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Wirtschaftsausblick | Kanada
Knappe Beschaffungsmärkte, gestörte Lieferketten und hohe Güterpreise trüben den Wirtschaftsausblick. Sorgen bereiten auch die strauchelnde US-Wirtschaft und steigende Zinsen.
24.05.2022
Von Daniel Lenkeit | Toronto
Kanadas Konjunktur hält sich bisher wacker. Die geringe Arbeitslosigkeit und der positive Einkaufsmanagerindex gekoppelt mit historisch noch immer niedrigen Zinsen erklären einen Aufwärtstrend der Wirtschaft, die sich weiter von der Pandemie erholt. Allerdings mehren sich die Faktoren, die die wirtschaftliche Entwicklung im Land verlangsamen dürften. Dazu zählen die anhaltend hohen Preise für Energie sowie Konsum- und Vorleistungsgüter, sinkende Staatsausgaben im Zuge der abklingenden Pandemie und steigende Zinsen.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll nach Angaben der Royal Bank of Canada (RBC) in diesem Jahr real um gut 4 Prozent zulegen. Für 2023 erwartet die RBC ein BIP-Wachstum von 2 Prozent.
Die Coronapandemie ist keineswegs überwunden, auch wenn sie heute weniger Unsicherheit hervorruft als noch vor einem halben Jahr. Problematisch für die kanadische Konjunktur ist der Blick nach Süden, zum wichtigsten Handelspartner USA. Dort hat sich die Wirtschaft bereits merklich abgekühlt. Das BIP fiel im 1. Quartal 2022 auf das Jahr hochgerechnet real um 1,4 Prozent. Die Abhängigkeit kanadischer Ausfuhren von der US-Konjunktur ist enorm. Ein Nachfrageschock im US-Markt hätte negative Folgen für die kanadische Wirtschaft.
Der kräftige US-Dollar und ein bislang stabiler Konsum in den USA sowie die hohe Importnachfrage aus dem Nachbarland dürften die Gemüter in Kanada zwar einstweilen beruhigen. Zu beobachten sind allerdings steigende Lagerbestände in den USA und Kanada. Diese spiegeln die aus der Coronakrise geborene Vorsicht gegenüber "just in time"-Produktion und gestörten Lieferketten wider. Gleichzeitig tragen gefüllte Lager noch nicht zur Wirtschaftsleistung bei.
Die Containerfrachtkosten sind noch immer siebenmal höher als vor der Pandemie und Schiffstransporte dauern doppelt so lange. Kanadische Unternehmen werden auch zukünftig mit gestörten Lieferketten kämpfen müssen. Lokale Unternehmen können die teureren Vorleistungsgüter und höhere Transportpreise mit ihren Margen oft nicht abfedern. Logistikfirmen erwarten kurzfristig keine Verbesserung der Situation.
Die kanadische Zentralbank (BoC) hat gleichzeitig den Kampf gegen das hohe Preisniveau begonnen und wird ihre Zinserhöhungen in den nächsten Monaten fortsetzen. Bereits Anfang Juni 2022 könnte die BoC ihren Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf dann 1,5 Prozent anheben. Die Bank geht von anhaltend teureren Warenkörben bis mindestens Ende 2022 aus. Aktuell bewegt sich der Verbraucherpreisindex etwa 7 Prozent über dem Vorjahreswert.
Indikator | 2021 | 2022 1) | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 1.991 | 2.221 | 4.226 |
BIP pro Kopf (US$) | 52.079 | 57.406 | 50.795 |
Bevölkerung (Mio.) | 38,2 | 38,7 | 83,2 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = kan$) | 1,254 | 1,263 2) | - |
Die Unternehmensinvestitionen dürften künftig stärker wachsen. Nach Jahren magerer Ausgaben für Maschinen und Ausrüstungen und zwei Jahren erhöhter Unsicherheit durch die Pandemie sind viele Firmen zunehmend bereit, in produktivitätssteigernde Maßnahmen wie Digitalisierung zu investieren. Der angespannte Arbeitsmarkt dürfte diesen Ausblick bestärken. Viele Firmen klagen aktuell über Fachkräftemangel. Sie sehen sich gezwungen, schneller zu automatisieren, so eine Umfrage der BoC.
