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Wirtschaftsausblick | China
Nach Ende der Covid-Isolation trifft China auf eine geopolitisch veränderte Welt. Der Wirtschaftsaufschwung gelingt nicht nach Plan, hinzu kommen strukturelle Probleme.
14.06.2023
Von Corinne Abele | Shanghai
China versucht nach den Verwerfungen der Coronajahre wirtschaftlich durchzustarten. Doch der Motor stottert: Die covidbedingte Selbstisolation seit 2020 und erratische Lockdowns sowie deren abrupt-chaotisches Ende im Dezember 2022 haben das Vertrauen in ein stabiles Wirtschaftsumfeld in China erschüttert.
Dies gilt für ausländische wie inländische Wirtschaftsakteure und auch für Chinas Konsumenten. Hinzu kommen strukturelle Probleme: Der Schuldenstand wächst sowohl beim Staat, den Unternehmen als auch bei den Haushalten. Der Immobiliensektor steckt weiterhin in der Krise. Die Bevölkerung altert rasant. Und die westliche Welt sieht inzwischen mit anderen Augen auf China.
Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostizieren für Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Gesamtjahr 2023 ein Wachstum um knapp über 5 Prozent. Die geringe Vergleichsbasis des Jahres 2022, vor allem im 2. Quartal aufgrund des monatelangen Lockdowns im Spätfrühjahr 2022 in Shanghai, spielt dabei eine Rolle. Durchstarten sieht anders aus.
2022 | 2023 *) | 2024 *) | |
---|---|---|---|
BIP | 3,0 | 5,2 | 4,5 |
Leistungsbilanzsaldo (in % des BIP) | 2,3 | 1,4 | 1,1 |
Bruttoanlageinvestitionen | 4,9 | 4,1 | 3,9 |
Privater Verbrauch | -0,2 | 9,5 | 5,3 |
Indikator | 2021 | 2022 | Vergleichsdaten Deutschland 2022 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 17.759 | 18.100 | 4.075 |
BIP pro Kopf (US$) | 12.572 | 12.814 | 48.630 |
Bevölkerung (Mio.) | 1.413 | 1.412 | 83,4 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = Renminbi Yuan (RMB)) | 6,452 | 6,726 | - |
Doch der Handlungsspielraum der chinesischen Regierung ist beschränkt, die Kassen sind coronabedingt leer. Angesichts unsicherer Konjunktur- und Arbeitsplatzaussichten sparen viele Konsumenten. Auch Unternehmen investieren bei getrübten Wirtschaftsaussichten nur zurückhaltend. Eine lockerere Geldpolitik dürfte 2023 kaum den erwarteten Erfolg haben.
Politik und Ideologie triumphieren zunehmend über wirtschaftliche Belange. Zusätzlich sorgt das ab 1. Juli 2023 gültige neue Anti-Spionagegesetz in Wirtschaftskreisen für steigende Verunsicherung. Je stärker die geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA sowie seinen Partnerländern, desto geringer wird der Handlungsspielraum deutscher Firmen mit China-Präsenz oder signifikantem Chinageschäft. Die Risiken sind 2023 rasant gewachsen - sei es im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, steigender Exportkontrollgesetzgebungen oder eines möglichen militärischen Angriffs Chinas auf Taiwan. Auch Chinas Haltung bezüglich Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine erhöht den Handlungsdruck auf deutsche Firmen, in Alternativen zu denken.
Andere Standorte in Asien gewinnen an Attraktivität. Für Vietnam oder Indien erwarten Analysten im Jahr 2023 höhere BIP-Zuwächse als im Land der Mitte. Während sich Handelsbeziehungen mit dem Westen abkühlen, werden die Wirtschaftsbeziehungen mit der asiatisch-pazifischen Region intensiver. Bleibt jedoch Chinas Wirtschaftserholung aus, ist dies auch in der gesamten Region zu spüren.
Angesichts zunehmender Exportschwierigkeiten geht das Investitionswachstum in der Privatwirtschaft zurück, insbesondere in Chinas Elektronik- und Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). China droht seine bislang einzigartige Stellung in der globalen Elektronikwertschöpfungskette mittelfristig zu verlieren.
Stärker als zuvor wird hingegen in der Automobilindustrie investiert, wo es auf dem Weg hin zu Elektromobilität und autonomem Fahren für viele Unternehmen ums Überleben geht - trotz bereits vorhandener Überkapazitäten. Zunehmend drängen Hersteller daher in den Export. Durch Subventionen begünstigte Überinvestitionen sind auch seit längerem im Bereich Batterieherstellung zu beobachten.
De-Risking-Strategien, d.h. Strategien zur Risikominimierung, ausländischer Firmen können sowohl zu mehr Investitionen im Rahmen von Lokalisierung in China als auch zu mehr Investitionen im Ausland führen. Im Jahr 2022 flossen laut Deutscher Bundesbank rund 11,5 Milliarden Euro an deutschen Direktinvestitionen nach China - ein Rekordwert. Dabei besteht die Zielrichtung, Investitionen in China vor allem aus China heraus zu finanzieren.
