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Wirtschaftsausblick | Türkei
Trotz Wachstum verschlechtert sich die Lage in der Türkei. Dazu tragen die niedrig gehaltenen Zinsen, die hohe Inflation, eine schwache Währung und geringe Fremdwährungsliquidität bei.
30.11.2022
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Das starke Wirtschaftswachstum des Vorjahres hat sich 2022 halbiert und könnte weiter nachlassen. Denn in wichtigen Absatzmärkten der türkischen Exporteure wie der Europäischen Union (EU) und den USA wird 2023 ein Konjunkturabschwung erwartet. Außerdem könnte die bereits horrende Inflation weiter steigen. Die Arbeitslosigkeit im Land ist hoch. Die geo- und innenpolitischen Spannungen nehmen zu.
Die türkische Regierung strebt mit einer Niedrigzinspolitik ein starkes, kurzfristiges Wachstum an, das mit hohen Finanz- und Wirtschaftsrisiken einhergeht. Die Auslandsschulden der Unternehmen und des Staates geben Anlass zur Sorge. Die Währungsreserven sind niedrig und die Banken verfügen über geringe Einlagen.
Zum aktuellen Wirtschaftswachstum tragen vor allem hohe Exporte bei. Die Türkei kann von den Nearshoring-Bestrebungen der Unternehmen aus der EU profitieren und Aufträge gewinnen. Gleichzeitig verbessert der schwache Währungskurs die internationale Wettbewerbsposition türkischer Anbieter. Die Industrie ist jedoch auch in hohem Maße auf Importe von Vorprodukten angewiesen. Die schwache Lira verteuert diese. Zudem sind türkische Unternehmen durch den angeschlagenen Wechselkurs von den weltweit hohen Rohstoff- und Energiepreisen besonders stark betroffen.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 717 | 803 | 4.263 |
BIP pro Kopf (nominal, US$) | 8.597 | 9.539 | 51.238 |
Bevölkerung (Mio.) | 83,4 | 84,7 | 83,2 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 USD = Türkische Lira) | 7,01 | 8,87 | - |
Nach Angaben des Investmentbanking-Unternehmens Goldmann Sachs hat die Türkei, um den Kurs der Lira zu stützen, zwischen März und September 2022 rund 18 Milliarden US-Dollar (US$) ausgegeben. Der Abwertungsdruck auf die Türkische Lira ist groß. Die türkische Zentralbank TCMB senkte - trotz horrender Inflation - mehrere Male auf politischen Druck den Leitzins. Derzeit ziehen überdies viele internationale Anleger Gelder aus risikoreicheren Ländern wie der Türkei ab, was den Kurs weiter drückt.
Die Türkei verhandelt mit Saudi-Arabien über eine Finanzspritze von 5 Milliarden US$. Die Türkei hat bereits Swap-Abkommen mit Ländern wie Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Südkorea geschlossen, um sich mehr Devisen zu beschaffen. Zudem flossen aus Russland dieses Jahr mehrere Milliarden US$ für den Bau eines Atomkraftwerks durch Rosatom in die Türkei.
Die schwache Lira verteuert die Aufnahme und Rückzahlung ausländischer Kredite. Außerdem erschwert die hohe Wechselkursvolatilität die Preis- und Kostenkalkulation sowie eine langfristige Planung. Im Vorfeld der für Mitte Juni 2023 angesetzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen dürften die Unsicherheiten zunehmen.
Trotzdem blicken Unternehmen, die bereits im Land sind, nach vorn und planen durchaus neue Projekte. Dagegen siedeln sich kaum neue Firmen in der Türkei an. Im ersten Halbjahr 2022 zogen die Kapitalinvestitionen iranischer und russischer Investoren in Unternehmen in der Türkei deutlich an.
Deutschland ist einer der größten ausländischen Investoren in der Türkei. Die in den letzten Jahren verzeichneten Investitionszuflüsse von Unternehmen beziehen sich größtenteils auf den Erhalt bestehender Engagements. Ende 2021 registrierte die türkische Statistik rund 7.800 deutsche Unternehmen in der Türkei.
Projektbezeichnung | Investition (in Mrd. US$) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Hochgeschwindigkeitsstrecke von Thessaloniki nach Istanbul | 3,5 | Geplante Vergabe: April 2024; Fertigstellung bis Dezember 2028 geplant | |
Petrochemischer Komplex in Aliaga | 2,0 | Geplante Vergabe: September 2023; Fertigstellung bis Dezember 2027 geplant | |
Kraftwerk Afsin Elbistan 3600 MW | 2,0 | Geplante Vergabe: August 2023; Fertigstellung bis August 2025 geplant | |
Ford / Volkswagen Fahrzeugproduktionswerk Kocaeli | 1,0 | In Planung; voraussichtliche Fertigstellung: 2025 | |
Autobahn Cankiri 15, Regionalgrenze | 0,5 | Geplante Vergabe: August 2023; Fertigstellung bis Juli 2026 geplant |
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite, Rubrik "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".
Die reale Kaufkraft der Haushalte ist gesunken. Die positiven Effekte auf den Konsum durch die deutliche Senkung des Leitzinses seit September 2021 von 19 auf 9 Prozent werden durch die horrende Inflation gedämpft. Die Konsumentenpreise legten im Oktober 2022 um durchschnittlich 86 Prozent zu. Die meisten Unternehmen reagieren mit Gehaltserhöhungen, die die Einbußen aber nur abfedern. Neben der Inflation führt der stark schwankende Wechselkurs der türkischen Lira zu hoher Unsicherheit. Die Bevölkerung flüchtet in Gold, Devisen, Aktien, Kryptowährung, Grundstücke oder Immobilien.
Die letzte Zinssenkung Ende November und weitere könnten den Konsum über eine Kreditausweitung kurzfristig beleben. Allerdings ist die Verschuldung der Bevölkerung bereits hoch. Zudem gelten Zinssenkungen als Inflationstreiber. In den Wintermonaten dürften steigende Gaspreise die Inflation weiter befeuern. Im Oktober legten die Produzentenpreise um 158 Prozent zu. Die Hersteller werden ihre steigenden Kosten zumindest teilweise an die Konsumenten weitergeben. Hinzu kommt die hohe Arbeitslosenquote von 10,8 Prozent.
Die Türkei konnte ihre Exporte begünstigt von der schwachen Lira in den ersten drei Quartalen 2022 wertmäßig um 17 Prozent steigern. Zum Teil geht der Anstieg aber auch auf Preiseffekte zurück. Die türkischen Importe legten gleichzeitig sogar um 40 Prozent zu. Steigende Importpreise waren hier ein wesentlicher Faktor.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/20 | |
---|---|---|---|
Importe (cif) | 209,4 | 260,7 | 24,5 |
Exporte (fob) | 160,5 | 213,7 | 33,1 |
Die schwache Lira verteuert Importe. Die deutschen Lieferungen legten in den ersten drei Quartalen laut türkischer Statistik um 4 Prozent auf 16 Milliarden US$ zu. Die wertmäßig wichtigsten Importe aus Deutschland waren Pkw und Kfz-Teile, Maschinen sowie medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse. Andere wichtige Lieferländer verzeichneten deutlich höhere Zuwächse. Deutschland war von Januar bis September erneut nur noch das drittgrößte Lieferland der Türkei. Gaslieferant Russland (45 Milliarden US$; plus 121 Prozent) verdrängte die Volksrepublik China (32 Milliarden US$; plus 35 Prozent) vom ersten auf den zweiten Rang. Die Türkei plant keine Sanktionen gegen Russland.