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Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsausblick | Indien
Die indische Wirtschaft schrumpft wegen der Coronakrise erstmals seit Jahrzehnten. Die Regierung versucht, mit Konjunkturmaßnahmen und Reformen gegenzusteuern.
24.11.2020
Von Florian Wenke | Bonn
Im Kampf gegen die Coronapandemie hatte die indische Regierung im Frühjahr 2020 einen harten Lockdown verhängt. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben kam im April und Mai 2020 fast vollständig zum Erliegen. Im Rahmen einer Unlock-Strategie wurden Beschränkungen seitdem sukzessive gelockert. Dies war auch ökonomischen Notwendigkeiten geschuldet. Die überwiegende Mehrzahl der indischen Arbeitnehmer ist im informellen Sektor beschäftigt und daher sozial nicht abgesichert. Weder staatliche Hilfen noch Ersparnisse können fehlendes Einkommen ausgleichen.
Die Wirtschaft kommt jedoch nur langsam auf die Beine. Nach einem starken Einbruch im 1. Quartal des Finanzjahres 2020/21 (1. April bis 31. März), war das Wachstum auch im 2. Quartal 2020/21 negativ. Für das gesamte Finanzjahr wird sehr wahrscheinlich ebenfalls ein negatives Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) stehen. Dies hatte es nicht einmal während der internationalen Finanzkrise 2008/09 gegeben, sondern zuletzt im Finanzjahr 1979/80. Die Weltbank sagt ein Schrumpfen des indischen BIP um 9,6 Prozent im laufenden Finanzjahr voraus. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht das Minus bei 10,3 Prozent.
Die Regierung hat mehrere Konjunktur- und Finanzpakete zur Bewältigung der Krise vorgestellt. Viele der Maßnahmen beschränken sich auf Liquiditätshilfen. Kritiker hatten immer wieder angemahnt, dass die Hilfen nicht ausreichen und besonders die direkte Unterstützung des Konsums zu gering ausfällt. Neben zusätzlichen Ausgaben wurden mehrere Reformen verabschiedet, etwa für Liberalisierungen im Agrarbereich und bei der Arbeitsgesetzgebung.
Falls das Konjunkturpaket und die Reformen greifen, kann Indien den Weg aus der Krise finden. Für 2021/22 prognostiziert der IWF ein Wirtschaftswachstum von 8,8 Prozent. Weniger optimistisch ist die Weltbank, sie geht bisher nur von 5,4 Prozent aus.
Die fiskalischen Auswirkungen der Pandemie sind in jedem Fall gewaltig. Im Budget 2020/21 war ein Haushaltsdefizit in Höhe von 3,5 Prozent eingeplant. Dieser Wert wird nicht zu halten sein. Volkswirte gehen mittlerweile von Werten im Bereich von 8 bis 12 Prozent aus. Damit einhergehend wird Indiens Staatsschuldenquote wohl auf knapp über 90 Prozent des BIP steigen.
Indikator | 2018 | 2019 | Vergleichsdaten Deutschland 2019 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 2.713 | 2.869 | 3.854 |
BIP pro Kopf (US$) | 2.006 | 2.098 | 46.385 |
Bevölkerung (Mio.) | 1.353 | 1.366 | 83 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = Indische Rupien) | 68,37 | 70,41 | - |
Laut einer Prognose der Weltbank sollen die Bruttoanlageinvestitionen 2020/21 um 16,2 Prozent schrumpfen. Vielen Unternehmen fehlt schlichtweg das Geld für Investitionen. Die Lockerung von Coronabeschränkungen verbessern den Cash-Flow der Firmen jedoch langsam wieder. Trifft die Vorhersage der Weltbank zu, dann steigen die Bruttoanlageinvestitionen im kommenden Finanzjahr bereits wieder um 7,8 Prozent.