Projektbezeichnung | Summe 1) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Hochgeschwindigkeitsbahn von Yan'an (Provinz Shaanxi) nach Erdos (Innere Mongolei) | 9,0 | Endgenehmigungsphase; geplanter Baubeginn noch 2023; Fertigstellung 2028 geplant | Gesamtlänge ca. 390 km; Höchstgeschwindigkeit 350 km/h; Ansprechpartner: China State Railway Group Co., Ltd. |
Dritter Flughafen für Shanghai: Nantong New Airport (Provinz Jiangsu) | 7,2 | Geplanter Baubeginn: November 2023; Fertigstellung 2026 bis 2027 | Grundstücksfläche 670.000 qm (um 160.000 qm größer als Shanghai Hongqiao Airport). Kapazität: 49 Mio. jährliches Passagieraufkommen (Mittel- bis langfristig 80 Mio.) ; Ansprechpartner: Shanghai Airport (Group) Co., Ltd. |
Projekt zur Herstellung von Rohsilizium für die Fotovoltaik-Industrie in Delingha (Provinz Qinghai) | 5,1 | Baubeginn Phase I: Juni 2023; Bauphasen II und III: geplant 2024 | Grundstücksfläche knapp 470 ha; Produktionskapazität: 4 Mio. jato Silizium, 0,2 Mio. jato polykristallines Silizium sowie monokristallines Silizium für Solarzellen mit einer Leistung von 60 GW; Ansprechpartner: Qinghai Lai Run New Energy Co., Ltd. 2) |
Kohlekraftwerk von China Coal Energy in Guangyuan (Provinz Sichuan) | 4,3 | Vertragsunterzeichnung April 2023; geplanter Baubeginn: Ende 2023 oder Anfang 2024 | Installierte Leistung: 1 GW je Anlagenblock (2 Blöcke) mit integrierter Entstaubungs-, Entstickungs- und Entschwefelungsanlage; Ansprechpartner: China Coal Energy Group Co., Ltd. |
Ammoniaksyntheseanlage, basierend auf grünem Wasserstoff, hergestellt mit Windkraft- und Fotovoltaikanlagen in Erdos (Provinz Innere Mongolei) | 3,5 | Baubeginn: April 2023; geplante Fertigstellung März 2026 | Produktionskapazität: 0,5 Mio. jato. Gebaut werden u.a. Wind- und Solaranlagen mit einer Leistung von je 1,6 GW, Elektrolyseanlagen zur Wasserstoffgewinnung und -speicherung sowie Anlagen zur Ammoniaksynthese; Ansprechpartner: China Coal Energy Group Erdos Energy and Chemical Industry Co., Ltd. |
Ultra-überkritisches Kohlekraftwerk in Xinyang (Provinz Henan) | 1,5 | Baubeginn Januar: Anfang 2023; geplante Bauzeit: ca. 2,5 Jahre | Installierte Leistung: 1 GW je Anlagenblock (2 Blöcke); Jahresstromerzeugung: ca. 9,0 TWh; Ansprechpartner: Shaanxi Coal and Chemical Industry Group Co., Ltd. |
Pumpspeicherkraftwerk im Kreis Hengfeng (Provinz Jiangxi) | 1,4 | Baubeginn: Mitte 2023 | Installierte Leistung: 1,2 GW (4 Wasserturbinen von je 300 MW); Ansprechpartner: China Gezhouba Group Co., Ltd. |
Der Binnenkonsum spielt in Chinas Wirtschaftsmodell des "inneren und äußeren Kreislaufs" (Dual Circulation) eine entscheidende Rolle. Doch er kommt nicht richtig in Fahrt. Auch ein Plus des Einzelhandelsumsatzes von (aufgrund niedriger Vergleichsbasis) 8,5 Prozent in den ersten vier Monaten 2023 kann nicht darüber hinwegtäuschen. Zwar fanden über die Maifeiertage rund 20 Prozent mehr Reisen statt als 2019 (vor Covid). Durchschnittlich blieben die Ausgaben pro Reise aber um 10 Prozent darunter.
Die Menschen sind 2023 verunsichert: durch regionale Kürzungen bei Krankenversorgung und Gehältern im Staatsdienst; durch gewaltige Entlassungswellen von Tech-Giganten wie Alibaba und Tencent (vor allem 2022) bei deutlich geringeren Neueinstellungen. Zudem liegt die Jugendarbeitslosigkeit mit rund 20 Prozent im April 2023 dramatisch hoch. Auch die offizielle Erhöhung des Mindestrentenalters von bislang 50 für Frauen und 60 für Männer ist angesichts leerer Kassen kaum weiter aufzuschieben. Die Konsumzurückhaltung dürfte daher länger anhalten als der Regierung lieb ist.
Auch der Außenhandel zeigt Schwäche, was vor allem auf die geringe Inlandsnachfrage zurückzuführen ist. Seit Jahresbeginn liegt er monatlich - mit Ausnahme März - unter dem Volumen des Vormonats. Eine deutliche Erholung ist nicht in Sicht. Insgesamt gingen die Einfuhren in den ersten vier Monaten 2023 um 7,3 Prozent auf knapp 823 Milliarden US$ zurück, während die Exporte leicht um 2,5 Prozent auf 1,1 Billionen US$ wuchsen.
Die bescheidene Exportentwicklung könnte nur teilweise an einer schwächeren Nachfrage in den Abnehmermärkten liegen. Angesichts gemäß chinesischer Zolldaten niedrig-zweistellig gesunkener Exporte in die USA und Südkorea sowie eines Rückgangs um knapp 26 Prozent nach Taiwan lassen sich auch erste geopolitisch motivierte (kurzfristige) Strategien zur Diversifizierung der Abnehmerländer vermuten. Grundlegenden Lieferkettenänderungen (mit nachhaltiger Abhängigkeitsreduzierung von China) gehen in der Regel jedoch Investitionsanpassungen voraus. Diese sind nur mittelfristig zu realisieren.
2021 | 2022 | 1. Quartal 2023 | Veränderung | |
---|---|---|---|---|
Importe | 2.688 | 2.716 | 617,1 | -7,1 |
Exporte | 3.364 | 3.594 | 821,8 | 0,5 |