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Kern der EU-Chipindustrie sind Deutschland, Frankreich und Italien
Europas Mikroelektronikbranche verteilt sich auf mehrere Cluster. Dank einiger hochinnovativer Firmen hat die EU noch strategische Positionen im globalen Technologiewettstreit.
07.05.2025
Der mit Abstand wichtigste Halbleiterstandort in Europa ist Deutschland, das für mehr als ein Drittel der Bruttowertschöpfung der Chipindustrie in der EU verantwortlich ist. Neben Bayern und Baden-Württemberg ist besonders im Großraum Dresden mit Silicon Saxony ein führendes Chipindustrie-Cluster mit internationaler Strahlkraft herangewachsen. Größen wie Bosch, GlobalFoundries und Infineon sind dort aktiv, bald auch TSMC.
Europäische Schwergewichte sind zudem Frankreich und Italien. Das Herz der französischen Halbleiterindustrie schlägt in der Region Auvergne-Rhône-Alpes um Grenoble mit dem Industrie- und Forschungscluster Minalogic. Großunternehmen wie STMicroelectronics oder Soitec produzieren dort Vorprodukte, Wafer und Chips für den europäischen Markt. Wichtigste Abnehmer sind die Auto- und Konsumgüterindustrie. Aber auch für Anwendungen im Bereich Internet der Dinge oder Telekommunikation (5G/6G-Technologie) kommen Chips aus französischer Produktion zum Einsatz. Zudem sind kleine und mittlere Unternehmen über die gesamte Halbleiter-Wertschöpfungskette verteilt. Sie engagieren sich insbesondere in Nischenanwendungen für zum Beispiel Luft- und Raumfahrt oder die Verteidigungsindustrie.
STMicroelectronics hat seine Wurzeln in Fusionen französischer und italienischer Halbleiterfirmen und ist auch in Italien mit allen Wertschöpfungsstufen von Wafern bis zum Packaging präsent.
Italiens Chipindustrie konzentriert sich um Mailand und Turin sowie Catania auf Sizilien. Über 300 aktive Firmen machen Italien zu einem attraktiven Markt für Ausrüster. Aixtron aus Herzogenrath etwa baut bei Turin einen Standort auf.
Weltweit kaum ein Chip ohne niederländisches Know-how
Die Niederlande sichern Europas Chiptechnologiesektor eine Schlüsselposition. Der in Veldhoven beheimatete Ausrüster ASML und sein Ökosystem sind der weltweit führende Anbieter von Lithografie-Maschinen, um Wafer mit integrierten Schaltungen zu bestücken.
Die Ratingagentur Fitch schätzt den Marktanteil von ASML bei der modernsten Maschinenkategorie DUV (Deep Ultra Violet) auf 90 Prozent, was der Firma eine monopolähnliche Stellung verleiht. Bei der aufkommenden Lithografie mit extrem ultravioletter Strahlung (EUV) gilt ASML sogar als weltweit einziges Unternehmen, das die Technologie bislang beherrscht. Entscheidende Komponenten bezieht ASML wiederum von deutschen Firmen: Trumpf liefert Hochleistungslaser, Zeiss Präzisionsoptiken.
Fortschrittliche Hochvolumenfertigung mit Technologie aus Österreich
Österreichs Firmen sind ebenfalls stark in der Produktion von Spezialausrüstung für die Halbleiterfertigung. IMS Nanofabrication aus Oberösterreich ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer bei Multi-Beam-Maskenschreibern. Die gemeinsam mit dem Fraunhofer ISIT entwickelten Geräte zur Herstellung fotolithografischer EUV-Masken sind entscheidend bei der weiteren Miniaturisierung integrierter Schaltkreise.
In Kärnten und der Steiermark werden zudem in hoher Stückzahl Halbleiter produziert. In Villach betreibt Infineon eine seiner beiden großen Chipfabriken für Leistungselektronik. Infineons zweite Großfabrik steht im sächsischen Dresden. Beide Standorte basieren auf den gleichen standardisierten Fertigungskonzepten und lassen sich vernetzt steuern. Gefertigt wird auf in Österreich entwickelten 300-Millimeter-Dünnwafern. Neben diesen Siliziumwafern mit einer Dicke von nur 20 Mikrometern arbeitet man bereits an der nächsten Chipgeneration aus fortschrittlichen Materialien wie Siliziumkarbid (SiC) und Galliumnitrid (GaN).
