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Wirtschaftsausblick | Türkei
Trotz des hohen Wachstums 2021 verschlechtert sich die Lage. Dazu tragen niedrige Zinsen, eine hohe Inflation, eine schwache Währung und geringe Fremdwährungsliquidität bei.
01.06.2022
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Das starke Wirtschaftswachstum des Vorjahres dürfte sich 2022 signifikant abschwächen. Die türkische Regierung strebt mit einer Niedrigzinspolitik ein starkes, kurzfristiges Wachstum an, das mit hohen Finanz- und Wirtschaftsrisiken einhergeht. Die Inflation ist horrend und die Währung hat stark an Wert verloren. Die Auslandsschulden der Unternehmen und des Staates geben Anlass zur Sorge. Die Währungsreserven sind niedrig und die Banken verfügen über geringe Einlagen. Die Arbeitslosigkeit im Land ist dagegen hoch und die geo- und innenpolitischen Spannungen nehmen zu.
Der Abwertungsdruck auf die Türkische Lira ist groß. Die türkische Zentralbank senkte mehrere Male auf politischen Druck den Leitzins. Die Zinsen liegen deutlich unter der Inflationsrate, so betrug der Realzins im April 2022 minus 56 Prozent. Zudem kündigten die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank Zinserhöhungen an. In der Folge werden internationale Anleger Gelder aus risikoreicheren Ländern wie der Türkei abziehen. Wenn Anleger ihre Lira verkaufen, drückt dies den Kurs. Deviseneinnahmen aus dem wieder anziehenden Tourismus könnten etwas Entspannung bringen.
Zum kräftigen Konjunkturwachstum 2021 trugen vor allem hohe Exporte und ein Produktionsanstieg bei. Die Türkei kann von der Umstellung der Lieferketten infolge der Coronapandemie profitieren und Aufträge gewinnen. Gleichzeitig verbessert der schwache Währungskurs die internationale Wettbewerbsposition türkischer Anbieter. Dennoch sehen viele Firmenvertreter die finanzielle Situation des Landes kritisch. Die Industrie ist in hohem Maße auf Importe von Vorprodukten angewiesen. Zudem sind türkische Unternehmen durch den angeschlagenen Wechselkurs von den weltweit steigenden Rohstoff-, Energie- und Logistikpreisen besonders stark betroffen.
Zum 3. Januar 2022 trat zudem ein Dekret in Kraft, laut dem Unternehmen ein Viertel ihrer Exporteinnahmen in Euro, Dollar und Pfund bei der Zentralbank in Türkische Lira umtauschen müssen. Mittlerweile ist dieser Anteil auf 40 Prozent angehoben worden. Seit dem 19. März 2022 müssen Unternehmen alle Rechnungen in Lira ausstellen. Viele Unternehmen mindern ihr Kursrisiko über Devisen-Hedging.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 717 | 803 | 4.219 |
BIP pro Kopf (US$) | 8.597 | 9.539 | 50.709 |
Bevölkerung (Mio.) | 83,4 | 84,7 | 83,3 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ =...TL) | 7,01 | 8,87 | - |
Die schwache Lira verteuert die Aufnahme und Rückzahlung ausländischer Kredite. Außerdem erschwert die hohe Wechselkursvolatilität die Preis- und Kostenkalkulation und eine langfristige Planung. Instabile Rahmenbedingungen erschweren die Prozesse zusätzlich.
Trotzdem blicken Unternehmen, die bereits im Land sind, nach vorn und planen zahlreiche Vorhaben. Dagegen siedeln sich kaum neue Firmen in der Türkei an. Bei Lagerflächen stehen aufgrund des gestiegenen Onlinehandels durch die Coronapandemie hohe Investitionen an. Außerdem beobachten Immobiliendienstleister eine höhere Nachfrage nach Industrieflächen.
Deutschland ist mit einem Investitionsvolumen von über 14 Milliarden US-Dollar (US$) seit 1980 einer der größten ausländischen Investoren in der Türkei. Jedoch halten sich deutsche Unternehmen seit 2015 deutlich zurück. Die in den letzten Jahren verzeichneten Investitionszuflüsse beziehen sich größtenteils auf den Erhalt bestehender Engagements. Ende des Jahres 2021 registrierte die türkische Statistik rund 7.800 deutsche Unternehmen in der Türkei.