Als Konjunkturspritze versprach die Regierung Anfang Oktober 2020 neue Infrastrukturaufgaben in Höhe von circa 3,4 Milliarden US-Dollar (US$). Diese sollen vor allem in den Ausbau von Straßen und Häfen fließen. Weitere 1,6 Milliarden US$ werden den Bundesstaaten als langfristige zinslose Kredite bereitgestellt und sollen für Ende März 2021 für Infrastrukturvorhaben genutzt werden. Mittelfristig dürfte sich die steigende Staatsverschuldung jedoch negativ auf die Investitionstätigkeit des Staates auswirken und die Ausgaben einschränken.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mrd. US$) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
National Infrastructure Pipeline (NIP), mehr als 7.200 Einzelvorhaben im Infrastruktursektor | 1.475,6 | Planungsphase, Laufzeit bis 2025 | Verschiedene Ministerien und Bundesstaaten, Koordinierung durch Department of Economic Affairs |
Bau von Verkehrswegen im Rahmen des dem Pradhan Mantri Gram Sadak Yojana Programms | 50,2 | Derzeit in Umsetzung; Fertigstellung für März 2025 geplant | |
Jal Jeevan Mission Rural Implementation Project, Projekte im Bereich Wasserversorgung | 48,4 | Derzeit in Umsetzung; Fertigstellung für 2024 geplant | |
Mumbai-Ahmedabad High Speed Rail Project, Schnellbahnstrecke | 14,52 | Ausschreibung; Fertigstellung für Dezember 2023 geplant | |
Delhi-Gurugram Shahjahanpur-Neemrana-Behror Urban Complex Regional Rapid Transit System (RRTS) Development Project, Nahverkehrsprojekt | 4,9 | Planungsstadium, Fertigstellung für September 2026 geplant | Ministry of Housing & Urban Affairs und National Capital Region Transport Coperation |
Multi Modal Logistics HUB (MMLH) und Multi Modal Transport HUB (MMTH) als Teil des Greater Noida Development Project, Stadtentwicklungsprojekt | 2,8 | Planungsstadium, Fertigstellung für März 2025 geplant |
Projekte der öffentlichen Hand werden auf der zentralen Ausschreibungsplattform der indischen Regierung veröffentlicht. Außerdem stellt die indische Regierung eine gute Projektdatenbank zur Verfügung. GTAI stellt ebenfalls aktuelle Informationen zu Ausschreibungen und Entwicklungsprojekten bereit.
Die privaten Konsumausgaben, eine der tragenden Säulen der indischen Wirtschaft, waren schon vor der Pandemie wegen der schwächelnden Konjunktur ins Stottern geraten. Während des harten Lockdowns im April und Mai 2020 durfte der Einzelhandel nur Güter zur Grundversorgung wie Nahrungs- und Arzneimittel verkaufen. Gleichzeitig schoss die Arbeitslosigkeit in die Höhe. Inzwischen sind immer mehr Geschäfte wieder geöffnet und aufgestauter Konsum wurde zu Teilen nachgeholt. Auch die Arbeitslosenquote hat sich laut Centre for Monitoring the Indian Economy im November 2020 zwischen 6 und 7 Prozent eingependelt.
Dennoch bleiben viele Verbraucher mit Konsumausgaben vorsichtig, denn die Coronakrise hat zahlreiche Einkommen schrumpfen lassen. Deshalb ist die Nachfrage nach staatlichen Beschäftigungsprogrammen für Jobs im Agrarbereich stark gestiegen. Viele Arbeiter im informellen Sektor waren aus den Städten in die Dörfer heimgekehrt und hofften so auf ein Einkommen. Die Entlohnungen reichten jedoch oft nur zum Überleben. Erweiterte Anschaffungen rücken so in weite Ferne.
Insgesamt sollen die privaten Konsumausgaben im laufenden Finanzjahr um 13,2 Prozent zurückgehen, so die Weltbank. Für das kommende Finanzjahr 2021/22 wird ein moderates Wachstum von 6,1 Prozent vorhergesagt.
Die Pandemie hat starke Auswirkungen auf den indischen Außenhandel. Die Weltbank sagt ein Schrumpfen der Exporte um 12 Prozent im Finanzjahr 2020/21 voraus. Bei den Importen soll der Rückgang mit 20 Prozent noch stärker ausfallen.
Geringere Importe sind ganz im Interesse des Landes, denn es strebt eine Verringerung seines Handelsbilanzdefizites an. Unter dem Schlagwort Atmanirbhar Bharat möchte Indien unabhängiger von Importen werden und besonders die Abhängigkeit vom strategischen Rivalen China reduzieren. Einerseits sollen indische Firmen gezielt für den heimischen Markt produzieren, andererseits möchte man die Exporte steigern. Auch existiert die Hoffnung, von der Verlagerung der Produktionsketten profitieren zu können. Die Regierung hat bereits Subventionen für die Produktion in Indien, sogenannte production linked incentives, bereitgestellt.
Ende 2019 hatte sich Indien aus dem im November 2020 unterzeichneten Freihandelsabkommen Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) zurückgezogen. Die Regierung befürchtete, dass der heimische Markt besonders gegen Konkurrenzprodukte aus China schutzlos wäre. Es besteht jedoch jederzeit die Möglichkeit, doch noch beizutreten.
2018 | 2019 | Veränderung | |
---|---|---|---|
Importe | 507,6 | 478,9 | -5,7 |
Exporte | 322,5 | 323,3 | 0,3 |
Handelsbilanzsaldo | -185,1 | -155,6 | - |