut einiger hervor, die Lula im Wahlkampf unterstützt hatten. Um dem Parteigenossen Aloizio Mercadante die Leitung der Entwicklungsbank BNDES zu übertragen, will die Arbeiterpartei Lulas eine wichtige Maßnahme zur Korruptionsprävention aufweichen. Kritisch sehen Beobachter auch die deutliche Erweiterung der Staatsausgaben für 2023 und 2024.
Trotz des leichten Rückgangs des Agribusiness konnte die brasilianische Wirtschaft 2022 deutlich zulegen. Die Finanzinstitute rechnen mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um real 3 Prozent. Zugpferd war der Dienstleistungssektor, der um mehr als 4 Prozent wuchs. Für 2023 hingegen wird ein BIP-Anstieg von weniger als 1 Prozent erwartet.
Als Nettoexporteur profitiert Brasilien von den gestiegenen Weltmarktpreisen für Nahrungsmittel. Dank seines sauberen Energiemixes gewinnt das Land im Zuge der Energiewende an Wettbewerbsfähigkeit. Die Perspektiven für die kommenden Jahre sind dennoch verhalten. Denn strukturelle Schwächen bremsen das Wirtschaftswachstum.
Dazu zählt insbesondere die relativ hohe Staatsverschuldung. Um im internationalen Wettbewerb attraktiver für Investoren zu werden, muss Brasilien die Finanzen neu ordnen und Weichen für eine höhere Produktivität stellen. Der Internationale Währungsfonds traut dem Schwellenland in den kommenden fünf Jahren nur ein reales Wirtschaftswachstum von etwa 2 Prozent pro Jahr zu.
Brasiliens unabhängige Zentralbank hatte die geldpolitischen Anreize der Coronakrise frühzeitig zurückgenommen, um die Inflation einzudämmen. Die durchschnittliche Preissteigerung wird 2022 bei etwa 6 Prozent liegen. Durch den aktuellen Anstieg des fiskalpolitischen Risikos kann der brasilianische Real (R$) erneut abwerten und die Inflation anheizen. In diesem Falle dürfte die Zentralbank den hohen Leitzins von derzeit 13,75 Prozent noch weiter anheben.
Ohnehin erwarten die Finanzinstitute, dass der Leitzins auch bis Ende 2023 zweistellig bleiben wird. Außerdem dürfte die durchschnittliche Inflation im kommenden Jahr erneut den Zielwert der Notenbank von 3,25 Prozent deutlich übertreffen. Angesichts der hohen Unsicherheit auch über die globale Entwicklung bleibt der Real nach wie vor sehr volatil.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 1.449 | 1.413 | 4.219 |
BIP pro Kopf (US$) | 6.833 | 7.558 | 50.709 |
Bevölkerung (Mio.) | 212,1 | 213,4 | 83,3 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = R$) | 5,15 | 5,39 | - |
Angesichts knapper eigener Mittel strukturiert der Staat über das Programa de Parcerias de Investimentos (PPI) lukrative Projekte für den Infrastrukturausbau. Auch im Wahljahr 2022 fanden sich zahlreiche private Investitionspartner. Die Projektpipeline für 2023 umfasst 141 Projekte, die Investitionen von etwa 45 Milliarden US-Dollar (US$) anstoßen sollen.
Die Unsicherheit über die politische Entwicklung dürfte allmählich weichen und das Vertrauen der Investoren zulegen. So erwartet das Wirtschaftsinstitut IPEA trotz der stark gestiegenen Zinsen 2023 ein Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen um real 1,5 Prozent, nach geschätzt 0,8 Prozent im Jahr 2022. Die Zentralbank ist weniger optimistisch. Nach einem Plus von 0,7 Prozent im Jahr 2022 geht sie für 2023 nur von einem Anstieg der Investitionen um 0,3 Prozent aus.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. US$)* | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Ausbau des 5G-Netzes | 8.750 | Durchführung; Versteigerung der Frequenzrechte im November 2021 erfolgt | |
Konzessionen für sechs Autobahnstrecken im südlichen Bundesstaat Paraná; Gesamtlänge: 3.361 km | 8.406 | Frühstadium; die ersten beiden Konzessionen sollen im 1. Quartal 2023 versteigert werden | |
Abwasserentsorgung und -aufbereitung im Bundesstaat Rio de Janeiro (4 Konzessionspakete) | 6.680 (der Großteil in den ersten zwölf Jahren der Konzession) | Konzessionen mit einer Laufzeit von 35 Jahren wurden am 30. April 2021 und 29. Dezember 2021 versteigert | Konzessionäre: Konsortium Aegea, Iguá, Águas do Rio und Águas do Brasil |
Bau der Eisenbahnstrecke EF-170 Ferrogrão zwischen Sinop (Mato Grosso) und Miritituba (Pará); Länge: 933 km | 4.675 | Planungsstadium; Versteigerung der Konzession mit einer Laufzeit von 69 Jahren wird im Kongress debattiert | |
13 Konzessionen zum Ausbau des Stromverbundnetzes (5.291 km) | 2.839 | 30-jährige Konzessionen versteigert am 30. Juni 2022 | |
Ausbau der Autobahnstrecke Dutra (BR-116/465/101/SP/RJ) zwischen Rio de Janeiro und São Paulo; Länge: 625,8 km | 2.746 | 30-jährige Konzessionen versteigert am 29. Oktober 2021 | |
Betriebskonzessionen für 15 Flughäfen | 1.354 | 30-jährige Konzessionen versteigert am 18. August 2022 | |
Abwasserentsorgung und -aufbereitung im Bundesstaat Ceará | 1.207 | 35-jährige Konzessionen versteigert am 27. September 2022 |
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten finden Sie auf der GTAI-Länderseite Brasilien unter "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".
Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern stagniert. Dafür treibt die Nachfrage nach Dienstleistungen und nicht-haltbaren Gütern den Verbrauch der Haushalte nach oben. Kritisch sind die größer gewordenen Einkommensunterschiede. Zwar sank die Arbeitslosigkeit im Dreimonatszeitraum von August bis Oktober 2022 auf 8,3 Prozent - der niedrigste Wert seit 2014. Doch die Bezahlung ist oft unbefriedigend, und die Inflation schmälert die Kaufkraft zusätzlich. Hierunter leiden insbesondere die ärmeren Einkommensschichten. Immerhin wurde die Sozialhilfe an benachteiligte Haushalte ab August 2022 um 50 Prozent angehoben.
Durch den Ukrainekrieg ziehen die Rohstoffpreise an. Von Monat zu Monat schreiben die brasilianischen Exporte neue Rekordzahlen. Laut Einschätzung des Wirtschaftsforschungsinstituts FGV könnte die Handelsbilanz 2022 erneut einen Rekordüberschuss aufweisen.
China ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner Brasiliens. Im Zeitraum von Januar bis November 2022 gingen 27 Prozent der Exporte an die Volksrepublik; 22 Prozent aller Importe stammten von dort. Deutschland war nach China, den USA und Argentinien das viertwichtigste Lieferland.
Aufgrund der steigenden Weltmarktpreise und hoher Frachtkosten legte der Wert der Einfuhren 2022 weiter deutlich zu. Allerdings ist die Importmenge rückläufig. Bei Agrarchemikalien und Elektronikkomponenten dürfte die Importnachfrage ungebrochen steigen.
2020 | 2021 | Januar bis November 2022 | Veränderung* | |
---|---|---|---|---|
Importe | 158,8 | 219,4 | 250,8 | 26,0 |
Exporte | 209,2 | 280,8 | 308,4 | 20,3 |