Europas einzige Fabrik für Strukturgrößen unter 20 Nanometern steht in Irland
In Irland ist in den letzten drei Jahrzehnten eine umfangreiche Mikroelektronikbranche herangewachsen. Standortvorteile wie das attraktive Modell aus niedriger Unternehmensbesteuerung und vorteilhaften Doppelbesteuerungsabkommen in Verbindung mit der Nutzung lokaler IP-Rechte haben ein enges Netzwerk leistungsfähiger Unternehmen entstehen lassen.
Heute produzieren in Irland 14 der größten Branchenkonzerne. Neben Infineon, Qualcomm oder Analog Devices gehört dazu auch Intels einzige Produktionsanlage in Europa im irischen Leixlip. Seit Herbst 2023 entstehen dort Prozessoren der Intel-eigenen 4-Nanometer-Technologie. Noch 2025 will Intel in Leixlip beginnen, die ersten marktreifen Chips im 3-Nanometer-Prozess zu produzieren. Für solche High-End-Prozessoren sind die Kapazitäten in Europa noch gering. Läuft die Fertigung nach Intel 3 in Leixlip an, wird sie laut Fachmagazin ElektronikPraxis die fortschrittlichste in der EU sein.
Tschechien möchte vom Halbleiterboom profitieren
Zu den aussichtsreichen Zukunftsmärkten für die Herstellung von Halbleiterprodukten in Europa gehört Tschechien. Im Land gibt es bereits Chipfabriken renommierter Hersteller wie Onsemi oder Hitachi, dazu haben Zulieferer für die Chipindustrie dort Produktionsstätten. Der Stuttgarter Anlagenbauer Exyte fertigt Produkte für Reinraumumgebungen. Elektronikhersteller Meopta aus Přerov produziert Baugruppen zur Inspektion von Wafern.
Brno ist die Welthauptstadt für Elektronenmikroskope. Bei den drei ansässigen Herstellern Thermo Fisher Scientific, Tescan und Delong Instruments läuft ein Drittel der globalen Produktion vom Band. Die Hochleistungsgeräte kommen weltweit bei der Qualitätskontrolle von Mikrochips zum Einsatz. Der US-Chipkonzern Onsemi entwickelt in Brno integrierte Schaltkreise und produziert im mährischen Rožnov pod Radhoštěm Silizium und Siliziumkarbidwafer.
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Darüber hinaus entwickeln heimische Unternehmen Designs für Halbleiter, darunter Codasip aus Brno, das an einer neuen Prozessorarchitektur für künstliche Intelligenz und Cybersecurity arbeitet. Solche "Fabless"-Unternehmen ohne eigene Fertigungsstätten sind für Tschechien wichtig, erklärt Michal Lorenc, Vizepräsident des Czech National Semiconductor Cluster (CNSC), im Interview mit Germany Trade & Invest. Denn für den Aufbau von Fabriken sind milliardenschwere Investitionen nötig, für die ein kleines Land kaum die nötigen Anreize zahlen kann.
Im Grenzraum zu Sachsen will Tschechien vom Halbleiterboom rund um Dresden ein Stück abbekommen und prüft zum Beispiel neue Industriegebiete in den Regionen Ústí nad Labem und Liberec, um Investoren als Zulieferer für die Chipwerke im Silicon Saxony anzusiedeln.
Polen setzt auf Kooperation mit Nachbarn
Auf engere Zusammenarbeit mit Sachsen und Tschechien setzt auch Polen, das insbesondere bei Photonik Know-how beisteuern könnte. Zu den polnischen Aushängeschildern gehört Vigo Photonics. Der Spezialist forscht im Rahmen des Projekts HyperPIC an einem integrierten Schaltkreis, der Messungen im mittleren Infrarotbereich durchführt. Der Sensor könnte etwa in medizinischen Geräten oder in der Autoindustrie eingesetzt werden. Vigo Photonics gehört zu den über 50 Mitgliedern des Clusters microEPC. Diesem sind wichtige Branchenvertreter Polens angeschlossen, darunter Wilk Elektronik, einziger Hersteller von RAM-Modulen in Europa, und Digital Core Design (DCD), ein Unternehmen, das IP-Cores entwirft.
Polen verspricht sich ähnlich wie andere EU-Länder Impulse von ausländischen Direktinvestitionen. So standen 1,5 Milliarden Euro bereit, um den US-Chiphersteller Intel beim Bau einer Fabrik für Tests und Endmontage in der Woiwodschaft Dolnośląskie zu unterstützen. Ähnlich wie die geplante Waferfertigung im deutschen Magdeburg hat Intel das Projekt zwischenzeitlich auf Eis gelegt. Polens Halbleiterstrategie verfolgt indes weiter das Ziel, bis 2030 drei große Halbleiter-Investitionen zu gewinnen.
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