Zudem sollten deutsche Zulieferer beobachten, inwieweit kanadische Firmen versuchen, Lieferketten neu aufzustellen und stärker auf lokale Beschaffung zu setzen. Ein solcher Strukturwandel würde Jahre dauern. Faktoren wie die Pandemie, der Ukrainekrieg oder Chinas Null-Covid-Strategie, welche die kanadischen Lieferketten massiv stören, können derartigen Diskussionen jedoch Auftrieb verleihen.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mrd. US$) *) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Bau einer neuen Wasseraufbereitungsanlage: Iona Island Wastewater Treatment Plant in Richmond, British Columbia | 7,9 | Planungsphase | |
Sanierung des Tunnels George Massey Tunnel in Vancouver, British Columbia | 3,3 | Planungsphase; Fertigstellung 2030 | Ministry of Transportation and Infrastructure, British Columbia |
Ausbau der Highspeed-Internetinfrastruktur: Ontario Connects in Ontario | 3,1 | Planungsphase, Anfrageprozess; geplante Fertigstellung: Ende 2025 | |
Bau eines neuen Krankenhauses: Ottawa Civic Hospital in Ontario | 2,2 | Planungsphase; Fertigstellung 2028 | |
Erweiterungsprojekt für Transitinfrastruktur: SmartTrack Stations Program in Großraum Toronto, Ontario | 1,2 | Planungsphase; Fertigstellung 2026 |
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Da die Inflation die Realeinkommen der Haushalte in den USA und Kanada spürbar sinken lassen, stimmt der mittelfristige Konsumausblick nicht optimistisch. Gleichzeitig eröffnen die fallenden Einschränkungen aus der Pandemie Konsumenten wieder mehr Möglichkeiten, ihr Geld auszugeben. Viele Kanadier nutzen dies. Ob die Konsumlust auf der einen Seite oder der Kaufkraftverlust durch Inflation auf der anderen Seite am Ende überwiegt, ist nicht eindeutig.
Tendenziell spricht einiges für ein Abflachen der Nachfrage in den nächsten sechs bis zwölf Monaten. Neben den höheren Kosten für Konsumgüter dürften vor allem die steigenden Zinsen die Einkommenssituation vieler Kanadier belasten. Statistics Canada sah im 4. Quartal 2021 das Verhältnis von Schulden zu verfügbarem Einkommen auf die Rekordhöhe von 186 Prozent steigen. Das war noch vor den Zinsschritten der BoC. Diese werden bei Konsumentenkrediten und perspektivisch bei der Refinanzierung von Hypothekenkrediten den Druck erhöhen.
Die Sparquote der kanadischen Haushalte war in der Pandemie hoch, fällt aber seit dem 2. Quartal 2021 rapide. Das bedeutet: Haushalte kompensieren ihre gestiegene Ausgaben zulasten von Ersparnissen. Setzt sich dieser Trend in einer Phase höherer Preise fort, dürfte dies die Konsumbereitschaft mittelfrstig drosseln. Das gilt vor allem für langlebige Konsumgüter.
Kanada profitiert als wichtiger Rohstoffexporteur aktuell von höheren Preisen, vor allem für Erdöl. Jedoch bleibt der langfristige Ausblick für den nationalen Öl- und Gassektor verhalten und dürfte keine unmittelbaren Kapazitätserweiterungen nach sich ziehen. Zudem wirken höhere Rohstoffpreise für die Weltwirtschaft eher drosselnd und können damit Kanadas andere Exportgüter ausbremsen.
Der kräftig gestiegene kanadische Dollar (kan$) erschwert das Exportgeschäft ebenfalls. Wie immer steht und fällt die Ausfuhrentwicklung mit der Konjunktur in den USA. Die starke Landeswährung begünstigt die kanadischen Importe. Diese nahmen 2021 gerechnet in kan$ um 13 Prozent zu und sollen 2022 um weitere 6,5 Prozent steigen.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/2020 *) | |
---|---|---|---|
Importe | 404,9 | 489,7 | 13,0 |
Exporte | 389,7 | 503,6 | 20,7 |