Wirtschaftsausblick | Ungarn
Ungarns Wachstumsflaute hält an
Eine Erholung der ungarischen Wirtschaft lässt weiter auf sich warten. Das Inflationsrisiko ist hoch, Investitionen werden aufgeschoben oder bleiben ganz aus.
07.07.2025
Von Kirsten Grieß | Budapest
Wirtschaftsentwicklung: Ungarns Wirtschaft kommt nicht in Fahrt
Nach einer leichten Aufwärtsbewegung ist die ungarische Wirtschaft im 1. Quartal 2025 wieder geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal und um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Ende März revidierte die Regierung ihre Konjunkturprognose von 3,4 Prozent auf 2,5 Prozent für das Gesamtjahr. Unabhängige Analysten erwarten hingegen nur noch ein Wachstum um 1 Prozent oder weniger. Erst 2026 könnte sich die wirtschaftliche Dynamik laut Europäischer Kommission wieder auf 2,5 Prozent beschleunigen.
Industrie steht unter Druck
Die aktuelle Konjunkturschwäche ist vor allem auf die anhaltende Flaute in der Industrie zurückzuführen. Im 1. Quartal schrumpfte die Produktion um weitere 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Eine Verschärfung der Lage droht bei einer Eskalation des Handelskonflikts mit den USA, der Ungarns Automobilindustrie indirekt über ihre enge Verflechtung mit der deutschen Kfz-Branche trifft.
Vereinzelte Signale für eine bevorstehende Erholung gibt es aber: Die Produktion in den neuen Fabriken von CATL, BMW und BYD soll noch dieses Jahr starten, was die Industrieleistung steigern dürfte. Entscheidende Voraussetzung ist aber, dass sich die Nachfrage im Exportgeschäft erholt. Sogar das geplante Investitionsförderprogramm der deutschen Bundesregierung könnte hierfür positive Impulse setzen – etwa durch eine steigende Nachfrage nach Zulieferprodukten aus Ungarn.
Investitionen im freien Fall
Fehlende Investitionen bremsen seit zwei Jahren Ungarns Konjunktur. Im 1. Quartal 2025 sanken die Bruttoanlageinvestitionen um 12,1 Prozent. Der GKI-Geschäftsklimaindex fiel im Mai erneut. Angesichts schwacher Auslastung halten sich Unternehmen mit Investitionen zurück. Das können staatliche Förderprogramme für Ausrüstungsinvestitionen nicht kompensieren. Laut ungarischer Nationalbank ist im Jahresverlauf keine Trendwende bei der Nachfrage nach Investitionskrediten zu erwarten.
Besonders schlecht ist die Stimmung auf dem Bau. Der Wohnungsbau stagniert schon länger, könnte aber im 2. Halbjahr 2025 durch staatliche Förderprogramme leicht anziehen. Direkte öffentliche Investitionen im Bausektor sind ungewiss. Für geplante Infrastrukturprojekte fehlen voraussichtlich die Mittel. Ungarn könnte 10,4 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds komplett verlieren.
EU-Förderung 2021 bis 2027
Ungarn kann bis 2027 rund 22 Milliarden Euro an Kohäsionsmitteln der EU und bis 2026 Zuschüsse über 5,8 Milliarden Euro sowie Kredite in Höhe von 3,9 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds abrufen. Brüssel blockiert die Auszahlung seit 2022 aufgrund von Defiziten bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung. Ende 2023 erhielt Ungarn jedoch 1 Milliarde Euro aus dem Wiederaufbaufonds und – trotz öffentlicher Kritik – 10 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds. Eine Klage dagegen ist anhängig. Da die Reformbemühungen weiter als unzureichend gelten, könnte Ungarn sämtliche Wiederaufbaumittel und auch Teile der Kohäsionsmittel verlieren.
Bleiben die Konsumenten in Kauflaune?
Wichtigster Wachstumstreiber bleibt 2025 der private Konsum. Im 1. Quartal gaben Privathaushalte 4,1 Prozent mehr aus als im Vorjahr. Die Nationalbank prognostiziert für 2025 einen Anstieg von bis zu 5,3 Prozent, gestützt durch ein Reallohnplus von 2,9 bis 3,7 Prozent bei einer Inflation von maximal 5,1 Prozent.