Projektbezeichnung | Investition (in Mrd. US$) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Kernkraftwerk Sinop | 5,0 | In Planung, staatliche Förderung, geplante Ausschreibung: Februar 2023, geplante Fertigstellung: Dezember 2025 | |
Dreistöckiger Tunnel unter dem Bosporus | 3,5 | In Planung, staatliche Förderung, geplante Ausschreibung: September 2022, geplante Fertigstellung: Dezember 2025 | |
Gesundheitscampus Sancaktepe | 2,0 | In Planung, staatliche Förderung; geplante Ausschreibung: April 2023, geplante Fertigstellung: Dezember 2025 | |
Petrochemischer Komplex in Aliaga (Socar) | 2,0 | In Planung, staatliche Förderung; geplante Ausschreibung: September 2023, geplante Fertigstellung: Dezember 2027 | BP ist nicht mehr mit dem Projekt verbunden; SOCAR verhandelt mit anderen Geldgebern; Investitionsentscheidung für das Projekt: 2022 |
Hafenbau Goldenes Horn | 1,4 | In Planung, staatliche Förderung, geplante Ausschreibung: September 2022, geplante Fertigstellung: Dezember 2026 | |
Eskişehir – Antalya Hochgeschwindigkeitsstrecke | 1,3 | In Planung, staatliche Förderung, geplante Ausschreibung: September 2022, geplante Fertigstellung: Dezember 2025 | |
Ford / Volkswagen Fahrzeugproduktionswerk Kocaeli | 1,0 | In Planung; geplante Fertigstellung: 2025 |
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite, Rubrik "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".
Die Regierung hat die Coronamaßnahmen weitgehend aufgehoben. Einkaufszentren, Geschäfte und Restaurants sind wieder in vollem Umfang geöffnet. Kauffreude kommt dennoch nur begrenzt auf. Die reale Kaufkraft der Haushalte ist gesunken. Dazu kommen Einkommenseinbußen, etwa durch Kurzarbeit. Viele Menschen fürchten um ihre Arbeitsplätze.
Die Inflation betrug im April 2022 durchschnittlich 70 Prozent. Hinzu kommt der Ukrainekrieg, der die Preise für die Gas- und Getreideimporte nach oben treibt. Die meisten Unternehmen reagieren mit Gehaltserhöhungen, die die Einbußen aber nur abfedern. Die positiven Effekte auf den Konsum durch die deutliche Senkung des Leitzinses seit September 2021 von 19 auf 14 Prozent werden durch die hohe Inflation gedämpft. Weitere Zinssenkungen könnten den Konsum über eine Kreditausweitung kurzfristig beleben. Allerdings ist die Verschuldung der Bevölkerung bereits hoch. Zudem gelten Zinssenkungen als Inflationstreiber.
Die Türkei konnte ihre Exporte 2021 wertmäßig kräftig steigern. Dazu haben neben dem schwachen Wechselkurs auch steigende Produktpreise beigetragen. Die Importe legten ebenfalls stark zu, jedoch in geringerem Umfang als die Ausfuhren. Steigende Importpreise dürften die Lage jedoch ändern: Im ersten Quartal 2022 zogen diese um über 80 Prozent an.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/2020 | |
---|---|---|---|
Importe (cif) | 219,5 | 271,4 | 23,6 |
Exporte (fob) | 169,6 | 225,3 | 32,8 |
Die schwache Lira verteuert Importe. Die deutschen Lieferungen blieben 2021 laut türkischer Statistik mit 21,8 Milliarden US-Dollar in etwa auf dem Vorjahresniveau. Die wertmäßig wichtigsten Importe aus Deutschland waren Pkw und Kfz-Teile, Maschinen, medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse sowie Kunststoffe in Primärformen. Andere wichtige Lieferländer verzeichneten dagegen hohe Zuwächse. Deutschland war 2021 nur noch das drittgrößte Lieferland der Türkei nach dem Gaslieferanten Russland (29 Milliarden US-Dollar; plus 62 Prozent) und der Volksrepublik China (32 Milliarden US-Dollar; plus 40 Prozent). Die Türkei plant keine Sanktionen gegen Russland.