Die Konsumausgaben könnten schwächer ausfallen, denn schon zu Jahresbeginn übersprang die Inflationsrate die 5-Prozent-Marke. Vor allem Lebensmittel und Dienstleistungen wurden teurer. Die Regierung reagierte mit Preisregulierungen für Einzelhandel, Banken, Versicherungen und Telekommunikation. Doch ob das den privaten Konsum stützt, bleibt abzuwarten. Laut Umfrage des Finanzdienstleisters Provident vom April 2025 planen zwei Drittel der Ungarn, Ausgaben zu reduzieren.
Wenig Schwung im Außenhandel
Ungarns Exporte sanken 2024 um 2,7 Prozent - vor allem aufgrund schwacher Nachfrage nach Maschinen und Fahrzeugen auf wichtigen Auslandsmärkten. Auch 2025 bleibt die Entwicklung schleppend. Zwar gab es im März einen kurzen Anstieg bei Fahrzeugexporten, doch im April flachte die Dynamik wieder ab. Die Prognosen für das Gesamtjahr 2025 gehen weit auseinander: Die Europäische Kommission erwartet nur minimale Exportzuwächse von 0,2 Prozent, während Ungarns Regierung in ihrem Haushaltsentwurf ein Exportplus von 3 Prozent ansetzt.
Top-Thema: Haushalt 2026 – Budapest riskiert deutlich höhere Schulden
Ungarns Regierung geht mit dem Haushaltsentwurf für 2026 ein politisches wie wirtschaftliches Risiko ein. Sollten eingefrorene EU-Mittel weiter ausbleiben, drohen empfindliche Kürzungen bei Investitionen und Sozialausgaben. Zwischen Oktober und Dezember 2025 werden die drei großen Ratingagenturen den ungarischen Schuldenstand bewerten. Analysten zufolge könnte es zu einer Verschlechterung der Kreditwürdigkeit des Landes kommen.
Wirtschaftsminister Márton Nagy legte den Haushaltsplan bereits im Mai vor – ungewöhnlich früh und angesichts globaler Unsicherheiten ein überraschender Schritt. Vor allem die Wachstumsprognose von 4,1 Prozent für das Jahr 2026 stößt bei Analysten auf Skepsis. Denn die erhoffte wirtschaftliche Erholung steht auf tönernen Füßen: Zollkonflikte mit den USA, Inflation, der drohende Verlust von EU-Geldern und steigende Staatsausgaben im Vorfeld der Parlamentswahl 2026 belasten die Konjunktur.
Schon 2025 schlagen steuerliche Entlastungen für Familien und Rentner zu Buche, weitere Wahlgeschenke gelten als wahrscheinlich. Um Spielraum zu schaffen, erhöhte die Regierung das Defizitziel auf 3,7 Prozent und verlängerte sektorale Sondersteuern.
Deutsche Perspektive: Unternehmen zögern bei Investitionen
Seit 2023 gehen die deutschen Warenexporte nach Ungarn kontinuierlich zurück. Auch im 1. Quartal 2025 setzte sich der Abwärtstrend fort. Besonders deutlich sanken die Ausfuhren von Maschinen, Chemikalien und Elektrogeräten. Auch die ungarischen Lieferungen nach Deutschland entwickelten sich überwiegend negativ. Eine Ausnahme bilden Arzneimittel, Generatoren und Bürogeräte, die zuletzt stärker gefragt waren.
Deutsche Unternehmen in Ungarn beobachten die konjunkturelle Entwicklung mit Sorge. In der Frühjahrsumfrage der AHK Ungarn bewertet mehr als die Hälfte der befragten Firmen die wirtschaftliche Lage als schlecht. Drei Viertel sehen mangelnde Nachfrage als größtes Risiko. Die Investitionen könnten zurückgehen: Nur 16 Prozent der Mitgliedsunternehmen planen höhere Ausgaben, lediglich 78 Prozent würden erneut in Ungarn investieren.